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Thüringer OLG, Beschluss vom 22.08.2007 – 6 W 244/07

GmbHG § 66; AktG § 273

Wird eine englische Limited im Register ihres Heimatstaats wegen Nichterfüllung ihrer Publizitätspflichten gelöscht, so fällt in Deutschland belegenes Vermögen nicht an die englische Krone. Zum Zwecke der Liquidation besteht die Limited im Hinblick auf ihr in Deutschland belegendes Vermögen als Restgesellschaft fort. Der Liquidator der Restgesellschaft wird vom zuständigen Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen bestellt.

Für die in das Gesellschaftsregister des Companies House in Cardiff eingetragene Limited gilt nach den Entscheidungen des EuGH in Sachen ,,Centros” (EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97, DB 1999, 625 = GmbHR 1999, 474), „Überseering” (EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00, DB 2002, 2425 = GmbHR 2002, 1137) und „Inspire Art” (EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01, DB 2003, 2219 = GmbHR 2003, 1260 m. Komm. W. Meilicke), dass auch dann, wenn die Gesellschaft ausschließlich in Deutschland tätig wird, das Gesellschaftsrecht ihres Gründungsstaats (Ort der Eintragung) maßgebend ist, also vorliegend englisches Gesellschaftsrecht (vgl. nur BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 [1649] = GmbHR 2005, 630). Vor diesem Hintergrund hat das LG Gera zu Recht darauf abgestellt, dass die Limited seit dem 29.8.2006 infolge der Missachtung der Erfüllung der englischen Publizitätspflichten aus dem Gesellschaftsregister in Cardiff gestrichen und damit gelöscht, d.h. nach englischem Recht nicht mehr existent ist (Sec. 642 A CA 1985). Das in England belegene Vermögen der Limited ist infolge der Löschung nach englischem Gesellschaftsrecht (Sec. 654 CA) der britischen Krone zugefallen. Während die Auflösung der Limited für den Rechtsverkehr in deren Heimatland ausdrücklich anzuerkennen ist, weil sich die Frage der Entstehung und Beendigung einer Gesellschaft nach ihrem Gesellschaftsstatut beurteilt, muss jedoch angesichts des Grundsatzes, dass die dingliche Rechtslage von Sachen sich nach dem Recht des Lageorts bestimmt (lex rei sitae – vgl. Art. 43 Abs. 1 EGBGB) und der daraus abzuleitenden gebietsbeschränkenden Wirkung des Vermögensanfalls bei der englischen Krone im Hinblick auf das in Deutschland belegene Vermögen der Limited vom Fortbestand der Gesellschaft ausgegangen werden. Die gelöschte Gesellschaft ist in Ansehung des in Deutschland belegenen Vermögens als fortbestehend anzusehen, soweit dies zur Abwicklung des Restvermögens im Interesse der Gesellschafter sowie insbesondere potentieller Gesellschaftsgläubiger, denen auf diese Weise die im Inland gelegene Haftungsmasse erhalten bleiben soll, erforderlich ist. Dem entspricht die Theorie der Restgesellschaft, die von der Rechtsprechung und ganz überwiegenden Meinung in der Literatur für die Fälle entwickelt wurde, in denen eine Gesellschaft, die durch staatliche Zwangseinwirkung in ihrem Heimatland vernichtet wurde, Vermögenswerte außerhalb des enteignenden Staats inne hat (vgl. BGH v. 25.9.1989 – II ZR 53/89, DB 1989, 2422 sowie BGH v. 30.9.1991 – II ZR 47/91, WM 1991, 1881; ausführlich Staudinger/Großfeld, BGB, 1998, 13. Bearb., IntGesR, Rz. 832 ff.; Kindler in Münch.Komm. zum BGB, 3. Aufl., Bd. 11, IntGesR, Rz. 997 ff.). Nach der Lehre von der Restgesellschaft kann Rechtsträger des außerhalb des enteignenden Staats belegenen Vermögens wegen des Territorialitätsprinzips weder der enteignende Staat noch ein sonst von der Enteignung Begünstigter sein. Einer Behandlung als herrenloses Gut oder rechtsträgerlose Vermögensmasse stehen die Interessen der bisherigen Vermögensinhaber entgegen. Eine Übertragung auf die Gesellschafter der vernichteten Gesellschaft nach Bruchteilen oder zur gesamten Hand soll den Gläubigern der aufgelösten Gesellschaft nicht zumutbar sein, die dadurch ggf. einer Vielzahl von Schuldnern gegenüberstehen würden (vgl. zu allem Staudinger/Großfeld, BGB, 1998, 13. Bearb., IntGesR, Rz. 840).

