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OLG Stuttgart, Urteil vom 15. April 1985 – 2 U 57/85

Unwirksamkeit AufsichtsratsbeschlussBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Aufsichtsratsbeschluss
Unwirksamkeit Aufsichtsratsbeschluss

§ 84 Abs 3 S 4 AktG, § 31 MitbestG, § 935 ZPO, § 626 BGB

1. AktG § 84 Abs 3 S 4, wonach ein Widerruf der Bestellung eines Vorstandsmitgliedes wirksam ist, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist, steht der Feststellung formeller Unwirksamkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen über die Abberufung von Vorstandsmitgliedern/Geschäftsführern und die fristlose Kündigung ihrer Anstellungsverträge im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht entgegen.

2. Aufsichtsratsbeschlüsse sind wegen schwerer Verfahrensfehler insbesondere formell unwirksam, wenn ein Teil der Aufsichtsratsmitglieder zur Sitzung nicht eingeladen war; das gleiche gilt, wenn in einer mitbestimmten Gesellschaft die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer-Aufsichtsratsmitglieder durch unzureichende Information und zu kurze Bemessung der Überlegungsfrist beeinträchtigt waren.

3. Eine Berufung auf das Fehlen der Einladung ist Aufsichtsratsmitgliedern selbst dann nicht verwehrt, wenn sie eine zu kurzfristig anberaumte Aufsichtsratssitzung verlassen und damit den Zugang der Einladung zu einer Abstimmungssitzung, die für einen Zeitpunkt wenige Stunden später anberaumt werden sollte, verhindert haben.

Tenor

1.   Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Ravensburg vom 4. März 1985

abgeändert.

Der Beklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache untersagt, den Widerruf der Bestellung der Geschäftsführer Dr. M F und Dr. K S durch die Beschlüsse des Aufsichtsrats der Beklagten vom 9. Februar 1985 als wirksam zu behandeln, insbesondere den Widerruf der Bestellungen zur Eintragung beim Handelsregister anzumelden.

2.   Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Beklagten Ordnungsgeld bis zu 500.000 DM oder (auch für den Fall, daß das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann) an den zuwiderhandelnden Geschäftsführern zu vollziehende Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.
3.   Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Streitwert:200.000 DM.

Tatbestand

Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
, die den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes unterliegt. Die Kläger sind die sechs Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer des 12-köpfigen Aufsichtsrats der Beklagten. Die Kläger Ziffer 1 und 2 sind außerdem Mitglieder des Ausschusses nach § 27 Abs. 2 MitbestG, der bei der Beklagten nach § 7 Abs. 4 in Verbindung mit § 13 Abs. 3 ihrer Satzung Präsidium genannt wird. Die Beklagte hat als satzungsmäßiges Organ außerdem einen Gesellschafterausschuß, dem der von den Gesellschaftern gewählte Aufsichtsratsvorsitzende und weitere durch Beschluß der Gesellschafter gewählte Mitglieder angehören, darunter zur Zeit die von den Anteilseignern auch als Aufsichtsratsmitglieder gewählten Herren … D und Dr. … E. Randnummer2

Zum 5. Februar 1985 wurden die Mitglieder des Aufsichtsrats der Beklagten zu einer Sitzung über den Tagesordnungspunkt „Vorstandsangelegenheiten“ einberufen. Einen Tag zuvor, also am 4. Februar 1985, fand eine Sitzung des Präsidiums statt. Auf beiden Sitzungen stellte der Aufsichtsratsvorsitzende T die Anträge zur Diskussion, den Sprecher des Vorstandes, Dr. M F, der erst im September 1984 bestellt worden war, und das Vorstandsmitglied Dr. S, der seit über 20 Jahren dem Vorstand der Beklagten oder einer ihrer Tochtergesellschaften angehörte, abzuberufen und fristlos zu entlassen und statt dessen das bisherige Vorstandsmitglied H zum Sprecher zu wählen und als weiteres Vorstandsmitglied den Geschäftsführer der Tochtergesellschaft D R GmbH, L, zu berufen. Für die geltend gemachten Gründe der Abberufung und fristlosen Entlassung wird auf das Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 5. Februar 1985 (Anl. 1/13) verwiesen. Da die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer eine weitere Aufklärung für erforderlich hielten, einigte man sich darauf, am Samstag, 9. Februar 1985, eine weitere Aufsichtsratssitzung durchzuführen, als deren Tagesordnungspunkte die oben genannten Anträge aufgeführt wurden. Randnummer3

