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BGH, Urteil vom 13. Juli 1998 – II ZR 131/97

Verletzung Kollegialitätsprinzip

§ 138 Abs 1 ZPO, § 286 ZPO

Zur Übergehung unter Beweis gestellten Parteivorbringens durch Verkennung der Anforderungen an die Substantiierung.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 28. Februar 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger war aufgrund Anstellungsvertrages vom 30. Oktober 1990 seit dem 1. April 1991 als für die Dauer von fünf Jahren bestelltes, gleichberechtigtes Mitglied des zweigliedrigen Vorstands der beklagten Aktiengesellschaft mit dem Ressortbereich „kaufmännische Verwaltung“ tätig, während dem anderen Vorstandsmitglied I. die Bereiche „Herstellung und Vertrieb“ zugewiesen waren. Wegen angeblicher Pflichtverletzungen des Klägers beschloß der Aufsichtsrat der Beklagten in seiner Sitzung vom 11. Dezember 1993 den sofortigen Widerruf seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied und die fristlose Kündigung seines Anstellungsvertrages, die ihm zwei Tage später mitgeteilt wurde. Mit seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger die Nichtigerklärung des Abberufungsbeschlusses, die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und des Fortbestehens des Dienstverhältnisses bis zum 30. Juni 1996, ferner Feststellung seiner Berechtigung zur Nutzung eines Dienstfahrzeugs sowie die Fortzahlung seiner Dienstbezüge für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1994 begehrt; die Beklagte hat hilfsweise mit Schadensersatzansprüchen aus pflichtwidriger Vorstandstätigkeit aufgerechnet und diese Gegenansprüche auch zum Gegenstand einer Eventualwiderklage für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung gemacht. Das Landgericht hat der Klage – bis auf die Anfechtung der AbberufungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Anfechtung
Anfechtung der Abberufung
und einen Teil des Zahlungsbegehrens – stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte lediglich hinsichtlich der Nutzung des Dienstfahrzeugs und eines geringfügigen Teils des Zeitraums des Fortbestehens des Dienstverhältnisses Erfolg, während auf die AnschlußBerufung des Klägers dessen Zahlungsantrag in vollem Umfang entsprochen und hinsichtlich des Abberufungsbeschlusses eine Erledigungsfeststellung getroffen wurde. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf vollständige Klageabweisung und Durchsetzung der Schadensersatzansprüche im Wege der Hilfswiderklage weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte keine ausreichenden Gründe für eine außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages des Klägers nach § 626 BGB dargelegt. Ihr Vorbringen sei einer rechtlichen Beurteilung nicht zugänglich, da es – auch soweit es sich auf Einzelvorgänge beziehe – nur undifferenzierte Kritik ohne genügende Tatsachenangaben enthalte; die Beweisangebote dienten lediglich der – unzulässigen – Ausforschung. Das hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen; genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, so kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden; es ist Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme die Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach allen Einzelheiten zu fragen, die ihm für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen (vgl. Sen.Urt. v. 16. März 1998 – II ZR 323/96, ZIP 1998, 956, 957 m.w.N.). Diesen Maßstab der Substantiierungslast hat das Berufungsgericht verkannt und dadurch schlüssiges, unter Beweis gestelltes Vorbringen der Beklagten zu wesentlichen Umständen übergangen (§ 286 ZPO), die jedenfalls im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen können.

