GenG §§ 53, 54, 55, 63, 63a
1. § 54 GenG schreibt die Pflicht zur Mitgliedschaft in einem Prüfungsverband vor, schließt aber die Mitgliedschaft in weiteren Prüfungsverbänden nicht aus. Grundsätzlich erlaubt das Gesetz daher die Mitgliedschaft einer Genossenschaft in mehreren Prüfungsverbänden.
2. Dabei ist jeder der Prüfungsverbände, dem die Genossenschaft angehört, zur Pflichtprüfung nach § 53 GenG berechtigt. Weder aus dem Wortlaut des Gesetzes, § 55 Abs. 1 S. 1 GenG, noch aus Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt sich ein primäres Prüfungsrecht des Verbandes, dem die Genossenschaft zuerst beigetreten ist. Auch dem Verband ländlicher und gewerblicher Genossenschaften e.V. ist von der zuständigen obersten Landesbehörde nach § 63 GenG das Prüfungsrecht verliehen worden, was nach § 63a GenG Gewähr für die Erfüllung der einem Prüfungsverband übertragenen Aufgaben bietet.
3. Allerdings würde der Gesetzeszweck überspannt werden, wenn die Genossenschaft der Pflichtprüfung durch jeden Verband, dem sie angehört, ausgesetzt wäre. Die Pflicht zu einer Mehrfachprüfung durch alle Verbände, in denen sie Mitglied ist, wäre nicht verfassungsgemäß, auch wenn die zusätzliche Mitgliedschaft frei gewählt wurde. Darauf läuft aber die Auffassung von Beuthlen hinaus, der die Prüfungspflicht jedes anerkannten Prüfungsverbandes betont (WfG 2012, 715/716, III. 1. und 2.).
4. Ob bei Mitgliedschaft einer Genossenschaft in mehreren Prüfungsverbänden ein Wahlrecht der Genossenschaft besteht, welcher der Verbände die nach § 53 GenG vorgesehene Pflichtprüfung durchführt, ist streitig und obergerichtlich ungeklärt.
5. Nach einer Auffassung habe die Genossenschaft ein freies Wahlrecht und könne von Geschäftsjahr zu Geschäftsjahr neu entscheiden, welchen Prüfungsverband sie mit der Pflichtprüfung betraut (Metz in: Lang/Weidmüller, 33. Auflage 1997, § 54 GenG, Rn 43/44; Röhrich in Hettrich/Pöhlmann/Gräser/Röhrich, 2. Auflage, § 54, Rn 7; Bauer, Genossenschaftshandbuch, § 55, Rn 12; Müller, Kommentar zum Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, 2. Auflage, 1998, § 54, Rn 51; Faerber/Garbe in ZfgG 2011, 277, 282). Nach dieser Ansicht stehe der Dauerbetreuungscharakter der Pflichtprüfung einem Wechsel des Pflichtprüfers nicht entgegen, weil der „ältere“ Prüfungsverband meist schon mehrere Jahre zuvor die Genossenschaft geprüft haben wird. Die Freigabe der Prüferwahl im Falle der Doppelmitgliedschaft sei außerdem verfassungsrechtlich geboten. Wenn auch die Pflicht zur Mitgliedschaft in einem Prüfungsverband gemessen an Art. 9 2 GG noch zulässig sein möge und eine Prüfung durch einen frei gewählten Wirtschaftsprüfer keine gleichwertige Gewähr für das Erreichen des Gesetzeszweckes durch engmaschige Dauerprüfung biete, so könne das jedenfalls nicht im Verhältnis von Prüfungsverbänden gelten, denen das Prüfungsrecht nach § 63a GenG verliehen wurde. Zudem diene der gelegentliche Prüferwechsel der Qualität der Prüfung. Es würden dadurch alte Strukturen aufgebrochen und unvoreingenommen Missstände der Vergangenheit untersucht werden können. Der Gesetzgeber habe vermutlich nur deshalb eine ausdrückliche Regelung des Prüferwechsels unterlassen, weil er sich dieses Problems nicht bewusst gewesen sei. Außerhalb der Genossenschaften habe der Gesetzgeber den Gesellschaften freie wahl bei der Bestimmung des Abschlussprüfers eingeräumt.
