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Thüringer OLG, Urteil vom 02.05.2012 – 7 U 971/11

BGB §§ 412, 613a

1. Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt der Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ein (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB). Auf diesen Rechtsübergang sind gemäß § 412 BGB die Vorschriften der §§ 399 bis 404, 406 bis 410 BGB entsprechend anzuwenden (Staudinger/Annuß, BGB, Neubearb. 2011, § 613a Rn. 153; Wank, in: Richardi/Wlotzke, Münchener Handbuch zum Arbeitsrechtrecht, BGB, 2. Aufl. 2000, § 124 Rn. 146; Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl. 2012, § 613a Rn. 22).

2. Das dem Betriebsübergang zugrunde liegende Rechtsgeschäft erfordert keine unmittelbaren Beziehungen zwischen dem bisherigen Inhaber und dem Erwerber des Betriebs. Der Begriff des Rechtsgeschäfts im Sinne von § 613a Abs. 1 S. 1 BGB ist weit auszulegen und umfasst auch Fälle der Fortführung einer wirtschaftlichen Einheit im Rahmen vertraglicher oder sonstiger rechtsgeschäftlicher Beziehungen, ohne dass unmittelbare Vertragsbeziehungen zwischen dem bisherigen Inhaber und dem Erwerber bestehen müssen (Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl. 2012, § 613a Rn. 14). Als solches Rechtsgeschäft kommen in Betracht ein Kaufvertrag, Pachtvertrag, Schenkungsvertrag, Rückgabe an einen Vorpächter u.a. (Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl. 2012, § 613a Rn. 17). Auch die Übernahme eines mit einem Dritten geschlossenen Dienstleistungsvertrags führt zum Übergang des Betriebs oder des betroffenen Betriebsteils.

3. Es kann offen bleiben, ob der Übernehmer des Betriebs Eigentum an den Personalunterlagen erwirbt (Abgrenzung zu Buschmann, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 9. Aufl. 2004, § 83 Rn. 5a; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 25. Aufl. 2010, § 83 Rn. 9 a. E.). Sein Herausgabeanspruch gegen den bisherigen Betriebsinhaber ergibt sich jedenfalls aus §§ 412, 402 BGB. Der Betriebsübernehmer bedarf sämtlicher Personalunterlagen, um seine Rechte aus dem übergegangenen Arbeitsverhältnissen geltend zu machen. Zu diesen Rechten gehört auch das arbeitsrechtliche Direktionsrecht des Arbeitgebers. Durch die Übergabe der Arbeitsverträge wird er in die Lage versetzt, die Arbeitsleistung einzufordern. Durch die Übergabe von Zeugnissen, Lebensläufen, Beurteilungen, Weiterbildungsurkunden, Gesundheitsattesten, Schriftwechsel usw. wird es ihm ermöglicht, sein Direktionsrecht ordnungsgemäß auszuüben und den jeweiligen Arbeitnehmer nach Ausbildungsstand, Fähigkeit, Eignung, Werdegang, Leistungen und gesundheitlicher Belastbarkeit zu beurteilen und einzusetzen. Hierzu bedarf er der Personalakten, so dass diese nach § 402 BGB an ihn herauszugeben sind.

4. Der Senat schließt sich trotz der gegenteiligen Ansicht im arbeitsrechtlichen Schrifttum (Gallner, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 12. Aufl. 2012, BUrlG § 2 Rn. 35) der Auffassung des Bundesgerichtshofs an (Anschluss BGH, 25. März 1999, III ZR 27/98, NJW 1999, 2962 und BGH, 4. Juli 1985, IX ZR 172/84, NJW 1985, 2643; ebenso Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl. 2012, § 613a Rn 24; Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 12. Aufl. 2012, BGB § 613a Rn. 137; Neumann/Fenski, BUrlG, 10. Aufl. 2011, § 4 Rn. 58 a.E.; Hohmeister/Goretzki/Oppermann, BUrlG, 2. Aufl. 2008, § 1 Rn. 78 und § 6 Rn. 3), dass im Falle des Betriebsübergangs der neue Inhaber gegen den bisherigen Inhaber des Betriebs wegen des an die Arbeitnehmer in deren Urlaub gezahlten Arbeitsentgelts einen Anspruch auf Ausgleich unter Gesamtschuldnern hat.

5. Eine Gesamtschuldnerschaft nach 421 BGB setzt nicht völlige Gleichheit der geschuldeten Leistungen voraus. Es genügt vielmehr eine enge Verwandtschaft der beiderseitigen Verpflichtungen, die sich auf dasselbe Leistungsinteresse des Arbeitnehmers beziehen. § 421 BGB setzt nur voraus, dass beide Schuldner zu der gleichen Leistung rechtlich verpflichtet sind, nicht aber, dass jeder die geschuldete Leistung – den Urlaub – auch tatsächlich noch gewähren kann (BGH NJW 1985, 2643 f., Tz. 16,19).

Schlagworte: Auskunfts-/Einsichts-/Informations-/Kontrollrechte, Betriebsaufspaltung, Betriebsübergang, Betriebsüberlassungsvertrag