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ArbG Schwerin, Urteil vom 29. Januar 2003 – 11 Ca 1566/02

§ 823 Abs 1 BGB, § 388 BGB, § 138 ZPO, § 286 ZPO, § 287 ZPO – Gelddiebstahl durch Arbeitnehmer

1. Kommen der Arbeitgeber und der der Geldentnahme beschuldigte Arbeitnehmer ihrer Darlegungs- und Beweislast nach § 138 ZPO nicht hinreichend nach, kann das Gericht nach § 287 Abs 1 ZPO die streitige Frage, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse beläuft, nach freier Überzeugung entscheiden.

2. Eine erklärte Aufrechnung des Arbeitgebers mit Schadensersatzansprüchen wegen Entnahme gegenüber der Nettoentgeltforderung des Arbeitnehmers ist zulässig.

Tenor

1.Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner 1.954,01 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz ab dem 06.06.2002 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

2.Der Kläger wird verurteilt, an die Beklagten als Gesamtgläubiger 446,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz ab dem 09.09.2002 zu zahlen.

Im übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

3.Die Kosten des Rechtsstreites werden dem Kläger zu 15 % und den Beklagten zu 85 % auferlegt.
4.Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.326,43 € festgesetzt.
5.Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von den Beklagten 1.658,01 € netto abzüglich aufgerechneter 204,52 € netto nebst Zinsen. Die Beklagte begehrt, dabei von einer Aufrechnung in Höhe von 1.664,77 € ausgehend, widerklagend vom Kläger die Zahlung von 5.872,94 € nebst Zinsen wegen unerlaubter Geldentnahmen. Randnummer2

Die Beklagten betreiben eine Kfz-Werkstatt mit zwei Arbeitnehmern. Der Kläger war bei den Beklagten vom 10.04.1995 bis zum 23.10.2001 beschäftigt. Sein Entgelt für September und Oktober wurde mit zumindest 1.658,01 € netto abgerechnet (Blatt 34 f., 84), aber nicht bezahlt. Der weitere Beschäftigte der Beklagten, … wurde etwa ein bis zwei Jahre nach dem Kläger eingestellt (Blatt 67). In den Jahren 1995 bis 1996 kam es zu Fehlbeträgen in Höhe 20.000,00 DM, auf die die Beklagten durch ihren Steuerberater aufmerksam gemacht wurden (Blatt 67). In den Folgejahren bis einschließlich 18.10.2001 kam es zu Fehlbeträgen in der Größenordnung von 67.000,00 DM einschließlich Zinsen. Die Beklagten wurden von ihrem Steuerberater mehrmals darauf hingewiesen. Die Fehlbeträge wurden als Eigenentnahmen gebucht, wobei die Beklagten damit erst nach einem kontroversen Gespräch mit dem Steuerberater einverstanden waren. Im Jahr 2001 fehlten bis 28.10.2001 15.142,47 DM. Wegen der näheren Einzelheiten des Kassenbuches der Beklagten wird auf Blatt 46 bis 54 der Akte verwiesen. Randnummer3

Die Beklagten hatten im Verkaufsraum eine Registrierkasse. Abends Entnahmen sie das Geld bis auf 100,00 DM und Kleingeld und legten es in eine Sammelkasse im Büro. Die Sammelkasse befand sich in einem Koffer und enthielt einen unverschlossenen Blechkasten. Der Inhalt des Blechkastens wurde 10 bis 20 mal im Jahr zur Bank gebracht. In ihm befanden sich manchmal bis zu 30.000,00 DM (Blatt 69). Die Beklagten konnten dem Kläger durch eine Videokamera die Entnahme von insgesamt 400,00 DM am 11.10. und 15.10.2001 nachweisen. Der Kläger entnahm einmal butterbrotkauend das Geld. Am 18.10.2001 stellten die Beklagten den Kläger gegen 17.30 Uhr im Büro zur Rede. Sie stellten eine Fehlsumme von 67.000,00 DM in den Raum. Die Reaktion des Klägers auf die Anschuldigungen ist zwischen den Parteien im Streit. Randnummer4