1. Nach dem Vorbringen der Beklagten sind dem Kläger ständige Verletzungen des Kollegialitätsprinzips und wiederholte Übergriffe in den Kompetenzbereich des Mitvorstands I. vorzuwerfen, wobei die (erneute) Übergehung I.’s anläßlich des gemeinsam zu erstellenden Vorstandsberichts für die Aufsichtsratssitzung vom 11. Dezember 1993 lediglich der letzte Anlaß für die Kündigung war. Beispiele für die ständigen Übergriffe des Klägers in den Zuständigkeitsbereichs I.’s seien die – überflüssige – Anstellung des weiteren Handelsvertreters B. für den Vertrieb in den USA, die eigenmächtige Geschäftsanbahnung unter Preisgabe von Firmengeheimnissen in Rußland im Sommer 1993 sowie eine nicht abgestimmte Einstellung von Personal durch den Kläger; wiederholte Ermahnungen des Klägers durch den Aufsichtsrat, Eigenmächtigkeiten zu unterlassen und kollegial mit I. zusammenzuarbeiten (vgl. Aufsichtsratsprotokolle v. 27. Januar und 18. Juni 1993), seien fruchtlos gewesen. Das Verhalten des Klägers habe dazu geführt, daß im Herbst 1993 der Betriebsrat den Aufsichtsrat ersucht habe, die offenbar unüberbrückbaren Differenzen auf der Vorstandsebene durch Entlassung des Klägers zu beenden; auch habe I. dem Aufsichtsrat angeboten, selbst auszuscheiden, wenn der Kläger in der bisherigen Weise tätig bleibe.

2. Pflichtverletzungen des Klägers im Verhältnis zum Aufsichtsrat in Form von mangelnder Offenheit und Verstößen gegen Entscheidungsvorbehalte gemäß § 111 Abs. 4 AktG hat die Beklagte konkret in bezug auf die vom Kläger veranlaßten EDV-Ausgaben behauptet: Der Kläger habe Leasing-, Miet- und Wartungsverträge über EDV-Anlagen im Wert von 2,95 Mio. DM nicht über den Ausgabentitel EDV, sondern über die allgemeine Lieferantenliste gebucht; weitere Wartungsverträge habe er überhaupt nicht aktenmäßig erfaßt. Damit habe er bezweckt und erreicht, die laufenden und die für die Zukunft bereits feststehenden Belastungen des Unternehmens durch EDV-Ausgaben im Umfang von insgesamt 5 Mio. DM vor dem Aufsichtsrat zu verschleiern, weil dieser für die Geschäftsjahre 1991/92 und 1992/93 eine Investitionsgrenze von 1,3 Mio. DM gesetzt und insoweit Zustimmungsvorbehalte beschlossen gehabt habe; die Verschleierungstaktik habe der Kläger sogar gegenüber einem Mitarbeiter der Beklagten zugegeben. Der tatsächliche Umfang der verschleierten Investitionen sei erst nachträglich im Januar und Juli 1994 aufgrund von Nachforschungen bekannt geworden.

Der Kläger habe im Zusammenhang mit der beantragten (und dann erfolgten) Genehmigung der Anschaffung eines Elektroofens dem Aufsichtsrat verschwiegen, daß die Leasinggesellschaft die vom Kläger beantragte Leasingfinanzierung noch von dem Jahresabschluß der Beklagten zum 30. September 1993 abhängig gemacht hatte; bei sachgemäßer Aufklärung hätte man wegen der ungesicherten Finanzierung die Genehmigung nicht erteilt; tatsächlich habe es dadurch später Schwierigkeiten mit der Finanzierung gegeben.

Verschleiert habe der Kläger auch den Inhalt des Vertrages mit dem Handelsvertreter B. hinsichtlich einer Gebietsüberschneidung für den Bereich von T.; der Kläger habe dem Aufsichtsrat eine verfälschte Vertragsfassung vorgelegt und zudem vorgespiegelt, der für den Vertrieb ausschließlich zuständige Vorstandskollege I. sei mit dem Vertragsschluß einverstanden. Kenntnis von dem wirklichen Sachverhalt habe der Aufsichtsrat durch Information I. s und Auffinden des Originalvertrages erst nach dem Ausscheiden des Klägers erhalten.

