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BGH, Urteil vom 4. August 2022 – III ZR 230/20

BGB §§ 31, 826 Ga

Zur sekundären Darlegungslast bei Vorgängen innerhalb eines Unternehmens, die auf eine Kenntnis seiner verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in sogenannten Diesel-Fällen schließen lassen (Anschluss an BGH, Urteile vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn. 27 f und vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20, WM 2021, 2056 Rn. 26 f).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 27. August 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung auf Schadensersatz in Anspruch.2

Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 10. August 2012 von der B.    GmbH in K.    als Neufahrzeug einen Audi A 4 allroad 2.0 TDI quattro zum Preis von 45.045,45 €. Das Fahrzeug, dessen Herstellerin die Beklagte ist, ist mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet und soll nach Herstellerangaben die Abgasnorm Euro 5 erfüllen. Es verfügt über eine von der Volkswagen AG entwickelte Motorsteuerungssoftware. Diese sah hinsichtlich der Abgasrückführung zwei Betriebsmodi vor, und zwar einen hinsichtlich des Stickstoffausstoßes optimierten Betriebsmodus 1 mit einer verhältnismäßig hohen Abgasrückführungsrate sowie einen Betriebsmodus 0 mit einer erheblich geringeren Abgasrückführungsrate. Die Motorsteuerungssoftware vermochte zu erkennen, ob das Fahrzeug auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte (NEFZ-Prüfzyklus) eingesetzt oder im Straßenverkehr betrieben wurde, und schaltete im NEFZ-Prüfzyklus in den Modus 1. Auf diese Art und Weise wurde sichergestellt, dass bei der Prüfung nach den Maßgaben der Euro 5-Abgasnorm geringere Stickoxidemissionen gemessen und dementsprechend die Stickoxidgrenzwerte im Laborbetrieb eingehalten wurden. Dagegen schaltete die Motorsteuerungssoftware in den Modus 0, wenn das Fahrzeug im Straßenverkehr eingesetzt wurde. Diese Funktionsweise wurde im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens vor dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) nicht offengelegt.3

Am 22. September 2015 räumte die Volkswagen AG im Rahmen einer aktienrechtlichen Ad-hoc-Mitteilung erstmals die Verwendung der Motorsteuerungssoftware ein. Das KBA gab der Volkswagen AG daraufhin auf, die Abschalteinrichtung in den betroffenen Fahrzeugen zu entfernen. In der Folgezeit wurden Software-Updates für eine Vielzahl verschiedener Fahrzeug- und Motortypen freigegeben. Die Klägerin wurde im Februar 2016 von der Beklagten darüber informiert, dass auch ihr Fahrzeug mit einer Software der oben beschriebenen Art ausgestattet sei und überarbeitet werden müsse. Sie ließ das Software-Update installieren.4

Die Klägerin hat in den Vorinstanzen die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung sowie Delikts- und Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 21.742,54 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen und die Beklagte (gemeint wohl: die Klägerin) von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.100,51 € freizustellen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner – in BeckRS 2020, 44481 veröffentlichten – Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:7

Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Dies entspreche bezüglich der Herstellerin des Motors des Typs EA 189 der vom Bundesgerichtshof bestätigten Rechtsprechung. In dem hier zu entscheidenden Fall, in dem es um die Haftung der Beklagten gehe, die den fraglichen Motor mit der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht hergestellt habe, gelte nichts anderes. Es sei nämlich davon auszugehen, dass dem Vorstand der Beklagten bereits vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin im Jahre 2012 bekannt gewesen sei, dass der von der Volkswagen AG hergestellte und von der Beklagten in das hier in Rede stehende Fahrzeug eingebaute Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet gewesen sei. Daher treffe sie der Vorwurf der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung der Fahrzeugerwerber von diesem Zeitpunkt an in gleichem Maße.8

Die Beklagte habe die Kenntnis ihrer Organe von dem Mangel des verwendeten Motors zwar bestritten, jedoch sei dies aus prozessualen Gründen unbeachtlich. Trotz des mehr als deutlichen Hinweises des [OLG-]Senats im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 30. Juli 2020, dass der Vortrag der Klägerin zum Kenntnisstand bei der Beklagten