Der Kläger verfolgt seinen Entgeltanspruch mit am 06. bzw 07.06.2002 zugestellter Klage (Blatt 15 f.), die ursprünglich noch auf den Bruttobetrag gerichtet war. Die Beklagten erheben mit am 09.09.2002 zugestelltem Schreiben vom 30.08.2002 Widerklage wegen der Fehlsummen für 2001 und erklären zugleich die Aufrechnung. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf Blatt 30 bis 34 der Akte verwiesen. Randnummer5

Der Kläger behauptet, er habe in dem Gespräch am 18.10. nicht zugegeben, über die 400,00 DM hinaus Gelder entnommen zu haben. Der Kläger gibt an, sich an seine Reaktion auf die den Vorwurf der Entnahme von 67.000,00 DM nicht mehr genau zu erinnern. Der Kläger behauptet, er habe nur 400,00 DM entnommen. Randnummer6

Der Kläger beantragt, Randnummer7

die Beklagte zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 1.658,01 € netto abzüglich aufgerechneter 204,52 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen sowie die Widerklage abzuweisen. Randnummer8

Die Beklagten beantragen, Randnummer9

die Klage abzuweisen sowie widerklagend den Kläger zu verurteilen, an die Beklagten als Gesamtschuldner 5.872,94 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Randnummer10

Die Beklagten behaupten, der Kläger habe seit Anfang 2001 insgesamt 15.142,47 DM entnommen. Sie sind der Ansicht, es sei nicht anzunehmen, dass eine andere Person das Geld entnommen habe. Sie behaupten, der Kläger habe am 18.10.2001 in Anwesenheit beider Beklagten und nachher noch einmal in zusätzlicher Anwesenheit seiner Frau mitgeteilt, er habe seit Anfang 2001 in unregelmäßigen Abständen Geld entnommen, jedoch nicht 67.000,00 DM. Die Familie habe sich in finanziellen Schwierigkeiten befunden. Randnummer11

Die Beklagten tragen vor, sie selber hätten keine Entnahmen aus der Kasse vorgenommen, die nicht im Kassenbuch dokumentiert seien. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass Herr T. Geld entnommen habe. Randnummer12

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Akte bis einschließlich Blatt 87 verwiesen. Das Gericht hat die Parteien zum Wortlaut der Gespräche am 18.10.2001 angehört. Wegen der näheren Einzelheiten des Ergebnisses der Parteianhörung wird auf das Protokoll vom 29.01.2003 (Blatt 83 – 86 der Akte) verwiesen. Die Akte der Staatsanwaltschaft Schwerin 148 JS 31162/01 lag bei Entscheidungsfindung vor.

Entscheidungsgründe

1.

Die Klage ist zum Teil begründet und zum Teil unbegründet. Die Widerklage ist zum Teil begründet und zum Teil unbegründet. Die Beklagten haben einen Schadensersatzanspruch gegen den Kläger in Höhe von 950,00 €, der in Höhe von 504,00 € durch Aufrechnung untergegangen ist. Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Entgeltzahlungsanspruch in Höhe von 1.658,01 €, der in Höhe von 504,00 € durch Aufrechnung untergegangen ist. Die zuerkannten Zinsansprüche ergeben sich aus §§ 286 291 BGB, Art. 229 § 7 EGBGB.

2.

Der Nettoentgeltanspruch des Klägers in Höhe von 1.658.01 € ist zwischen den Parteien nicht im Streit.

3.

Die Beklagten haben gegen den Kläger einen Schadensersatzanspruch wegen unerlaubter Entnahme von Geld aus der Geldkassette in Höhe von 950,00 €. Das Gericht ist unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung, der vorgetragenen Tatsachen sowie der Darlegungs- und Beweislast zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger 950,00 € entnahm. Der Anspruch ergibt sich aus einer Verletzung des Arbeitsvertrages, aber auch aus §§ 823 BGB, 242 StGB.

3.1.

