Einträge nach Montat filtern

Thüringer OLG, Urteil vom 17.07.2013 – 2 U 815/12

GmbHG § 64; InsO § 17

1. § 64 Abs. 2 GmbHG in der bis zum 31. Oktober 2008 geltenden Fassung ist als insolvenzrechtliche Norm anzusehen und nach Art. 4 Abs. 1 EUInsVO auf eine nach englischem Recht gegründete Limited anzuwenden, nachdem das Insolvenzverfahren über deren Vermögen in Deutschland eröffnet worden ist.

2. § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz a. F. dient ebenso wie die insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechte ausschließlich dem Zweck, eine vor Konkurseröffnung eingetretene Schmälerung der Konkursmasse zu Gunsten der Konkursgläubiger auszugleichen. Mit der Haftung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Haftung
Haftung des Geschäftsführers
nach § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz a. F. hat der Gesetzgeber der Masse ein zusätzliches Mittel zur rationellen Wiederauffüllung der ihr vorher entzogenen Vermögenswerte zur Verfügung gestellt. Anstatt eine unter Umständen erhebliche Vielzahl von Prozessen gegen verschiedene Anfechtungsgegner führen zu müssen, braucht der Konkursverwalter bei Durchsetzung des Ersatzanspruchs gegen den Geschäftsführer nur einen einzigen Rechtsstreit zu führen (BGH, Urteil vom 18. Dezember 1999, II ZR 277/94, zitiert nach juris, Rn. 8, 10). Die Regelung hat den Zweck, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern bzw. für den Fall, dass der Geschäftsführer dieser Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherzustellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht (BGH, Urteil vom 5. Mai 2008, II ZR 38/07, zitiert nach juris, Rn. 10). Soweit es um den Ersatz des Gesamtgläubigerschadens geht, ist der Anspruch dem Insolvenzstatut zuzuordnen. Der Anspruch entsteht nämlich nicht nur mit der Insolvenzeröffnung, sondern dient auch der Durchsetzung insolvenzpolitischer Ziele, nämlich dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung. Da Sinn und Zweck der Verschleppungshaftung auch darin liegt, Lücken in § 64 Satz 1 GmbH-Gesetz zu schließen, sind beide Vorschriften nicht unterschiedlich zu qualifizieren (Baumbach/Hueck-Haas, GmbH-Gesetz, 20. Auflage, § 64 GmbH-Gesetz, Rn. 148). § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz a.F. ist daher als Insolvenzrecht zu qualifizieren (KG, Urteil vom 24. September 2009, 8 U 250/08, zitiert nach juris, Randnummer 25 – 42, m. w. N.; Borges, Gläubigerschutz bei ausländischen Gesellschaften mit inländischem Sitz, ZIP 2004, 733, 739/740).

3. Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 InsO). Der unmittelbare (betriebswirtschaftliche) Nachweis der Zahlungsunfähigkeit erfolgt durch die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz. Die im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel sind zu den in demselben Zeitpunkt fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten in Beziehung zu setzen. Überschreitet der Quotient aus diesem Bruch nicht 0,9, liegt in der Regel Zahlungsunfähigkeit vor (Kreft-Kirchhof, Insolvenzordnung, 6. Auflage, § 17 Insolvenzordnung, Rn. 25).

4. In die Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten mit den liquiden Mitteln sind auch bestrittene Forderungen einzustellen, solange nicht objektiv Zweifel an deren Bestand bestehen. Denn die Begriffsbestimmung der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO enthält nur objektive Merkmale. Sie stellt für sich nicht auf deren zutreffende Erkenntnis durch die Beteiligten oder auf ein Verschulden des Schuldners ab (Kreft-Kirchhoff, a. a. O., § 17 Insolvenzordnung, Rn. 5). Die Tatsache, dass der Schuldner die Forderung bestreitet, wird daher dann erheblich, wenn auch objektiv ernsthafte Zweifel am Bestand bzw. der Durchsetzbarkeit der Forderung bestehen (Baumbach/Hueck-Haas, aaO, § 64 GmbH-Gesetz, Rn. 34c).

5. Nach dem Nachweis der Zahlungsunfähigkeit ist deren Fortbestand bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu vermuten (Baumbach/Hueck-Haas, § 64 GmbH-Gesetz, Rn. 92).

6. Die Zahlungsunfähigkeit kann auch mit Hilfe von Indizien nachgewiesen werden, die eine Zahlungseinstellung belegen, welche wiederum nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO eine widerlegbare Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit begründet (Baumbach/Hueck-Haas, a. a. O., § 64 GmbH-Gesetz, Rn. 42b, 41).

7. Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus. Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist. Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Eröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von einer Zahlungseinstellung auszugehen. Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. Sind derartige Indizien vorhanden, bedarf es nicht einer darüber hinausgehenden Darlegung und Feststellung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder gar einer Unterdeckung von mindestens 10 %. Dafür kann auch ein Vortrag ausreichend sein, der zu bestimmten Punkten lückenhaft ist, eine Ergänzung fehlender Tatsachen aber schon auf der Grundlage von Beweisanzeichen zulässt. Es obliegt dann dem Tatrichter, ausgehend von den festgestellten Indizien eine Gesamtabwägung vorzunehmen, ob eine Zahlungseinstellung gegeben ist (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011, IX ZR 134/10, zitiert nach juris, Rn. 12f.). Beweisanzeichen sind unter anderem eigene Erklärungen des Schuldners, nicht zahlen zu können oder einen Insolvenzantrag gestellt zu haben (Kreft-Kirchhof, a. a. O., § 17 Insolvenzordnung, Rn. 32).

8. Zahlungen von beträchtlicher Höhe stehen einer Zahlungseinstellung nicht entgegen, sofern die unerfüllt gebliebenen Verbindlichkeiten nicht unwesentlich sind, was der Fall ist, wenn die Liquiditätslücke 10 % erreicht oder übersteigt (Kreft-Kirchhof, a. a. O., § 17 Insolvenzordnung, Rn. 21,22).

9. Der Anspruch verjährt gemäß § 64 Abs. 2 Satz 3 a. F., 43 Abs. 4 GmbHG in fünf Jahren ab seiner Entstehung, § 200 Satz 1 BGB (Baumbach/Hueck-Zöllner/Noack, a. a. O., § 43 GmbH-Gesetz, Rn. 57).

Schlagworte: fällige Verbindlichkeiten bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Geschäftsführer, GmbHG § 64 Satz 1, Haftung, Haftung wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO, Indizien der Zahlungsunfähigkeit, innerhalb der folgenden drei Wochen fällig werdenden Passiva, Insolvenz, Insolvenzverfahrensverschleppung, Insolvenzverschleppung, Liquiditätsbilanz, Liquiditätslücke, Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit, Nichtzahlung eines erheblichen Teils, Passiva II, Verjährung, Zahlungen nach Insolvenzreife, Zahlungseinstellung, Zahlungsunfähigkeit, Zahlungsverweigerung