3. Zu dem Vorwurf leichtfertig preisgegebener Geschäftsgeheimnisse in Rußland hat die Beklagte konkret behauptet: Der Kläger, der die Geschäftsreise nach Rußland ohnehin ohne Abstimmung mit dem zuständigen Kollegen I. vorgenommen habe, habe sich heimlich detaillierte Konstruktionszeichnungen für Gatterständer und Bandsägerollen beschafft und diese einem russischen „Geschäftspartner“ überlassen. Anhand dieser nunmehr in Rußland kursierenden Zeichnungen sei es russischen Firmen – unter ihnen die Maschinenfabrik V. – möglich, Gatterständer und Bandsägerollen nachzubauen und den diesbezüglichen Umsatz der Beklagten (10 bis 12 Mio. DM für Gatterständer, 4 Mio. DM für Bandsägen) zu gefährden; von diesen Vorgängen habe die Beklagte ebenfalls erst nach Abberufung des Klägers Kenntnis erlangt.

4. Zu den dem Kläger vorgeworfenen Verstößen gegen Grundsätze ordnungsgemäßen Wirtschaftens hat die Beklagte behauptet: Der Kläger habe die von ihm zu verantwortende langfristige Leasingfinanzierung für die EDV in Höhe von knapp 5 Mio. DM aus dem Kontokorrentkredit der Beklagten bedienen lassen. Zudem habe er im Einkaufsbereich versagt, weil er trotz entsprechenden Hinweises durch den Aufsichtsrat die rezessionsbedingt entstandene Möglichkeit von Preisverhandlungen über Rabatte bei den 80 größten Zulieferanten der Beklagten unterlassen habe. Sofort nach seinem Ausscheiden seien derartige – schon früher mögliche – Verhandlungen mit Erfolg geführt worden und hätten allein bei den Firmen K. und Te. – im einzelnen näher bezifferte – Einsparungen von über 700.000,– DM erbracht. Weiterhin habe der Kläger bei der Firma M. AG Hardware für 800.000,– DM geleast, obwohl diese für nur 260.000,– DM käuflich zu erwerben gewesen sei. Völlig unwirtschaftlich sei hinsichtlich der CAD-Arbeitsplätze auch die Anschaffung der Geräte des Typs C. zum Preise von 585.463,– DM gewesen, während die ebenfalls angebotenen weitaus billigeren Geräte A. (Preis: 235.625,– DM) den Anforderungen der Beklagten vollauf genügt hätten. Mit diesem Verhalten beim Kostenmanagement habe der Kläger den ihm als Vorstand eingeräumten Handlungsspielraum bei weitem überschritten.

II. Angesichts dieses konkreten Sachvortrags der Beklagten (Nr. I., 1 bis 4) ist der vom Berufungsgericht erhobene Vorwurf mangelnder Substantiierung – der hinsichtlich des Vorgangs „Geheimnisverrat/Rußland“ darin gipfelt, „es sei nicht gesagt worden, worum es sich dabei überhaupt gehandelt haben soll“ – verfehlt.

III. Unberechtigt sind auch die allgemeinen Bedenken des Berufungsgerichts gegen die Einhaltung der Kündigungsfrist im Sinne des § 626 Abs. 2 BGB und die Zulässigkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen. Nach dem für das Revisionsverfahren zu unterstellenden Sachstand lag die erneute Übergehung des Zeugen I. aufgrund der einseitigen Abfassung des Vorstandsberichts vom 8. Dezember 1993 durch den Kläger als letzter Vorfall aus dem Tatsachenkomplex „Verstoß gegen das Kollegialitätsprinzip/Kompetenzüberschreitung“ unmittelbar vor der anberaumten Aufsichtsratssitzung, so daß diesbezüglich und auch hinsichtlich der damit zusammenhängenden früheren Vorfälle eine Verfristung ersichtlich ausscheidet. Hinsichtlich der weiteren Kündigungsgründe (vgl. oben Nr. I., 2 bis 4) hat die Beklagte die tatsächlichen Voraussetzungen für ein zulässiges Nachschieben von Gründen unter Beweisantritt schlüssig vorgetragen, weil sie die genaue Kenntnis von den Pflichtverletzungen, insbesondere von deren Ausmaß, erst nach dem Ausspruch der fristlosen Kündigung (Januar bis Juli 1994) erlangt hat. Einer besonderen Beschlußfassung über die Geltendmachung der nachgeschobenen Gründe bedurfte es hier nicht, da der dafür zuständige Aufsichtsrat die Gesellschaft im vorliegenden Prozeß gemäß § 112 AktG allein vertritt (vgl. Sen.Urt. v. 14. Oktober 1991 – II ZR 239/90, ZIP 1992, 32, 36 zur Zweimann-GmbH).