Bei Zugrundelegung des Vortrags der Beklagten hat der Kläger den Beklagten Schadensersatz allein für das Jahr 2001 in Höhe von 14.172,47 DM oder 7.742,22 € zu leisten. Denn nach dem Vortrag der Beklagten hat der Kläger in dieser Größenordnung gestohlen. Dieser Vortrag ist aus den im Folgenden darzulegenden Gründen nicht zugrunde gelegt werden.

3.2.

Nach dem Vortrag des Klägers besteht lediglich ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 400,00 DM oder 204,52 € netto. Nach dem Vortrag des Klägers fanden die weiteren Entnahmen zwar statt, jedoch durch andere Personen, die der Kläger nicht benennt. Dieser Vortrag des Klägers kann nicht uneingeschränkt zugrunde gelegt werden.

3.3.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung sprechen sowohl Argumente für wie auch gegen die Darstellung sowohl des Klägers wie auch der Beklagten.

3.3.1.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist das Gericht fest davon überzeugt, dass der Kläger bei seiner Anhörung am 18.10. gegen 17.30 Uhr vor Erscheinen seiner Frau zugab, er habe seit Anfang 2001 in unregelmäßigen Abständen Geld entnommen, jedoch deutlich weniger als 67.000,00 DM. Das Gericht glaubt der entsprechenden Darstellung des Beklagten zu 1. am 29.01.2003, und zwar insbesondere deswegen, weil der Kläger auf Nachfrage angab, er könne sich nicht mehr daran erinnern, was er gesagt habe, als man ihm die Summe von 67.000,00 DM nannte. Weiterer Beweis zu dieser Äußerung war nicht zu erheben, da der Kläger nach Anhörung des Beklagten zu 1. und des Klägers auf weitere Anhörungen und Zeugenvernahmen verzichtete. Für die Kammer kommt es nicht darauf an, ob der Kläger die soeben dargestellte Äußerung in Anwesenheit seiner Frau nochmals wiederholte.

3.3.2.

Auf Grund der dargestellten Äußerung ist die Kammer fest davon überzeugt, dass der Kläger über 400,00 DM hinaus weitere Summen klaute. Diese Überzeugung der Kammer betrifft den Zeitraum ab dem 01.01.2001. Der Vortrag des Klägers, er habe nicht mehr als 400,00 DM geklaut, ist aus Sicht der Kammer widerlegt.

3.3.3

Das Gericht konnte sich nach Anhörung der Beklagten nicht davon überzeugen, dass im Jahr 2001 keine Entnahmen durch andere Personen als den Kläger stattfanden, denn es kam zu erheblichen Fehlbeträgen auch in den Jahren 1999 und 2000. Sofern diese Fehlbeträge nicht auf den Kläger zurückzuführen sind, besteht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass der für die Fehlbeträge in den Jahren 1999 und 2000 Verantwortliche auch für einen Teil der Fehlbeträge des Jahres 2001 verantwortlich ist. Hauptverdächtige für die Verantwortlichkeit für diese Fehlbeträge sind die beiden Beklagten. Sie hatten die besten Möglichkeiten, Geld an sich zu nehmen. Weitere Verdächtige sind der Kläger, der andere Mitarbeiter sowie die Mitbewohner in den Wohnungen der Beklagten, mit Ausnahme der Kleinkinder. Randnummer22

Dem Gericht ist das Verhalten der Beklagten vor Sommer 2001 nicht plausibel geworden. Das Gericht hätte erwartet, dass mit Entdeckung der ersten Fehlmengen ab sofort gründlicher mit der Kasse umgegangen wird, z. B. abgeschlossen wird, regelmäßig gezählt wird und gegebenenfalls auch Kassenübergaben stattfinden. Die Tatsache, dass derartige zu erwartende Verhaltensweisen nicht stattfanden, lässt Fragen offen und gibt Raum für Mutmaßungen. Die naheliegendste Erklärung für das Verhalten der Beklagten ist, dass einer oder (wahrscheinlicher) beide Beklagten in erheblichem Umfang selbst Geld Entnahmen oder gemutmaßte unerlaubte Entnahmen durch Geschäftspartner oder Lebensgefährten deckten. Randnummer23

Die Darstellung der Beklagten wäre nachvollziehbarer gewesen, wenn feststünde, zu welchem Datum welche Summe fehlte. Die Erklärungen der Beklagten, warum Maßnahmen zur Ermittlung genau dieser Tatsache unterblieben, sind nicht nachvollziehbar. Randnummer24

Das Gericht hält es nach alledem für hochgradig wahrscheinlich, dass auch andere Personen als der Kläger im Jahr 2001 Geld Entnahmen.

