Einträge nach Montat filtern

BGH, Urteil vom 17. November 2022 – VII ZR 623/21

BGB § 826Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
BGB
BGB § 826
C, D, H; ZPO § 138

Zur sekundären Darlegungslast des Fahrzeugherstellers in sogenannten Dieselfällen bei Verwendung eines nicht selbst entwickelten, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Dieselmotors (EA 189).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 21. Mai 2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 6. Juli 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin im Zusammenhang mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte ist eine 100-prozentige Tochter der Volkswagen AG, mit der sie durch einen Beherrschungs- und GewinnabführungsvertragBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag
Gewinnabführungsvertrag
verbunden ist.2

Der Kläger erwarb mit Vertrag vom 19. November 2013 bei einem Händler ein von der Beklagten hergestelltes, am 27. August 2012 erstzugelassenes Kraftfahrzeug des Typs Audi A6 Avant als Gebrauchtwagen zum Kaufpreis von 33.480 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Volkswagen AG mit der Typbezeichnung EA 189 ausgestattet. Der Motor verfügte über eine Steuerungssoftware, die das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus auf dem Prüfstand erkannte und in diesem Fall eine Verringerung der Stickoxidemissionen im Vergleich zum Normalbetrieb bewirkte („Umschaltlogik“). Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete die Entfernung der als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierten Software an. Am Fahrzeug des Klägers wurde ein Software-Update vorgenommen.3

Die im Wesentlichen auf Erstattung des Kaufpreises zuzüglich Finanzierungskosten, Feststellung des Annahmeverzugs und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen zum Teil Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an den Kläger 15.076,06 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen „Rückgabe“ und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen.4

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit es die Haftung der Beklagten dem Grunde nach bejaht hat. Die Beklagte verfolgt mit der Revision ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung aus den Vorinstanzen weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine in juris und BeckRS 2021, 17910 veröffentlichte Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:7

Der Kläger habe gemäß § 826 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung durch Unterlassen gegen die Beklagte. Vorsatz und Sittenwidrigkeit der Schädigung seien bei der Beklagten zum Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs vorhanden gewesen, da ihr das Wissen der Volkswagen AG als beherrschender Konzernmutter zumindest über die Person U.   H.     zuzurechnen sei. H.     sei vom 1. Juli 2013 bis zum Herbst 2015 Mitglied im Vorstand der Beklagten und zuvor seit dem 1. Januar 2007 Markenvorstand bei der Volkswagen AG mit dem Geschäftsbereich Entwicklung gewesen. Es sei davon auszugehen, dass er aufgrund seiner Tätigkeit für die Volkswagen AG von den Abgasmanipulationen beim Motor EA 189 gewusst habe. Dieses Wissen habe er der Beklagten spätestens ab dem 1. Juli 2013 als Vorstandsmitglied vermittelt, § 31 BGB. Die Haftung gegenüber dem Kläger ergebe sich aus der Verletzung einer Aufklärungspflicht aus vorangegangenem pflichtwidrigen Tun (Ingerenz). Es sei der Beklagten ohne Weiteres möglich gewesen, durch einen öffentlichen Warnhinweis ab dem 1. Juli 2013 die Schädigung weiterer Fahrzeugkäufer – auch von Gebrauchtwagen – zu verhindern. Die Untätigkeit des Vorstandsmitglieds H.     in Kenntnis der „Umschaltlogik“ sei Sittenwidrig gewesen.8

Die Beklagte treffe für ihr Wissen und dasjenige des Herrn H.     eine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht genügt habe. Danach obliege es der bestreitenden, nicht beweisbelasteten Partei, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Zumindest dieser Verpflichtung sei die Beklagte angesichts der Tätigkeit von H.     vor dem 1. Juli 2013 bei der Volkswagen AG nicht nachgekommen. Ihr Vortrag, bis heute lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass Mitglieder ihres Vorstands vor dem 18. September 2015 Kenntnis von der Umschaltlogik im Motor EA 189 gehabt hätten, sei unzureichend. Der Vortrag des Klägers, die Beklagte habe zum Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs über das Vorstandsmitglied H.     von der Manipulation gewusst, sei daher als zugestanden zu behandeln.9