IV. Unbegründet sind ferner die Bedenken des Berufungsgerichts gegen die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung wegen des Fehlens einer vorherigen Abmahnung des Klägers. Ob das Unternehmen überhaupt gehalten ist, einen dienstverpflichteten Vorstand vor Kündigung abzumahnen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 9. November 1992 – II ZR 234/91, ZIP 1993, 32, 34), kann vorliegend dahinstehen. Hinsichtlich der Verstöße des Klägers gegen das Kollegialitätsprinzip hat die Beklagte – soweit ihr Vorfälle bekannt geworden sind – nach eigenem Vorbringen zumindest zweimal den Kläger zur Einhaltung der Kompetenzen und zur kollegialen Zusammenarbeit ermahnt; dienstvertragliche Konsequenzen mußten dabei – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht besonders angedroht werden, weil sie bei weiteren Zuwiderhandlungen auf der Hand lagen. Soweit die Beklagte von den Einzelheiten der behaupteten Verfehlungen erst nachträglich erfahren hat, kommt eine Abmahnung ohnehin nicht in Betracht.

V. Da das Bestehen des vom Kläger geltend gemachten Gehaltsfortzahlungsanspruchs unmittelbar von der Frage der Berechtigung der fristlosen Kündigung abhängig ist, wirkt sich der diesbezügliche Verfahrensmangel (vgl. oben Nr. I) auch auf diesen Streitgegenstand aus. Weitere Ausführungen erübrigen sich daher auch zu den gesondert auf die Hilfsaufrechnung bezogenen Revisionsrügen. Sofern aufgrund des Ergebnisses der erneuten Berufungsverhandlung über die mit der Hilfsaufrechnung bzw. Hilfswiderklage geltend gemachten Schadensersatzansprüche der Beklagten zu entscheiden ist, weist der Senat auf den dem Vorstand bei der Leitung der Geschäfte des Unternehmens grundsätzlich zuzubilligenden weiten Handlungsspielraum hin (Sen.Urt. v. 21. April 1997 – II ZR 175/95, ZIP 1997, 883, 885 f.).

VI. Auch die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Erledigungsfeststellung bezüglich der Klage auf Nichtigerklärung der Abberufung des Klägers vom Vorstandsamt sind von Rechtsirrtum beeinflußt.

Zu Unrecht bemängelt das Oberlandesgericht auch hier das Fehlen ausreichenden Sachvortrags der Beklagten hinsichtlich eines Widerrufsgrundes gemäß § 84 Abs. 3 AktG. Der substantiierte Vortrag der Beklagten hinsichtlich einer Kündigung des Anstellungsverhältnisses aus wichtigem Grund (vgl. oben Nr. I) würde in gleicher Weise seine Abberufung vom Vorstandsamt rechtfertigen. Im übrigen kommt es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht darauf an, ob die zwischen den beiden Vorstandsmitgliedern aufgetretenen Kommunikationsschwierigkeiten allein dem Kläger anzulasten wären. Sofern – was naheliegt – von einem unheilbaren Zerwürfnis der beiden Vorstandsmitglieder auszugehen ist und der Kläger durch sein – nicht notwendigerweise schuldhaftes – Verhalten zu der Zerrüttung beigetragen hat, kann grundsätzlich jeder von ihnen abberufen werden, wovon bereits das Landgericht zutreffend ausgegangen ist (vgl. hierzu auch Sen.Urt. v. 24. Februar 1992 – II ZR 79/91, ZIP 1992, 760, 761 – betreffend die GmbH).

VII. Bei der insgesamt gebotenen Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

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