3.4.

Der Kläger ist seiner Darlegungslast nicht nachgekommen. Nach § 138 ZPO hat sich jede Seite zu den von der Gegenseite erklärten Tatsachen zu erklären, wobei Rechtsfolge der Nichterklärung ist, dass die von der Gegenseite vorgetragene Tatsachen als zugestanden anzusehen sind. Randnummer26

Der Kläger hat trotz eigener Geldentnahme über 400,00 DM hinaus nicht dazu vorgetragen, wieviel er entnahm. Das spricht dafür, nach § 138 den Vortrag der Beklagten zur vom Kläger entnommenen Summe als zugestanden anzusehen. Randnummer27

Der Anwendbarkeit der Rechtsfolge nach § 138 ZPO steht nicht entgegen, dass der Kläger sich bei Zugabe weiterer Entnahmen dem Risiko einer weiteren strafrechtlichen Verfolgung aussetzt. Der Kläger hat zwar im Strafprozess ein Aussageverweigerungsrecht und kann auch im Zivilprozess die Aussage verweigern. Dies hat aber aus Gründen der Darlegungs- und Beweislast, wie in § 138 ZPO geregelt, gegebenenfalls Nachteile.

3.5.

Die Beklagten sind ebenfalls ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Grundsätzlich haben die Beklagten die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches darzulegen. Die Beklagten haben nicht zu Einzelheiten vorgetragen, aus denen sich der Umfang der Entnahme durch den Kläger sicher abschätzen lässt. Dieser Umstand würde angesichts des bewussten Schweigens des Klägers zu den Entnahmen dann nicht Schaden, wenn die Beklagten alles das vortrugen, was von einem Kaufmann nach ordnungsgemäßer Buchführung erwartet werden kann. Insbesondere nach Kenntnisnahme bereits erheblicher Barkassenfehlmengen kann erwartet werden, dass täglich der Soll- und der Istbestand der Barkasse verglichen wird, dass nach Fehlmengen zeitnah recherchiert wird, wenn sie bekannt werden, dass die Barkasse in einem abgeschlossenen Behältnis aufbewahrt wird und eine klare Zuständigkeit für den Schlüssel besteht. Eine Kassenzählung bei Schlüsselübergabe bietet sich an. Randnummer29

Stattdessen wurde noch nicht einmal bei Einzahlung in die Bank verglichen, ob zu diesem Zeitpunkt Soll- und Istbestand annähernd übereinstimmen. Die Kasse war nicht nur nicht abgeschlossen, sondern sie wurde auch in verschiedenen Räumlichkeiten mit Zugriffsmöglichkeiten verschiedenster Personen aufbewahrt, nämlich in der Wohnung des Beklagten zu 1, in der Wohnung des Beklagten zu 2 sowie im Büro. Die Kassenzählung wurde durch die steuerrechtlich nicht zugelassene Führung einer Doppelkasse erschwert. Soweit ersichtlich fand eine vollständige Zählung einschließlich des Kleingeldes grundsätzlich nicht statt. Randnummer30

Das Verhalten der Beklagten stellt sich objektiv gesehen als Spurenverwischung dar, wobei eine bewusste Spurenverwischung wahrscheinlicher erscheint als ein Versehen. Randnummer31