Der Kläger habe konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass zumindest einer der Vorstände der Beklagten die grundlegende strategische Entscheidung der damaligen Vorstände der Konzernmutter mindestens gekannt habe. Er habe verschiedene Personen benannt, die in den Jahren bis 2011 großenteils in der Entwicklungsabteilung der Volkswagen AG tätig gewesen seien und dann Führungsfunktionen bei der Beklagten, teilweise im Vorstand, eingenommen hätten. Die Beklagte habe die Personalwechsel nicht bestritten. Jedenfalls betreffend H.     liege es äußerst nahe, dass dieser bei seinem Wechsel zur Beklagten am 1. Juli 2013 genau in die Vorgänge im Zusammenhang mit der Entwicklung und dem Vertrieb der „Umschaltlogik“ eingeweiht gewesen sei. Ein positiver Nachweis der Kenntnis sei zur Auslösung einer sekundären Darlegungslast der Beklagten nicht erforderlich. Die sekundäre Darlegungslast betreffe Vorgänge im Haus der Beklagten, nicht Vorgänge bei der Volkswagen AG. Die Beklagte habe nicht dazu vorgetragen, welche der vom Kläger benannten Personen, insbesondere Herr H.    , wann und in welcher Funktion etwas von den Manipulationen erfahren hätten, obwohl sie – die Beklagte – im Gegensatz zum Kläger entsprechende Kenntnisse habe bzw. sich mühelos verschaffen könne. Die Beklagte habe trotz eines gerichtlichen Hinweises auch nicht zur internen Anordnung des Einbaus des Motors EA 189 in das Fahrzeug des Klägers, zum diesbezüglichen Informationsaustausch zwischen der Beklagten und der Volkswagen AG, zu vor dem Einbau durchgeführten Motortests der Beklagten und zu nachlaufenden Kontrollen vorgetragen.10

Die Ursächlichkeit der Unterlassung der Beklagten für den Kaufentschluss des Klägers sei zu vermuten. Der als Partei vernommene Kläger habe die Ursächlichkeit bestätigt. Sein ersatzfähiger Schaden betrage 15.076,06 € (33.480 € Kaufpreis abzüglich eines Nutzungsvorteils in Höhe von 18.403,94 €).

II.

Die Revision ist aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch sonst zulässig. Die Einwendungen der Revision gegen das Berufungsurteil betreffen ausschließlich den Grund des vom Kläger erhobenen Anspruchs und halten sich damit innerhalb der wirksam auf den Anspruchsgrund beschränkten Revisionszulassung (vgl. BGH, Urteil vom 2. Mai 2017 – VI ZR 262/16 Rn. 14 f., VersR 2017, 959; Urteil vom 16. September 2009 – VIII ZR 243/08 Rn. 10 f., BGHZ 182, 241; jeweils m.w.N.).

III.

Die Revision ist begründet. Sie führt, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.13

Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB nicht bejaht werden. Das Berufungsgericht hat nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat.14

1. Sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, Sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht. Ob ein Verhalten Sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 25. November 2021 – VII ZR 257/20 Rn. 19, VersR 2022, 521; Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 Rn. 20, NJW 2022, 321; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 17 f., NJW 2021, 1669; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 14 f. m.w.N., BGHZ 225, 316).15

2. Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, handelt ein Automobilhersteller gegenüber dem Fahrzeugkäufer Sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25. November 2021 – VII ZR 257/20 Rn. 20, VersR 2022, 521; Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 Rn. 21, NJW 2022, 321; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 19, NJW 2021, 1669; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 16 ff., BGHZ 225, 316). Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass dies in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer – billigend in Kauf genommenen – Unrechtmäßigkeit geschieht (BGH, Urteil vom 25. November 2021 – VII ZR 257/20 Rn. 21, VersR 2022, 521; Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 Rn. 22, NJW 2022, 321; jeweils m.w.N.).16

3. Das Berufungsgericht geht entsprechend den Feststellungen im landgerichtlichen Urteil davon aus, dass der im Fahrzeug des Klägers verbaute Dieselmotor vom Typ EA 189, der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen war (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 17, BGHZ 225, 316), nicht von der Beklagten, sondern von der Volkswagen AG entwickelt und hergestellt worden ist. Der Umstand, dass die Beklagte die von ihrer Muttergesellschaft entwickelten und gelieferten, rechtswidrig manipulierten Motoren in ihre Fahrzeuge einbaute, genügt nach den aufgezeigten Maßstäben nicht, um eine objektiv sittenwidrige Handlung anzunehmen.17

4. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten kommt zwar auch in Betracht, wenn die für die Beklagten handelnden Personen wussten, dass die von der Muttergesellschaft gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 21, ZIP 2021, 799). Ein derartiges Vorstellungsbild hat das Berufungsgericht aber im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte entsprechend § 31 BGB einzustehen hat, nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Dies gilt auch für die Zeit zwischen dem erstmaligen Inverkehrbringen des Fahrzeugs und dessen Erwerb durch den Kläger, sodass dahinstehen kann, ob eine in der Zwischenzeit erlangte Kenntnis – wie vom Berufungsgericht angenommen – eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB unter dem Aspekt des pflichtwidrigen Unterlassens begründen könnte.18

a) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hat das Berufungsgericht nicht auf der Grundlage einer freien tatrichterlichen Überzeugung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO angenommen, dass Herr U.   H.     (oder ein anderer Repräsentant der Beklagten im Sinne des § 31 BGB) im Zeitraum bis zum Fahrzeugerwerb des Klägers von der „Umschaltlogik“ gewusst habe (vgl. zu einer derartigen Überzeugungsbildung BGH, Urteil vom 25. November 2021 – VII ZR 257/20 Rn. 30 ff., VersR 2022, 521). Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, eine Kenntnis des Herrn H.     liege „äußerst nahe“, während eine Unkenntnis „so gut wie ausgeschlossen“ sei. Es hat jedoch weiter ausgeführt, dass ein „positiver Nachweis der Kenntnis“ nicht erforderlich sei. Dementsprechend hat es die Feststellung der Kenntnis nicht auf eine freie Überzeugungsbildung, sondern darauf gestützt, dass der entsprechende Vortrag des Klägers wegen eines unzureichenden Bestreitens der Beklagten als zugestanden gelte.19

b) Die Annahme des Berufungsgerichts, der Vortrag des Klägers, die Beklagte habe in Person ihrer Vorstandsmitglieder – jedenfalls über U.   H.     – von den Manipulationen zum Zeitpunkt des Kaufs seines Kraftfahrtzeugs gewusst, sei als zugestanden zu behandeln, weil die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt habe, ist von Rechtsfehlern beeinflusst. Auf der Basis der bisherigen Feststellungen kann keine – nicht erfüllte – sekundäre Darlegungslast der Beklagten angenommen werden.20

aa) Wer einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt im Grundsatz die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. In bestimmten Fällen ist es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungslast zu den Behauptungen der beweisbelasteten Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierung des Bestreitens zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner – hier der Kläger – vorgetragen hat. In der Regel genügt ein einfaches Bestreiten. Eine sekundäre Darlegungslast kann den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei treffen, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BGH, Urteil vom 24. März 2022 – VII ZR 266/20 Rn. 24, juris; Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 Rn. 26, NJW 2022, 321; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 25 ff. m.w.N., NJW 2021, 1669).21

bb) Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das Klagevorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (BGH, Urteil vom 24. März 2022 – VII ZR 266/20 Rn. 25, juris; Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 Rn. 27, NJW 2022, 321; jeweils m.w.N.). Derartige Anhaltspunkte ergeben sich aus dem nach § 559 Abs. 1 ZPO der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegenden Verfahrensstoff indes nicht.22

(1) Wie ausgeführt hat nicht die Beklagte, sondern ihre Konzernmutter den Motortyp EA 189 entwickelt. Vor diesem Hintergrund sind die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Haftung der Volkswagen AG für die Motoren vom Typ EA 189 – was das Berufungsgericht nicht verkannt hat – hinsichtlich der sekundären Darlegungslast nicht ohne Weiteres auf den Streitfall übertragbar. In jenen Verfahren stand fest, dass im Unternehmen der dortigen Beklagten (Volkswagen AG) Sittenwidrig gehandelt worden war, und es lag nahe, dass die weitreichende Entscheidung zur Entwicklung und Verwendung der „Umschaltlogik“ nicht ohne Kenntnis des Vorstands getroffen und umgesetzt worden war. Aufgrund dieser hinreichenden Anhaltspunkte für eine Vorstandskenntnis oblag es der Volkswagen AG, die Kenntnis nicht pauschal zu Bestreiten, sondern ihrerseits – gegebenenfalls auf der Grundlage zumutbarer Nachforschungen – darzulegen, wer in ihrem Haus die Entscheidung über den Einsatz der „Umschaltlogik“ getroffen und ob ihr Vorstand davon Kenntnis hatte (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 29, NJW 2021, 1669; Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19 Rn. 19, NJW 2020, 2804; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 39, BGHZ 225, 316). Hingegen spricht der bloße Einbau der manipulierten Motoren in eigene Fahrzeuge der Beklagten noch nicht für die Annahme, die Unternehmensleitung der Beklagten sei in die diesbezügliche strategische Entscheidung ihrer Muttergesellschaft eingebunden gewesen oder habe davon Kenntnis erlangt. Die Motorenverwendung allein begründet daher keine sekundäre Darlegungslast (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 Rn. 29, NJW 2022, 321; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 30, NJW 2021, 1669).23