Am 8. Februar 1985 gewährte der Aufsichtsratsvorsitzende dem Kläger Ziffer 2 in Frankfurt Einsicht in eine Reihe von Schriftstücken. Um welche Schriftstücke es sich dabei handelte, ist im einzelnen streitig; unstreitig war das Schreiben des Geschäftsführers Dr. F an Herrn T vom 22. Februar 1985 (Anl. K 17 = Bl. 198 der beigezogenen Akten 2 U 52/85) nicht darunter. Die Anfertigung von Kopien für die übrigen Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer wurde vom Aufsichtsratsvorsitzenden T nicht gestattet. Randnummer4

In der Aufsichtsratssitzung vom 9. Februar 1985 äußerten die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer wieder die Auffassung, sie seien noch nicht ausreichend informiert, es sei erforderlich, den Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegenüber dem Aufsichtsrat zu geben (wie es Dr. S in einem Schreiben an alle Aufsichtsratsmitglieder vom 7. Februar 1985 für sich gewünscht hatte, Anl. 9/1 der Akten 2 U 52/85). Sie beanstandeten weiter, daß sie erst aus dem Platow-Brief erfahren hätten, daß für den 14. Februar 1985 eine Gesellschafterversammlung einberufen worden war mit dem Antrag, die Zusammensetzung des Aufsichtsrats zu ändern. Sie beantragten, die Aufsichtsratssitzung auf einen Zeitpunkt nach dem 14. Februar 1985 zu vertagen. Die sechs Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer stimmten für diesen Antrag, die sechs Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner dagegen, so daß der Antrag keine Mehrheit fand. Der Kläger Ziffer 1 erklärte daraufhin, nachdem den Klägern keine Gelegenheit gegeben worden sei, sich weiter zu informieren, sähen sie sich außerstande, weiter an der Sitzung teilzunehmen. Sie verließen den Raum. Der Protokollführer, Dr. W, verteilte nun Einladungen zu einer Präsidiumssitzung gemäß § 31 Abs. 3 MitbestG auf 18.00 Uhr, zu einer weiteren Aufsichtsratsitzung gemäß § 31 Abs. 3 letzter Satz MitbestG auf 18.30 Uhr und zur dritten Aufsichtsratsitzung gemäß § 31 Abs. 4 MitbestG auf 19.00 Uhr. Es ist streitig, ob diese Einladungen auch den Klägern Ziffer 1 und 2 ausgehändigt wurden. Randnummer5

Zu den vorgesehenen Zeitpunkten waren nur Präsidiumsmitglieder und Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner erschienen. Sie beschlossen, die Vorstandsmitglieder Dr. F und S abzuberufen und die Anstellungsverträge mit ihnen fristlos zu kündigen, Herrn H als neuen Vorstandssprecher zu bestellen und Herrn L als neues Vorstandsmitglied zu bestellen. Bei der letzten Abstimmung gab der Aufsichtsratsvorsitzende nach § 31 Abs. 4 MitbestG seine Zweitstimme ab, so daß die Beschlüsse jeweils mit den sechs Stimmen der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner und der Zweitstimme des Vorsitzenden gefaßt wurden. Randnummer6

Am 10. Februar 1985 wurde den betroffenen Vorstandsmitgliedern der Widerruf und die fristlose Kündigung mitgeteilt. Randnummer7