6. Die Gegenauffassung lehnt ein freies Wahlrecht der Genossenschaften hinsichtlich der Pflichtprüfung ab (Beuthlen in Wfg 2012, 715 ff.; Korte in: Lang/Weidmüller, 37. Auflage 2011, § 54, Rn 16; Bloehs in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, 4. Auflage, 2012, § 54, Rn 13). Die freie wahl, welcher von mehreren Verbänden, in denen die Genossenschaft Mitglied ist, die Pflichtprüfung durchführen soll, widerspreche dem Schutzzweck der Pflichtprüfung als fortlaufende förderwirtschaftliche Beratungsprüfung. Sie erschöpfe sich nicht in der Abschlussprüfung, sondern erstrecke sich auch auf die Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung. Sie setze deshalb auch nicht von Jahr zu Jahr neu ein, sondern sei auf Dauer angelegt. Das ermögliche dem Prüfungsverband, sich mit der Eigenart und der Entwicklung des genossenschaftlichen Unternehmens besonders vertraut zu machen, die Genossenschaft sachnah zu beraten und zu betreuen. Bei ständig freier wahl drohe Wissensverlust. Denn jeder neue Prüfungsverband müsse sich erst in die jeweiligen Besonderheiten der Genossenschaft einarbeiten. Die unterschiedliche Behandlung von Genossenschaften einerseits und Kapitalgesellschaften andererseits beruhe darauf, dass die genossenschaftliche Verbandsprüfung nicht auf werkvertragliche Gewinnerzielung, sondern auf vereinsrechtliche Kostendeckung angelegt sei. In ihr setze sich der einzelwirtschaftliche Förderzweck jeder Mitgliedsgenossenschaft im Sinne einer gemeinschaftlichen Selbstprüfung fort. Die Möglichkeit der relativ kurzfristigen Kündigung der Mitgliedschaft im Prüfungsverband stehe der Ablehnung eines Wahlrechts bei der Pflichtprüfung nicht entgegen. Durch die Kündigungsmöglichkeit nach allgemeinem Vereinsrecht werde sichergestellt, dass sich die eingetragene Genossenschaft jeweils dem Verband anschließen könne, in dem sie sich wiederum möglichst langfristig räumlich und fachlich am besten aufgehoben fühle. Denn das diene der Funktionsfähigkeit der Prüfung. Die in der Satzung bestehenden Kündigungsfristen sollten aber nicht mittels vorzeitigen Beitritts zu einem anderen Prüfungsverband und eines dann einsetzenden Wahlrechts unterlaufen werden können.
7. Der Senat vertritt eine vermittelnde Auffassung. Der Charakter der Pflichtprüfung als fortdauernde förderwirtschaftliche Beratungsprüfung (Beuthlen, a.a.O. IV. 1.) steht einer Übertragung der Pflichtprüfung auf einen anderen Verband nicht entgegen, weil die gleiche Situation im Falle des binnen einer maximalen Kündigungsfrist von zwei Jahren möglichen Austritts des Verbandsmitglieds eintreten würde. Es kann aber gute Gründe geben, dem Erstverband weiter anzugehören, aber die Pflichtprüfung einem anderen Verband zu übertragen. Die Genossenschaft zu zwingen, zur Klarheit der Rechtsverhältnisse die Mitgliedschaft im Erstverband insgesamt zu kündigen, ginge zu weit.
8. Der Genossenschaft steht bei Mitgliedschaft in mehreren Verbänden i.S.d. §§ 54, 63f GenG ein Wahlrecht zu, welcher Verband die Pflichtprüfung übernimmt. Dieses Wahlrecht besteht aber nicht uneingeschränkt, sondern steht unter der vereinsrechtlichen Rücksichtnahme- und Treuepflicht und hat sich an dem gesetzlichen Sinn und Zweck der Pflichtprüfung zu orientieren.
9. Die Genossenschaft trifft eine vereinsrechtliche treue-, zumindest Rücksichtnahmepflicht, die die Einhaltung einer Karenzzeit bei Entzug der Kernaufgabe, Pflichtprüfung, verlangt. Im Prüfungsverbandssystem der Genossenschaften gilt der dem Genossenschaftsgedanken nicht ferne Gedanke der Binnensolidarität (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19.01.2001, 1 BvR 1759/91, Rn. 35). Das gebietet hier die Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Verbandsmitglieder und des Verbandes. der sich selbst auf die veränderten Verhältnisse einstellen können muss. Bis zum Ablauf einer angemessenen Frist bleibt die Genossenschaft an die von ihr übernommenen Pflichten nach der Satzung des Prüfungsverbands gebunden.
