Eine erneute Parteianhörung durch das Berufungsgericht kann dann erforderlich werden, wenn sich das erstinstanzliche Gericht – etwa aufgrund von Zeugenaussagen – von dem Gegenteil dessen überzeugt hat, was eine Partei in einer persönlichen Anhörung erklärt hat, und in den Urteilsgründen von der Würdigung dieser Parteierklärung ganz abgesehen hat.
Eintrag lesenGerichtsurteile und Gerichtsbeschlüsse für GG Art. 103
BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2022 – VI ZR 361/21
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 138 Abs. 2
Die offenkundig unrichtige Nichtberücksichtigung eines Bestreitens wegen mangelnder Substantiierung verletzt Art. 103 Abs. 1 GG.
Eintrag lesenBGH, Urteil vom 20. September 2022 – 1 StR 14/22
Strafverurteilung wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr u.a. I Einziehung eines einem Gesellschafter als Bestechungslohn eingeräumten Gesellschaftsanteils I Vermögenbetreuungspflicht des Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH gegenüber der KG
1. Verlangt ein Gesellschafter die Zahlung von Bestechungsgeldern an das Unternehmen, so kommt eine Einziehung deren Wertes bei ihm persönlich nur insoweit in Betrecht, als diese an ihn weitergeleitet wurden. Die Wertsteigerung seines Anteils genügt hierfür nicht ohne weiteres.
2. Die Wieder-Beendigung einer Beteiligung schließt eine Einziehung nach § 73e Abs. 1 StGB nicht aus, weil der Bestechende nicht „Verletzter“ ist und gemäß § 817 BGB auch kein Bereicherungsanspruch besteht.
3. Auch wenn es sich bei dem empfangenden Unternehmen lediglich um einen formalen Mantel gehandelt und keine Vermögenstrennung mit dem Gesellschafter stattgefunden hat, kann der der Gesellschaft zugeflossene Wert der Taterträge auch bei ihr eingezogen werden. Es besteht hier eine gesamtschuldnerische Haftung mit dem Gesellschafter.
4. Der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH ist auch gegenüber der KG vermögensbetreuungspflichtig i.S.v. § 266 StGB und kommt bei der Zahlung von Bestechungsgeldern aus dem Vermögens der KG als Untreuetäter in Betracht.
Eintrag lesenBGH, Beschluss vom 16. August 2022 – VI ZR 342/21
Zum Vorliegen einer Gehörsverletzung bei unterbliebener ausdrücklicher Auseinandersetzung mit zentralem Parteivortrag im Urteil.
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann aber dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 8. November 2016 – VI ZR 512/15, VersR 2017, 316 Rn. 6; vom 10. Mai 2022 – VI ZR 219/21, juris Rn. 5 mwN). Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht unter anderem dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und – soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft – in den Gründen zu bescheiden (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2020 – VI ZR 265/19, MDR 2020, 750 Rn. 5 mwN; vom 8. Juni 2021 – VI ZR 1272/20, juris Rn. 6).
Eintrag lesenBGH, Beschluss vom 21. Juni 2022 – VI ZR 1067/20
Zum Vorliegen einer Gehörsverletzung bei unterbliebener ausdrücklicher Auseinandersetzung mit zentralem Parteivortrag im Urteil.
Eintrag lesenOLG München, Urteil vom 06.04.2022 – 7 U 9421/21
Kollusives Zusammenwirken bei der Veräußerung von GmbH-Anteilen I Nichtigkeit sowohl des Verkaufs als auch der Abtretung I Erreichen eines Abstimmungsverbots mit Mitteln der einstweiligen Verfügung
1. Besteht bei der Veräußerung von GmbH-Geschäftsanteilen ein kollusives Zusammenwirken der Geschäftsführer von Erwerberin und Veräußerin , so ist sowohl das Verpflichtungsgeschäft als auch das Verfügungsgeschäft in Form der Abtretung der Geschäftsanteile sittenwidrig und damit gemäß § 138 BGB nichtig. Für einen Antrag auf Rückübertragung der Geschäftsanteile fehlt es in diesem Fall am Rechtsschutzbedürfnis. Zulässig und begründet ist jedoch ein Antrag auf Zustimmung zur Zuordnung eines Widerspruchs zur Gesellschafterliste.
2. Das Erreichen eines Abstimmungsverbots mit den Mitteln einer einstweiligen Verfügung ist ausnahmsweise statthaft, wenn infolge einer kollusiven Veräußerung von Geschäftsanteilen der Erwerber sich als Alleingesellschafter der GmbH geriert und der wahre Gesellschafter als nunmehr Außenstehender nicht die Möglichkeit hat, von etwaigen Beschlussfassungen Kenntnis zu erlangen, so dass nicht gewährleistet ist, dass der wahre Gesellschafter mit den Mitteln nachgehenden Rechtsschutzes die von dem Erwerber als Nichtberechtigter gefassten Beschlüsse wieder beseitigen kann.
Eintrag lesenBGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – 3 StR 329/21
Strafbare Untreue I Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft
1. Bei der Leitung der Geschäfte des Unternehmens steht dem Vorstand einer Aktiengesellschaft ein weiter Handlungsspielraum zu, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit nicht vorstellbar ist.
2. Eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung i.S.d § 266 StGB liegt erst dann vor, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss. Diese zum Aktienrecht entwickelten, mittlerweile als sog. Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierten Grundsätze sind auch Maßstab für eine Pflichtverletzung i.S.d. § 266 Abs. 1 StGB (Festhaltung BGH, Urteil vom 27. Januar 2021 – 3 StR 628/19, NStZ 2021, 738).
3. Eine Pflichtverletzung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliegt und sich der Leitungsfehler auch einem Außenstehenden förmlich aufdrängen muss (Festhaltung BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – 3 StR 403/19, wistra 2021, 324).
4. In der konkreten Entscheidungssituation muss der Vorstand einer AG sämtliche ihm verfügbaren tatsächlichen und rechtlichen Informationsquellen ausschöpfen. Ist eine auf dieser Grundlage getroffene Entscheidung aus Sicht eines ordentlichen Kaufmanns vertretbar, so kommt ein strafrechtlich relevantes Verhalten nicht in Betracht.
Eintrag lesenBGH, Beschluss vom 27. Januar 2022 – III ZR 195/20
Möchte ein Gericht von ihm dem Internet entnommene Tatsachen als offenkundig im Sinne des § 291 ZPO seinem Urteil zugrunde legen, muss es den Parteien durch einen Hinweis die Möglichkeit zur Stellungnahme geben. Ein Hinweis kann nur dann unterbleiben, wenn es sich um Umstände handelt, die den Parteien ohne Weiteres gegenwärtig sind und von deren Entscheidungserheblichkeit sie wissen (Fortführung von BGH, Urteile vom 8. Oktober 1959 – VII ZR 87/58, BGHZ 31, 43, 45 und vom 6. Mai 1993 – I ZR 84/91, NJW-RR 1993, 1122, 1123; Beschluss vom 7. Mai 2020 – IX ZB 84/19, NJW-RR 2020, 868 Rn. 15).
Eintrag lesenBGH, Beschluss vom 18. Mai 2021 – 1 StR 62/21
Untreue im geschäftlichen Verkehr: Vorliegen eines Vermögensnachteils bei Abverfügungen und Überweisungen von einem Geschäftskonto zu eigenen Gunsten
1. Der Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB ist ein selbständiges, neben den Voraussetzungen der Pflichtverletzung stehendes Tatbestandsmerkmal, das nicht in dem Merkmal der Pflichtwidrigkeit aufgehen darf. Er ist, abgesehen von einfach gelagerten und eindeutigen Fällen, eigenständig zu ermitteln, gegebenenfalls anhand üblicher Maßstäbe des Wirtschaftslebens zu konkretisieren und zu beziffern.
2. Ein Vermögensnachteil tritt nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung dann nicht ein, wenn die Tathandlung selbst zugleich einen den Verlust aufwiegenden Vermögenszuwachs begründet (hier: Befreiung von Verbindlichkeiten).
3. Hat der Täter einen Geldanspruch gegen das von ihm verwaltete Vermögen (hier: einer Europäischen Genossenschaft aus Vergütungsansprüchen für Geschäftsführertätigkeit), so fehlt es an einem Schaden, wenn er über das Vermögen in entsprechender Höhe zu eigenen Gunsten verfügt.
Eintrag lesenBGH, Beschluss vom 28. Januar 2021 – III ZR 157/19
Entnahme von Kapital in erheblichem Umfang aus einem Kapitalanlagemodell durch den Betreiber I Aufklärungspflicht gegenüber den Investoren mit noch ausstehenden Ratenzahlungen; Schadensersatzanspruch wegen Schutzgesetzverletzung und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auch wegen Wertminderung der Beteiligung
1. Den Betreibern eines Anlagemodells, die diesem Anlagemodell nach der Zeichnung durch die Anleger Kapital in erheblichem Umfang zu eigenen Zwecken entziehen, haben eine Garantenpflicht aus Ingerenz, aus der sich die Verpflichtung ergibt, zumindest die Investoren, die noch künftig Raten zu zahlen haben, über die erfolgte Kapitalentziehung aufzuklären (Festhaltung BGH, 8. März 2017, 1 StR 466/16, BGHSt 62, 72).
2. Bei Nichterfüllung der Aufklärungspflicht kann den betroffenen Investoren ein Schadensersatzanspruch wegen Betrugs durch Unterlassen (§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB) zustehen.
3. Die betroffenen Investoren können Ersatz ihres Ratenzahlungsschadens auch aus § 826 BGB beanspruchen, da sich Schädigungsbewusstsein und -wille des Betreibers des Anlagemodells bei der „Ausplünderung“ des Fonds zumindest bedingt auch auf dessen Anleger als mittelbar Geschädigte bezogen haben und die Schädigung im Verhältnis zu diesen ebenfalls sittenwidrig gewesen ist.
4. Die Investoren haben wegen der Wertminderung der Beteiligung dem Grunde nach einen Anspruch aus § 826 BGB und aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB), denn auch die Schädigung des Vermögens einer (Kommandit-)Gesellschaft kann zu einem Vermögensnachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB führen, wenn sie gleichzeitig das Vermögen der Gesellschafter berührt, sich also – was bei nicht wertentsprechend ausgeglichenen Entnahmen aus dem Fondsvermögen regelmäßig anzunehmen ist – auch nachteilig auf deren Vermögen auswirkt.
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