Die Kläger sind der Auffassung, die Beschlüsse über den Widerruf der Bestellung der Vorstandsmitglieder Dr. F und Dr. S seien unwirksam, weil das Verfahren fehlerhaft gewesen sei. Bei den Einladungen zu den Sitzungen des Präsidiums und des Aufsichtsrats seien die in der Satzung vorgeschriebenen Fristen nicht eingehalten worden, die Kläger Ziffer 1 und 2 hätten die Einladung überhaupt nicht erhalten. Vor allem aber seien die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nicht rechtzeitig und nicht ausreichend über die Gründe für den Widerruf der Bestellung informiert worden. Randnummer8

Die Kläger beantragen, Randnummer9

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft Randnummer10

a)   zu verbieten, den Widerruf der Bestellung der Geschäftsführer Dr. M F und Dr. K S, insbesondere durch den Beschluß des Aufsichtsrats vom 9. Februar 1985, festzustellen oder zu vollziehen,

b)   zu gebieten, die Tätigkeitsausübung durch die Geschäftsführer Dr. M F und Dr. K S zu dulden bis ein ordnungsgemäßer Beschluß des Aufsichtsrats der Antragsgegnerin nach § 31 Abs. 3 MitbestG zustandegekommen ist.

Die Beklagte beantragt, Randnummer13

den Verfügungsantrag zurückzuweisen. Randnummer14

Sie ist der Auffassung: Randnummer15

Im Hinblick auf § 84 Abs. 3 S. 4 AktG könne die begehrte Entscheidung nicht in Verfügungsverfahren getroffen werden. Im übrigen liege auch kein Verfahrensmangel vor. Im Hinblick auf die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei Eile geboten gewesen. Randnummer16

Das Landgericht Ravensburg hat den Verfügungsantrag durch Urteil vom 4. März 1985 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, § 84 Abs. 3 S. 4 AktG stehe der Geltendmachung einer formellen Unwirksamkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen zwar nicht entgegen, die Beschlüsse seien aber formell wirksam. Auf die Einhaltung der Fristen sei in der Sitzung vom 5. Februar 1985 verzichtet worden. Die Abberufungsgründe seien am 5. und 9. Februar 1985 ausführlich diskutiert worden. Die Kläger Ziffer 1 und 2 seien so zu behandeln, als hätten sie die Einladung für die weiteren Sitzungen des Nachmittags erhalten, weil sich sich pflichtwidrig der weiteren Teilnahme an der Sitzung und damit der Kenntnisnahme von den Einladungen entzogen hätten. Randnummer17

Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihren Verfügungsantrag weiter, die Beklagte wiederholt ihre Einwendungen. Für die Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Schriftsätze und die vorgelegten Urkunden Bezug genommen. Ferner wird auf die beigezogenen Akten der Verfahren 2 U 51/85 und 2 U 52/85 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

I.

Die einstweilige Verfügung ist nach § 935 ZPO zulässig, weil zu besorgen ist, daß die Mitwirkungsrechte der Aufsichtratsmitglieder der Arbeitnehmer beim Widerruf der Bestellung des Vorstandes der Beklagten verurteilt werden, wenn die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse vom 9. Februar 1985 nur im ordentlichen Verfahren geklärt werden könnte, das möglicherweise durch drei Instanzen geführt werden und damit jahrelang dauern kann. In dieser Zeit könnten die betroffenen, vom Aufsichtsrat früher ordnungsmäßig bestellten Vorstandsmitglieder ihre Tätigkeit nicht ausüben, das Mitwirkungsrecht der Aufsichtratsmitglieder der Arbeitnehmer wäre für diesen Zeitraum endgültig beseitigt. Dazu kommt, daß es zweifelhaft ist, ob die betroffenen Vorstandsmitglieder nach einer solch langen Zeitspanne noch bereit und in der Lage wären, die Tätigkeit wieder aufzunehmen und ob ein solcher erneuter Wechsel dann noch im Interesse der beklagten Gesellschaft liegen würde.

II.