10. Schließlich wäre auch bei einer unbefristeten Wahlmöglichkeit zu jeder Zeit tatsächlich der Gesetzeszweck gefährdet. Das Bundesverfassungsgericht hat die Einrichtung der Pflichtmitgliedschaft in einem Prüfungsverband verbunden mit der Pflichtprüfung durch diesen Verband als grundrechtskonform angesehen, weil die Regelung notwendig sei, eine ordnungsgemäße Geschäftsführung der Genossenschaften und die Transparenz ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse sicherzustellen. Die gesetzlichen Regelungen dienten damit dem Schutz der Genossenschaftsmitglieder, Gläubiger und der Allgemeinheit (BVerfG, a.a.O. Rn. 27/28). Die Position der Genossenschaftsmitglieder im Innenverhältnis zur Genossenschaft solle durch Kontrolle der Erfüllung des Förderzwecks, § 1 Abs. 1 GenG, ebenso gesichert und gestärkt werden, wie wirtschaftliche Nachteile für die Genossen durch Folgen von Nachschuss- und Haftungspflichten im Rahmen der Prüfung der Wirtschaftlichkeit vermieden werden sollen. Die der eigentlichen Prüfung nachgeordnete sog. Prüfungsverfolgung stelle sicher, dass bei der Prüfung festgestellte Mängel auch tatsächlich beseitigt würden. Auf der anderen Seite sollen Gläubiger der Genossenschaft vor Schaden bewahrt werden. Dadurch diene das Prüfungssystem im Ergebnis dem Zweck, die Rechtsform der Genossenschaft als Mittel zur Selbstverwaltung und Selbstorganisation tendenziell wirtschaftlich Schwacher aufrecht zu erhalten und die Voraussetzungen zu schaffen, dass diese Rechtsform im Wirtschaftsleben bestehen kann. Damit schütze das Prüfungssystem angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung von Genossenschaften im Wirtschaftsleben auch die Allgemeinheit und die Stabilität des gesamten Wirtschaftssystem. Das engmaschige Kontrollsystem der Pflichtprüfung wirke sich auf die Geschäftspolitik der Genossenschaften aus, weil mit der engen Einbindung der Prüfungsverbände eine faktische Einflussnahme auf die Geschäftspolitik der Vorstände verbunden sei (BVerfG, a.a.O. Rn 30). Die mit der Pflichtmitgliedschaft einhergehende Monopolisierung des genossenschaftlichen Prüfungsrechts sei zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele gerade geeignet und führe zum Ausgleich struktureller Defizite der Genossenschaft. Gerade die Tatsache, dass für die Genossenschaften keine oder nur geringe Chancen bestünden, unbequemen Prüfern bzw. einem unbequemen Verband auszuweichen, sieht das Bundesverfassungsgericht als Vorteil des gesetzlichen Prüfungssystems an (BVerfG, a.a.O. Rn. 34). Denn dies gewährleiste die Einbindung der Genossenschaft und die Dauerhaftigkeit des Prüfungsverhältnisses. Für das Funktionieren des Prüfungssystems sei eben auch die finanzielle und organisatorische Basis der Prüfungsverbände unerlässlich. Diese Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, stehen einem „freien“, zeitlich nicht befristetem Wahlrecht, dass die Möglichkeit eröffnet, sich anlässlich jeder anstehenden Prüfung neu zu entscheiden (so aber Müller, a.a.O. Rn 51) entgegen.
11. Ob die Ausübung des Wahlrechts durch die Genossenschaft gegenüber dem Erstverband eine „Teilkündigung“ verlangt (BGH, Urteil vom 10.07.1995, I ZR 102/94, Juris, Rn 24, letzter Satz; Lang/Weidmüller, 37.Auflage, 2011, § 54, Rn 16) kann dahinstehen. Zumindest bedarf es einer eindeutigen Erklärung über den Entzug der Prüfungsaufgabe gegenüber dem Erstverband.
12. Die Frist richtet sich nach den satzungsmäßigen Bestimmungen. Sie kann sich an § 39 Abs. 2 BGB (i.V.m. § 63b Abs. 1 GenG) orientieren. Fehlt eine satzungsmäßige Bestimmung gilt die in der Satzung vorgesehene Kündigungsfrist bei Beendigung der Mitgliedschaft entsprechend.
13. Eine Kündigungsfrist von 24 Monaten verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, Art. 9 Abs. 3 GG. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 29.07.2014, II ZR 243/13), betrifft einen anderen Sachverhalt, und zwar die Kündigungsfrist in der Satzung eines in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins organisierten Arbeitgeberverbandes. Der Bundesgerichtshof hat eine Kündigungsfrist von mehr als 6 Monaten als mit der individuellen Koalitionsfreiheit der Mitglieder unvereinbar angesehen. In diesem Sinne hatte der Bundesgerichtshof schon für den Austritt der Mitglieder aus einer Gewerkschaft entschieden (BGH, Urteil vom 29.07.2014 a.a.O., Rn 25 m.w.N.). Die Pflichtmitgliedschaft in (mindestens) einem gesetzlichen Prüfungsverband unterscheidet sich jedoch von der Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden oder Gewerkschaften, die immer nur freiwillig ist. Auch die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts (Nichtannahmebeschluss vom 19.01.2001, 1 BvR 1759/91, a.a.O.) sprechen für die Wirksamkeit einer zweijährigen Kündigungsfrist, die eine längere Bindung an den Prüfungsverband ermöglicht.
Schlagworte: Genossenschaft, Kündigung, Pflichtprüfung, Prüfungsverband, Wahlrecht