„Mir ist aus dem Internet und der Presse bekannt, dass Herr U.   W.  , der ehemalige verantwortliche Leiter für Dieselmotoren bei der Beklagten, vor dem Arbeitsgericht Heilbronn unter dem Aktenzeichen        ein Verfahren gegen die Beklagte führt und in diesem Rahmen angegeben hat, dass seit mindestens 2012 Kenntnis bei Herrn R.   S.    (d. i. der frühere Vorstandsvorsitzende der Beklagten) bestanden habe“

hinreichend substantiiert sei, habe sich diese ausdrücklich darauf beschränkt, diesen Vortrag „als nicht hinreichend einlassungsfähig“ zu qualifizieren. Das sei jedoch verfehlt, denn der Vortrag der Klägerin sei ohne Weiteres einlassungsfähig und die Beklagte wäre aufgrund ihres Kenntnisstandes auch in der Lage gewesen, sich hierzu zu erklären.10

Der damit als unstreitig anzusehende vorstehend zitierte Tatsachenvortrag der Klägerin genüge als Indiz für die Feststellung, dass tatsächlich entsprechende Kenntnis bei den Organen der Beklagten vorhanden gewesen sei. Wenn sich der verantwortliche Leiter für Dieselmotoren in einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung mit der Beklagten damit verteidige, dass der Vorstandsvorsitzende zu einem bestimmten Zeitpunkt Kenntnis von der Mangelhaftigkeit des Motors Typ EA 189 gehabt habe, so belege dies zumindest, dass er selbst zu diesem Zeitpunkt entsprechende Kenntnis gehabt habe, denn anderenfalls bräuchte er sich nicht auf die Kenntnis seines Vorgesetzten, des Vorstandsvorsitzenden, zu berufen. Aber auch U.    W.     sei als Organ der Beklagten im Sinne des § 31 BGB anzusehen, dessen Wissen sich die Beklagte zurechnen lassen müsse.

II.

Diese Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.12

Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach den §§ 826, 31 BGB nicht bejaht werden. Das Berufungsgericht hat nicht rechtsfehlerfrei angenommen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) der Beklagten die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. In Sonderheit kann mit der gegebenen Begründung nicht davon ausgegangen werden, dass dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten R.    S.     bereits vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin bekannt war, dass der von der Volkswagen AG hergestellte und von der Beklagten in das Fahrzeug der Klägerin eingebaute Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war. Das Gleiche gilt bezüglich des ehemaligen Leiters der Abteilung für die Entwicklung von Dieselmotoren der Beklagten U.     W.   .13

1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, Sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht. Ob ein Verhalten Sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 14 f; vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn. 17 f und vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20, WM 2021, 2056 Rn. 20).14

Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, handelt ein Automobilhersteller gegenüber einem Fahrzeugkäufer Sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 aaO Rn. 16 ff; vom 8. März 2021 aaO Rn. 19 und vom 16. September 2021 aaO Rn. 21).15

Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer – billigend in Kauf genommenen – Unrechtmäßigkeit geschieht (BGH, Urteil vom 16. September 2021 aaO Rn. 22 mwN). Ein sittenwidriges Vorgehen kommt dabei auch dann in Betracht, wenn die für den beklagten Fahrzeughersteller handelnden Personen wussten, dass die von der Muttergesellschaft gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren, und die vom Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (BGH, Urteil vom 8. März 2021 aaO Rn. 21).16

2. Ein derartiges Vorstellungsbild hat das Berufungsgericht im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte entsprechend § 31 BGB einzustehen hat, nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.17

a) Das gilt zunächst hinsichtlich der von ihm angenommenen Kenntnis des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten R.    S.   . Das Berufungsgericht sieht das Bestreiten der Kenntnis ihrer Organe von dem Mangel des verwendeten Motors durch die Beklagte als aus prozessualen Gründen unbeachtlich an und meint, der als unstreitig anzusehende Tatsachenvortrag der Klägerin zu dem prozess vor dem Arbeitsgericht Heilbronn zwischen U.    W.    und der Beklagten, nach welchem U.    W.   dort angegeben habe, „dass seit mindestens 2012 Kenntnis bei Herrn R.     S.    bestanden habe“, genüge als Indiz für die Feststellung, dass tatsächlich entsprechende Kenntnis bei den Organen der Beklagten vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin vorhanden gewesen sei; es sei nicht ansatzweise erkennbar, warum sich die Beklagte hierzu nicht erkläre, den Vortrag vielmehr „als nicht hinreichend einlassungsfähig“ qualifiziert habe.18