§ 84 Abs. 3 S. 4 AktG, der hier aufgrund der Verweisung in § 31 Abs. 1 MitbestG anzuwenden ist, steht dem Verfügungsantrag nicht entgegen. Die Vorschrift bestimmt, daß der Widerruf der Bestellung eines Vorstandsmitgliedes wirksam ist, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist, was nur im Verfahren der Hauptsache und nicht im Verfügungsverfahren möglich ist. Die Vorschrift setzt jedoch einen formell ordnungsmäßig zustandegekommenen Aufsichtsratsbeschluß voraus (Hefermehl in Gessler-Hefermehl, § 84 AktG, Rdnr. 74; Hachenburg-Mertens, § 38 GmbHG, Rdnr. 66). Sie kann insbesondere nicht dahin ausgelegt werden, daß es einem Teil des Aufsichtsrats möglich sein soll, unter Verletzung von Verfahrensvorschriften Beschlüsse zu fassen und unter Berufung auf § 84 Abs. 3 S. 4 AktG für die Zeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung auch durchzusetzen.

III.

Die Beschlüsse des Aufsichtsrats über den Widerruf der Geschäftsführerbestellung von Dr. F und Dr. S vom 9. Februar 1985 sind wegen schwerer Verfahrensfehler unwirksam. Randnummer22

1.   Die Kläger haben glaubhaft gemacht, daß zumindest der Kläger Ziffer 1 zur Präsidiumssitzung und den weiteren Abstimmungen des Aufsichtsrats im Anschluß daran nicht geladen wurde. Der Kläger Ziffer 1 hat eidesstattlich versichert, daß er kein Exemplar der von Dr. W im Anschluß an den Auszug der Kläger verteilten Einladung erhalten hat. Dr. W, der Protokollführer, konnte nicht bestätigen, daß er dem Kläger Ziffer 1 eine Einladung übergeben hat. Der Kläger Ziffer 6 hat erklärt und bei seiner Zeugenvernehmung in den Parallelverfahren 2 U 51/85 und 2 U 52/85 als Zeuge bestätigt, daß er von Dr. W zwei Einladungen bekommen hat und daß die Kläger Ziffer 1 und 2 beim ersten Zusammentreffen mit ihm nach dem Auszug aus der Sitzung überrascht waren, daß die übrigen Aufsichtsratsmitglieder Einladungen erhalten hatten.

Die Berufung auf das Fehlen der Einladungen ist den Klägern auch nicht deshalb verwehrt, weil sie die anberaumte Aufsichtsratssitzung etwa pflichtwidrig verlassen und damit den Zugang der Einladungen treuwidrig verhindert hätten. Die Kläger mußten nämlich nach ihrem Auszug aus der Sitzung zwar damit rechnen, daß die übrigen Aufsichtsratsmitglieder nun in ihrer Abwesenheit über den Antrag abstimmen würden. Sie brauchten aber nicht damit zu rechnen, daß für diesen Fall noch auf denselben Nachmittag eine Präsidiumssitzung und im Anschluß daran eine Sitzung für zwei weitere Abstimmungen des Aufsichtsrats anberaumt würden. Randnummer24

Das Fehlen der Einladung des Klägers Ziffer 1 wäre unerheblich, wenn die Beklagte hätte nachweisen (im Verfügungsverfahren: glaubhaft machen) können, daß die Beschlüsse auch dann nicht anders ausgefallen wären, wenn der Kläger Ziffer 1 die Einladung erhalten hätte. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Es ist offengeblieben, ob die Präsidiumsmitglieder La und P (Kläger Ziffer 1 und 2) an der Präsidiumssitzung teilgenommen hätten, wenn beide die Einladung erhalten hätten. Durch die Einladungsschreiben war klar, daß die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner entschlossen waren, die Entscheidung noch am selben Tage herbeizuführen. Es läßt sich nicht ausschließen, daß die Kläger Ziffer 1 und 2 unter diesen Umständen versucht hätten, im kleineren Kreise des Präsidiums eine andere Lösung zu finden. Dazu hätte möglicherweise schon der Hinweis geführt, daß jedenfalls für die Bestellung eines neuen Vorstandsmitglieds, möglicherweise auch für die Bestellung eines neuen Vorstandssprechers die in § 31 Abs. 2 MitbestG genannte Frist von einem Monat nicht auf (wie in der Einladung vorgesehen) 30 Minuten abgekürzt werden könnte. Es läßt sich weiter nicht ausschließen, daß die Präsidiumsmitglieder dann im Interesse einer Gesamtlösung einer Vertagung der Entscheidung insgesamt zugestimmt hätten und daß man bis zur neuen Beratung und Abstimmung eine andere Lösung gefunden hätte.