(2) Eine – nicht erfüllte – sekundäre Darlegungslast der Beklagten folgt auch nicht daraus, dass U.   H.     den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts zufolge zum 1. Juli 2013 aus dem Vorstand der Volkswagen AG in den Vorstand der Beklagten wechselte. Ob die Tätigkeit H.     als „Markenvorstand in der Entwicklungsabteilung bei der Volkswagen AG“ Anhaltspunkte bietet für seine Einbindung in die im Unternehmen der Volkswagen AG getroffene sittenwidrige strategische Entscheidung, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter arglistiger Täuschung des KBA und bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber für Millionen Fahrzeuge eine illegale Motorsteuerung in Verkehr zu bringen, kann dahinstehen. Denn jedenfalls betrifft die Frage, wie es im Hause der Volkswagen AG zur Entwicklung und Verwendung der „Umschaltlogik“ kam und wer dort davon wusste, Vorgänge außerhalb des eigenen Unternehmens der Beklagten, ohne dass das Berufungsgericht feststellt, dass die Beklagte zu einer Darlegung dieser Vorgänge in der Lage wäre (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 30, NJW 2021, 1669; Urteil vom 19. Oktober 2017 – III ZR 565/16 Rn. 23, BGHZ 216, 245).24

(3) Soweit das Berufungsgericht meint, die Beklagte habe angesichts der Tätigkeit von H.     bei der Volkswagen AG vor dem 1. Juli 2013 ihr zumutbare Nachforschungen Unterlassen zur Frage, wer intern bei der Beklagten den Einbau des Motors angeordnet habe, und auch nicht zu etwaigen Motorentests und nicht näher bezeichneten Kontrollen vorgetragen, fehlt es ersichtlich schon an einem Zusammenhang zur vorherigen Tätigkeit H.     bei der Volkswagen AG. Eine sekundäre Darlegungslast zu den genannten Vorgängen würde gemäß dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 36, BGHZ 225, 316) zunächst hinreichende Anhaltspunkte dafür voraussetzen, dass die Beklagte im Zuge gerade solcher Vorgänge die Kenntnis von der Manipulationssoftware im Motortyp EA 189 erlangt hat. Derartige Anhaltspunkte hat das Berufungsgericht indes nicht festgestellt. Dass in Bezug auf den Motortyp EA 189 im Unternehmen der Beklagten überhaupt Sittenwidrig gehandelt worden ist, steht auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts – anders als bei den gegen die Volkswagen AG geführten Verfahren – nicht fest.25

(4) Hinsichtlich des vom Berufungsgericht weiter verlangten Vortrags zu der Frage, wann U.   H.     und andere Führungskräfte der Beklagten, die zuvor bei der Volkswagen AG tätig waren, von der „Umschaltlogik“ erfuhren, kann dahinstehen, ob die Beklagte insoweit eine sekundäre Darlegungslast traf. Denn jedenfalls genügt ihr Vortrag den Anforderungen. Das Bestreiten einer vor dem 18. September 2015 bestehenden Kenntnis beinhaltet den Vortrag, dass die Kenntniserlangung erst im Zuge der öffentlichen Aufdeckung des „Abgasskandals“ erfolgt sei.

IV.

Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).27

1. Die vom Berufungsgericht letztlich offen gelassene Frage einer Haftung der Beklagten für ihre Verrichtungsgehilfen gemäß §§ 826, 831 Abs. 1 Satz 1 BGB, wäre auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen ebenfalls zu verneinen. Eine solche Haftung setzt voraus, dass eine als Verrichtungsgehilfe der Beklagten zu qualifizierende Person in Ausführung der Verrichtung den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat, wobei grundsätzlich die gleichen Maßstäbe gelten wie hinsichtlich der verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne von § 31 BGB (BGH, Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 35 m.w.N., NJW 2021, 1669). Entsprechende Feststellungen, dass im Unternehmen der Beklagten mindestens die Kenntnis vom Einsatz der sittenwidrigen Manipulationssoftware vorhanden war, fehlen indes. Die Erwägung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den Entlastungsnachweis gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht angetreten, geht daher ins Leere.28

2. Die vom Berufungsgericht erwogene Zurechnung von Wissen der Volkswagen AG über § 308 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1, § 309 Abs. 1 AktG kommt nicht in Betracht. Das Bestehen eines Beherrschungsvertrags rechtfertigt keine den Vorwurf der Sittenwidrigkeit gemäß § 826 BGB begründende Wissenszurechnung zulasten der beherrschten Gesellschaft (vgl. zu § 166 BGB BGH, Urteil vom 25. November 2021 – VII ZR 257/20 Rn. 24, VersR 2022, 521; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 Rn. 23, NJW 2021, 1669).

V.

Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist. Es ist insoweit aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht auf der Basis des bisherigen oder eines etwaigen weiteren Parteivorbringens noch rechtsfehlerfreie Feststellungen zu einer gemäß §§ 826, 31 BGB haftungsbegründenden Kenntnis der Beklagten von der „Umschaltlogik“ trifft.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbH-Recht I Gesellschafterstreit I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: Darlegungs- und Beweislast, Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes, sekundäre Beweislast, sekundäre Darlegungslast, Tatsachenvortrag schlüssig