Damit haben die Beklagten gleichzeitig sich nicht hinreichend zu der vom Kläger behaupteten Tatsache erklärt, auch andere Personen hätten Geld entnommen. Das Gericht entnimmt dem Verhalten des Klägers, dass der Kläger, wenn auch im Wortlaut nur angedeutet, behauptet, auch andere Personen hätten geklaut bzw. ohne Dokumentation in den Kassenbüchern Geld entnommen. Dabei können die Beklagten sich nicht auf Unkenntnis der jeweiligen Kassenstände berufen. Es ist ihnen zwar zuzugestehen, dass sie sich mutmaßlich nicht mehr persönlich erinnern. Bei Vorgängen im eigenen Geschäfts- und Verantwortungsbereich kann man sich jedoch nur eingeschränkt auf die schlechte Erinnerung berufen. Man hat vielmehr Erkundigungen anzustellen und muss sich durch Einsichtnahme in Aufzeichnungen kundig machen. Gegebenenfalls hat man den Grund der eigenen Unkenntnis darzulegen (Greger in Zöller, ZPO, 23. Auflage, § 138, Randziffer 14, 16). Dabei ist den Beklagten zuzugestehen, dass sich der Kassenstand zu den verschiedenen Zeitpunkten mutmaßlich inzwischen nur noch sehr eingeschränkt anhand der Daten und Summen der Bankeinzahlungen und der sich nach Kassenbuch für diese Zeiten ungefähr ergebenen Summen rekonstruieren lässt. Auch liegt eine nachträgliche Vernichtung von Beweismitteln nicht vor oder ist zumindest nicht zu erkennen. Das Verhalten der Beklagten stellt sich aber als eine vorweg genommene Beweisvereitelung für eventuelle zukünftige Prozesse dar. Wer keine vernünftige Kassenführung betreibt, kann sich im prozess später nur sehr eingeschränkt auf die Nichtkenntnis vom jeweiligen Kasseninhalt berufen. Genauso wie ein Bestreiten mit Nichtwissen nicht zulässig ist, wenn man finanzielle Dingen anderen überlässt, genauso ist ein Bestreiten mit Nichtwissen auch nur eingeschränkt möglich, wenn man finanzielle Dinge ganz sich selbst überlässt. Spätestens nach Auftauchen der erheblichen Bargeldfehlbeträge hätte sich eine andere Vorgehensweise angeboten. Randnummer32

Auf Grund des Verhaltens der Beklagten liegt für das Gericht keine sichere Grundlage für eine Schätzung des vom Kläger verursachten Schadens vor.

3.6.

Bei der Bewertung des Vortrags der Parteien ist das Gericht von den Regelungen in §§ 138, 286, 287 ZPO ausgegangen. Die Regelung in § 138 ZPO wurde bereits dargestellt. Sie führt nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, weil der nach § 138 ZPO wegen fehlendem Vortrag des Klägers zugrundeliegende Vortrag der Beklagten dem nach § 138 ZPO zugrunde zu legenden Vortrag des Klägers wegen fehlendem Vortrag der Beklagten widerspricht. Nach § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr zu erachten ist. Nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann das Gericht über eine streitige Frage, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse beläuft, nach Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung entscheiden. Dabei ist eine Schätzung allerdings unzulässig, wenn sie mangels greifbarer, von klagender Seite vorzutragender Anhaltspunkte völlig in der Luft hängen würde (BGHZ 91, Seite 243, 256). Randnummer34

Bei beiderseits nach § 138 ZPO unzureichendem Vortrag entspricht es dem Grundgedanken von § 286 f. ZPO, die vom Gericht für am Wahrscheinlichsten erachtete Tatsache bzw. Schadenshöhe zugrundezulegen. Randnummer35

Angesichts der beiderseitigen Versäumnisse ist der Bereich der vertretbaren Entscheidungen groß. Vertretbar ist es, unter Berücksichtigung des fehlenden Vortrages der Beklagten zu den Entnahmen einen Betrag in der Größenordnung von 600,00 € anzusetzen, so der Vergleichsvorschlag der Kammer vom 29.01.2003. Vertretbar ist es auch, unter stärkerer Berücksichtigung des fehlenden Vortrages auf Klägerseite einen Schaden in der Größenordnung von 1.658,01 € anzusetzen, so der Vergleichsvorschlag des Vorsitzenden vom 11.11.2002. Randnummer36