2.   Die Beschlüsse sind aber auch deshalb unwirksam, weil die Mitwirkungsrechte der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer durch unzureichende Information und zu kurze Bemessung der Überlegungsfrist beeinträchtigt wurden. Solche Umstände können einen Beschluß des Aufsichtsrats zwar nur dann unwirksam machen, wenn es sich um grobe Verletzungen der gebotenen Information und um eine völlig unangemessene Abkürzung der Überlegungsfrist handelt. Beides ist hier jedoch nach dem unstreitigen Sachverhalt anzunehmen:

a)   Die Kläger Ziffer 1 und 2 erfuhren erstmals in der Präsidiumssitzung von 4. Februar 1985, die übrigen Kläger erst in der Aufsichtsratssitzung vom 5. Februar 1985 von der Absicht, den Sprecher des Vorstandes und ein weiteres Vorstandsmitglied abzuberufen und die Anstellungsverträge fristlos zu kündigen. Die Tagesordnung für die Einladung („Vorstandsangelegenheiten“) ließ diese Absicht nicht erkennen. Die Gründe für Widerruf und Kündigung waren den Klägern vorher nicht bekannt gemacht worden. Die Korrespondenz zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden und Dr. F, insbesondere die Schreiben vom 21. Dezember 1984 und 30. Dezember 1984 (Anl. 16/30 und 20/30 der Akten 2 U 51/85) wurden den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer nicht vorgelegt, obwohl gerade in diesen beiden Schreiben die der Abberufung zugrundegelegten Umstände eingehend dargestellt sind. Das Schreiben des Wirtschaftsprüfers J an Herrn T (den Vorsitzenden des Aufsichtsrats) vom 30. November 1984 (Bl. 189 der Akten 2 U 52/85) wurde ihnen ebenfalls nicht vorgelegt. Der Kläger Ziffer 2 hat zwar vermutlich diese Schreiben am 7. Februar 1985 in Frankfurt einsehen können, aber keine Kopien anfertigen können, so daß eine wirklich exakte Information der übrigen Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nur bei einem außergewöhnlich guten Gedächtnis möglich gewesen wäre. Das Schreiben Dr. F vom 22. Januar 1985 (Bl. 198 der Akten 2 U 52/85), das zusammen mit seinen Anlagen Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Bedeutung und Auswirkung der Vorwürfe gegen Dr. F und Dr. S ermöglicht hätte, wurde ihnen überhaupt nicht zugänglich gemacht. Eine Diskussion über die Rolle des Herrn H, der als neuer Vorstandssprecher vorgeschlagen war, wurde mit dem Hinweis unterbunden, er sei für das Unternehmen unentbehrlich. Dem Wunsch der Kläger, die Betroffenen anzuhören, wurde nicht entsprochen, obwohl Dr. S ausdrücklich darum gebeten hatte.