Damit hat das Berufungsgericht der Beklagten – der Sache nach – eine sekundäre Darlegungslast auferlegt, obschon deren Voraussetzungen nach dem der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegenden Verfahrensstoff nicht als gegeben angesehen werden können.19

aa) Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, setzt jedenfalls voraus, dass das (unstreitige oder nachgewiesene) Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (BGH, Urteile vom 8. März 2021 aaO Rn. 28 und vom 16. September 2021 aaO Rn. 27).20

bb) Daran fehlt es hier. Insbesondere ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin, U.    W.   habe in einem prozess vor dem Arbeitsgericht Heilbronn angegeben, „dass seit mindestens 2012 Kenntnis bei Herrn R.    S.    bestanden habe“, ein solcher Anhaltspunkt nicht.21

(1) Der Tatrichter ist grundsätzlich darin frei, welche Beweiskraft er den Indizien im Einzelnen und in einer Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst. Revisionsrechtlich ist seine Würdigung jedoch darauf zu überprüfen, ob er alle Umstände vollständig berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (BGH, Urteile vom 22. Januar 1991 – VI ZR 97/90, NJW 1991, 1894, 1895 und vom 11. Juni 2015 – I ZR 19/14, NJW 2016, 942 Rn. 19).22

(2) Auch gemessen an diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab ist die Würdigung des Berufungsgerichts, aus dem Vorbringen der Klägerin im Hinblick auf die Äußerungen des U.    W.   vor dem Arbeitsgericht Heilbronn ergebe sich ein Anhaltspunkt („Indiz“) für die „Kenntnis“ R.    S.    „bereits vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin im Jahre 2012“, unvollständig und daher nicht tragfähig.23

(a) Das betrifft zum einen die Würdigung dieses Vorbringens in zeitlicher Hinsicht. Am 10. August 2012 schloss die Klägerin mit der B.      GmbH in K.     den Kaufvertrag über das Fahrzeug. Das Berufungsgericht entnimmt dem genannten Vorbringen ein Indiz dafür, dass die Organe der Beklagten damals bereits „Kenntnis“ hatten. Aus der Angabe, dass jemand von einem Umstand „seit mindestens 2012 Kenntnis“ hat, ergibt sich hingegen nicht ohne Weiteres und schon gar nicht zwingend, dass diese Kenntnis auch schon vor dem 10. August 2012 vorhanden war. Die Würdigung des Berufungsgerichts ist insoweit lückenhaft.24

(b) Zum anderen lässt die Würdigung des genannten Vorbringens durch das Berufungsgericht in inhaltlicher Hinsicht nicht erkennen, woraus es folgert, dass sich die „Kenntnis bei Herrn R.    S.    „, von der U.   W.   nach dem Vortrag der Klägerin vor dem Arbeitsgericht Heilbronn gesprochen hatte, auf die Abschalteinrichtung in Motoren des Typs EA 189 und damit (auch) auf die Verwendung einer solchen Abschalteinrichtung im Fahrzeug der Klägerin bezogen habe. Ohne Weiteres ist der Aussage nicht zu entnehmen, wovon der damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten im Einzelnen „Kenntnis“ gehabt haben soll. Insoweit ist die Würdigung ebenfalls lückenhaft.25

Darüber hinaus lässt sie wesentlichen Prozessstoff außer Acht, nämlich Vortrag der Beklagten, den sie in der Klageerwiderung vom 6. März 2019 sowie im Schriftsatz vom 14. Juli 2020 gehalten hat:26

(aa) So hat die Beklagte dargelegt, dass die Entwicklung des Motors vom Typ EA 189 allein von der Volkswagen AG verantwortet worden und durch deren Mitarbeiter am Standort Wolfsburg erfolgt sei, ohne dass Mitarbeiter der Beklagten daran beteiligt gewesen wären (Schriftsatz vom 14. Juli 2020, Seite 6 bis 9). Auch die Anpassung der Motorsteuerungssoftware an das Fahrzeug Audi A 4 sei von der Volkswagen AG vorgenommen worden, der die Beklagte hierzu Fahrzeugtypen zur Verfügung gestellt habe (Schriftsatz vom 14. Juli 2020, Seite 10 f). Mit dieser Anpassung sei die Softwareentwicklung abgeschlossen gewesen. Der Software-Datencontainer habe bei dem Lieferanten der Hardware für die Motorsteuerung gelegen, von dem die Beklagte das fertige Motorsteuerungsgerät mit dem zugehörigen Software-Container bezogen habe (Schriftsatz vom 14. Juli 2020 aaO). Die Entwicklung des EA 189-Motors durch die Volkswagen AG und die Produktion des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Beklagte seien daher getrennt voneinander zu betrachten. Die Repräsentanten der Beklagten seien an der Entwicklung dieses Motors nicht beteiligt gewesen (Schriftsatz vom 14. Juli 2020, Seite 11).27