Das Gericht hält eine Entnahme in der Größenordnung von 950,00 € für am Wahrscheinlichsten und hat daher so entschieden. Dabei kommt es nicht darauf an, dass auf Grund der damals noch geltenden DM-Beträge möglicherweise eine in DM gerade Summe wahrscheinlicher ist als eine in Euro gerade Summe. Auf diese Einzelheiten kommt es nicht an, da nach Angabe der Beklagten auch zum Teil Kleingeldbeträge eingenommen wurden und diese nicht genau gezählt wurden. Der von den Beklagten angegebene Fehlbetrag stellt in DM eine krumme Summe dar. Randnummer37

Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung insbesondere folgende Gesichtspunkte betont: Randnummer38

Die Äußerung des Klägers, dass er erst seit 2001 stahl, hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Wahrhaftigkeit für sich. Auch bei unterstellter Neigung zum Lügen geht die Kammer davon aus, dass in einer Situation wie der am 18.10. auch eine eher sonst zum Lügen neigende Person tendenziell die Wahrheit sagen würde. Das Gericht geht nicht davon aus, dass der Kläger nur sehr selten oder sehr wenig entnahm. Denn es war bereits eine gewisse Routine bei den Entnahmen erkennbar. Andererseits geht das Gericht auf Grund des Umfangs der Entnahmen in den Vorjahren, bei denen keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Verantwortlichkeit des Klägers besteht, davon aus, dass es noch weitere Personen gibt, die nicht im Kassenbuch dokumentierte Entnahmen vornehmen. Es ist wahrscheinlich, dass die Entnahmen durch andere Personen als den Kläger wie in den Jahren 1995 bis 2000 auch im Jahre 2001 fortgeführt wurden. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass die betreffende Person auf Grund eigener Teilnahme an der Videofilmaktion die Entnahmen vor den Filmmaßnahmen beendete. Randnummer39

Der Kläger kann sich nicht auf weniger Entnahmen als 950,00 € berufen. Dazu hätte er vortragen müssen, wieviel Geld er entnahm. Die Beklagten können sich nicht darauf berufen, dass der Kläger mehr als 950,00 € entnahm. Dazu hätten sie den Verdacht sonstiger Entnahmen stärker ausräumen müssen und mehr zu den Daten der Entnahmen und zu eigenen Maßnahmen zur Verhinderung unbefugter Entnahmen vortragen müssen.

4.

Die erklärte Aufrechnung der Beklagten mit den Schadensersatzansprüchen wegen Entnahme gegenüber der Nettoentgeltforderung des Klägers ist in Höhe von 446,00 € unzulässig und in Höhe von 504,00 € zulässig. Die Aufrechnungserklärung ist hinreichend bestimmt im Sinne von § 388 BGB. Der Aufrechnung steht aber in Höhe von 446,00 € die Pfändungsfreigrenze nach § 394 BGB in Verbindung mit § 850 c ZPO in Verbindung mit der dazugehörigen Tabelle entgegen, wobei das Gericht von keinen Unterhaltspflichten ausgegangen ist. Zu einer abweichenden Festsetzung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung durch das Vollstreckungsgericht nach § 850 f Absatz 2 ZPO ist es bisher nicht gekommen.

5.

In dem Umfang, in dem die Aufrechnung zulässig ist, sind Klagforderung und Widerklagforderung erloschen.

6.

Die Kostenverteilung folgt aus §§ 46 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz, 92 ZPO und entspricht dem Grad des Obsiegens und Unterliegens.

7.

Die Streitwertfestsetzung auf die Summe von Klage und Widerklage entspricht §§ 46 Abs. 2, 61 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz, 3 – 5 ZPO.

8.

Die Berufungszulassung nach § 64 Arbeitsgerichtsgesetz erfolgt wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage der Darlegungs- und Beweislast bei beiderseits unzureichendem Vortrag.

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Schlagworte: Entnahmen, Haftung wegen arbeitsvertraglicher Pflichtverletzung, unbefugte Entnahme aus dem Gesellschaftsvermögen, unbefugte Entnahmen, unberechtigte Entnahmen