Demgegenüber waren die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner zum großen Teil über die dem Widerrufsverlangen zugrundeliegenden Umstände schon seit langem informiert; das gilt mindestens für den Vorsitzenden und für die Aufsichtsratsmitglieder, die zugleich Mitglieder des Gesellschafterausschusses waren. Unter diesen Umständen war den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer eine sachgerechte Argumentation gegenüber den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern unmöglich gemacht. Darin liegt eine so schwere Verletzung des Mitwirkungsrechts der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer, daß sie berechtigt waren, eine Vertagung der Entscheidung zu verlangen. Dementsprechend stellen die Ablehnung der Vertagung und die danach folgenden Abstimmungen schwere Verfahrensfehler dar, die die Beschlüsse vom 9. Februar 1985 nichtig machen.

b)   Hinzu kommt, daß auch die Einladungen zur Präsidiumssitzung und zu den anschließenden Abstimmungen selbst dann verfahrenswidrig waren, wenn man berücksichtigt, daß im Hinblick auf § 626 Abs. 2 BGB eine gewisse Eile geboten war. Die Einladungen wurden nach dem Protokoll gegen 17.40 Uhr verteilt und sahen eine Sitzung des Präsidiums für 18.00 Uhr vor, die weiteren Abstimmungen des Aufsichtsrats nach § 31 Abs. 3 und Abs. 4 MitbestG sollten um 18.30 Uhr und 19.00 Uhr folgen. Damit wurde insbesondere die Zeit für die Einberufung des Präsidiums und die für die Präsidiumssitzung vorgesehene Dauer in einer Weise abgekürzt, die keine sachgemäße Vorbereitung ermöglichte und in der Sitzung selbst keine sachgemäße Erörterung erlaubte, sondern ersichtlich nur noch dazu dienen konnte, eine Entscheidung am gleichen Tage auch gegen den Willen der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer durchzusetzen.

Diese Eile war selbst unter Berücksichtigung der 14-Tagefrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht geboten. Es ist umstritten, wann diese Frist beginnt. Stellt man auf die Kenntnis des Aufsichtsratsvorsitzenden ab, so war sie längst abgelaufen, denn er hatte bereits zwei Monate zuvor Kenntnis erlangt. Stellt man auf die Kenntnis aller Mitglieder ab, so stand noch eine Frist von mehr als einer Woche zur Verfügung. Stellt man darauf ab, daß der Aufsichtsratsvorsitzende in angemessener Frist die übrigen Aufsichtsratsmitglieder unterrichten muß, so kann zweifelhaft sein, wann die Frist im vorliegenden Fall begonnen hatte. Wenn sie wirklich innerhalb der nächsten 8 Tage abgelaufen wäre, könnte das nur daran liegen, daß weder der Aufsichtsratsvorsitzende noch die anderen Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner, die über den Sachverhalt informiert waren, die restlichen Aufsichtsratsmitglieder rechtzeitig informiert hatten. Es geht aber nicht an, im Hinblick auf eigene Versäumnisse bei der Unterrichtung der übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats diesen die für eine verantwortungsbewußte Entscheidung erforderliche Zeit zu nehmen.

IV.

Die Vollziehung der fehlerhaften Beschlüsse des Aufsichtsrats würde die Kläger in ihren Rechten verletzen und gibt ihnen daher einen Anspruch gegen die Beklagte, die Beschlüsse vom 9. Februar 1985 bis zur rechtskräftigen Entscheidung nicht als wirksam zu behandeln. Dementsprechend hat der Senat die Urteilsformel gefaßt, ohne daß darin sachlich eine Teilabweisung des Verfügungsantrages liegen würde. Diese Entscheidung schließt es selbstverständlich nicht aus, in einem dem § 31 MitbestG gerecht werdenden Verfahren erneut über die Abberufung zu befinden.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Schlagworte: Abberufung von Organmitgliedern, Abberufung Vorstand, Abberufung Vorstand Abberufungsbeschluss, Abberufung wirksam bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist, AktG § 84 Abs. 3 Satz 2, AktG § 84 Abs. 3 Satz 4, AktG § 84 Abs. 4 Satz 4, Analoge Anwendung des § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG, Keine Anwendung des § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG, Unwirksamkeit Aufsichtsratsbeschluss