Des Weiteren hat die Beklagte vorgebracht, dass sie auch selbst Dieselmotoren entwickle, nämlich Sechs- und Acht-Zylinder-Motoren, die sich vom Motor des Typs EA 189 technisch wesentlich unterschieden (Schriftsatz vom 14. Juli 2020, Seite 7). Die von U.   W.   am Standort Neckarsulm geleitete Abteilung N/EA-6 sei ausschließlich für die Entwicklung dieser Motoren zuständig und an der Entwicklung des Motors vom Typ EA 189 nicht beteiligt gewesen (Schriftsatz vom 14. Juli 2020, Seite 7 f). In dem als Anlage BB 3 vorgelegten Konzernlagebericht sei dargestellt, dass verschiedene Fahrzeugmodelle mit von der Beklagten entwickelten V6- und V8-TDI-Motoren von der Dieselthematik auf den unterschiedlichen Märkten betroffen seien.28

(bb) Auch diese Umstände hätte das Berufungsgericht in seine Würdigung der Aussage des U.    W.   zur „Kenntnis bei Herrn R.    S.    “ einbeziehen müssen. Wenn vor ihrem Hintergrund zwischen der Beklagten und dem ehemaligen Leiter der Abteilung für die Entwicklung von Dieselmotoren ein arbeitsgerichtliches Verfahren geführt wurde, liegt es nahe, dass Pflichtverletzungen bei der Entwicklung der V6- und V8-TDI-Motoren, für die U.   W.   verantwortlich war, Gegenstand der arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung waren. Wenn dieser im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens angab, R.    S.    habe seit mindestens 2012 Kenntnis gehabt, liegt es ebenso nahe, dass sich die Kenntnis auf Unregelmäßigkeiten bei den V6- und V8-TDI-Motoren bezog. Das Berufungsgericht hätte daher begründen müssen, weswegen es diese naheliegende Möglichkeit nicht für gegeben erachtet hat.29

Gegen die Annahme, dass die „Kenntnis“ (auch) die Abschalteinrichtung in Motoren des Typs EA 189 umfasste, spricht nach dem Vorbringen der Beklagten außerdem, dass das gegen R.    S.    geführte Ermittlungsverfahren keine Motoren des Typs EA 189 zum Gegenstand habe (Klageerwiderung vom 6. März 2019, Seite 18) und wegen Sachverhalten mit Bezug zur Entwicklung des EA 189-Motors von deutschen Verfolgungsbehörden kein Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter der Beklagten geführt werde (Schriftsatz vom 14. Juli 2020, Seite 9). Auch damit hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt.30

b) Dieselben Erwägungen gelten bezüglich der vom Berufungsgericht angenommenen „Kenntnis“ des U.   W.   . Mit der im Berufungsurteil gegebenen Begründung kann weder davon ausgegangen werden, dass dieser schon zum Erwerbszeitpunkt am 10. August 2012 Kenntnis von einer Abschalteinrichtung hatte, noch dass sich diese auf die Abschalteinrichtung in Motoren des Typs EA 189 erstreckte. Infolgedessen kann dahinstehen, ob U.    W.    überhaupt als Repräsentant der Beklagten im Sinne des § 31 BGB anzusehen ist.

III.

Soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten entschieden hat, ist das Berufungsurteil daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Klageabweisung durch den Senat scheidet aus, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da beide Vorinstanzen den Vortrag der Klägerin – anders als der Senat – als ausreichend angesehen haben, muss ihr noch Gelegenheit gegeben werden, ergänzend zu einer etwaigen Kenntnis der Beklagten von der unzulässigen Abschalteinrichtung zum Erwerbszeitpunkt vorzutragen (vgl. BGH, Urteile vom 8. März 2021 aaO Rn. 38 und vom 16. September 2021 aaO Rn. 35).

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Schlagworte: Darlegungs- und Beweislast, Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes, Dieselskandal, sekundäre Darlegungslast