Die vorstehenden Überlegungen, die zur Entwicklung der Lehre von der Restgesellschaft geführt haben, sind auf den Fall der nach englischem Gesellschaftsrecht gelöschten Limited im Hinblick auf deren in Deutschland belegenes Vermögen ohne weiteres übertragbar und auch sachgerecht. Die Interessen der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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an der Erhaltung des außerhalb des Gründungsstaats gelegenen Vermögens sowie insbesondere die Interessen möglicher Gesellschaftsgläubiger, auf diese Haftungsmasse zurückgreifen zu können, rechtfertigen es, die Beendigung der Gesellschaft für das in Deutschland belegene Vermögen nicht anzuerkennen. Insbesondere ist es für die inländischen Gläubiger nicht zumutbar, wollte man sie auf den Weg verweisen, ihre Ansprüche in einem aufwendigen und komplizierten Verfahren gegenüber dem Companies House durchzusetzen. Die Limited besteht demnach mit ihrem nicht der englischen Krone angefallenen Vermögen als sog. Restgesellschaft in Deutschland fort.

Nach der Lehre von der Restgesellschaft ist in den Fällen der Enteignung der Gesellschaft für die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Restgesellschaft die Organstellung nach den Regeln des alten Gesellschaftsstatuts maßgebend (vgl. Staudinger/Großfeld, BGB, 1998, 13. Bearb., IntGesR, Rz. 863, m.w.N.), d.h. dass grundsätzlich das bisherige Vertretungsorgan die Restgesellschaft vertritt, weil die Enteignung die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der bisherigen Organe nicht mit Wirkung für das Vermögen außerhalb des enteignenden Staats beendet hat. Danach wäre der Beteiligte zu 2) befugt, die Restgesellschaft weiterhin zu vertreten, die Bestellung eines Nachtragsliquidators wäre nicht erforderlich.

Der dahinter stehende Gedanke der größtmöglichen Schonung des Gesellschaftsstatuts für den Fall, dass die Gesellschaft einer Enteignung ausgesetzt ist, kann nach Auffassung des Senats jedoch nicht auf den zur Entscheidung stehenden Fall übertragen werden. Da die Limited infolge der Versäumung der Publizitätspflichten ihres vormaligen directors aus dem englischen Gesellschaftsregister gelöscht wurde, d.h. das nach dem Gesellschaftsstatut der englischen Limited zur Vertretung der Gesellschaft berechtigte Organ infolge seines säumigen Verhaltens die am Ende einer Reihe von Maßnahmen zur Durchsetzung der Publizitätspflichten stehende Sanktion der Löschung der Gesellschaft aus dem Register ursächlich herbeigeführt hat, erscheint es dem Senat nicht sachgerecht, von einer Kontinuität des Geschäftsführer- bzw. Liquidatorenamts auszugehen und so die bis zur Zwangslöschung der Gesellschaft zur Vertretung befugten Organe – ohne jede Überprüfung ihrer Eignung für die im Interesse der Gesellschafter und Gesellschaftsgläubiger anstehende Abwicklung der Vermögensangelegenheiten der Restgesellschaft – erneut mit den Aufgaben der Vertretung zu betrauen. Der Senat hält es vielmehr in den Fällen der Löschung der ausländischen Gesellschaft wegen Versäumnissen der bisherigen Vertretungsorgane für angezeigt, entspr. § 66 Abs. 5 GmbHG, § 273 Abs. 4 AktG Nachtragsliquidatoren zu bestellen und so dem zuständigen Gericht die Auswahl zu überlassen, ob die vormaligen Vertretungsorgane oder Dritte mit der Abwicklung der Restgesellschaft betraut werden.

Die Entscheidung des LG ist entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 3) auch insofern frei von Rechtsfehlern, als das LG die Zuständigkeit des Erstgerichts für die Bestellung eines Nachtragsliquidators bejaht hat. Da die Limited (bisher) weder einen Satzungssitz noch die Hauptverwaltung im Inland hatte und auch keine eingetragene Zweigniederlassung existiert, ist hinsichtlich der Zuständigkeit zur Bestellung des Liquidators an die Belegenheit des Hauptvermögens anzuknüpfen (so auch Staudinger/Großfeld, BGB, 1998, 13. Bearb., IntGesR, Rz. 807, m.w.N.). Hauptvermögen der Limited ist nach dem unbestritten gebliebenen Vorbringen des weiteren Beteiligten das Grundstück in P, woraus sich die Zuständigkeit des AmtsG – RegG – Jena für die beantragte Eintragung eines Nachtragsliquidators ergibt. Soweit der Beteiligte zu 2) sich auf Art. 60 der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO) berufen hat, folgt daraus kein abweichender Gerichtsstand. Art. 60 EuGVVO beantwortet lediglich die Frage nach der internationalen Zuständigkeit, d.h. in welchem Land gerichtliche Streitigkeiten auszutragen sind. Welches inländische Gericht letztlich zuständig ist, beurteilt sich demgegenüber allein nach der nationalen Prozessordnung des international zuständigen Staats. Dass für die Eintragung eines Nachtragsliquidators in das deutsche Handelsregister nur ein deutsches Gericht zuständig sein kann, wird aber von keiner der Parteien angezweifelt.

Schlagworte: Auflösung, Handelsregister, Limited, Löschung, Löschung im Gesellschaftsregister, Rest- und Spaltungsgesellschaft, Restgesellschaft