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OLG München, Urteil vom 20.10.2022 – 7 U 1785/18

Vorstandshaftung §§ 93 Abs. 3 Nr. 6, 92 Abs. 2 AktG

Das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft haftet der Gesellschaft für Schäden, die aus der Verletzung von Vorstandspflichten resultieren (§ 93 Abs. 2 AktG). Eine solche Pflichtverletzung liegt in der Leistung von Zahlungen entgegen § 92 Abs. 2 AktG93 Abs. 3 Nr. 6 AktG), also von Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft, sofern die Zahlung nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar ist.

Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 S. 2 InsO). Die Zahlungseinstellung begründet also eine Vermutung für das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit (die gegebenenfalls von der Beklagten zu widerlegen wäre). Allerdings greift diese Vermutung vorliegend aus Rechtsgründen nicht.

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 30.4.2018 (Az.: 5 HK O 21625/16) aufgehoben.

2. Die Klage wird unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Landgerichts München I vom 19.5.2017 (Az.: 5 HK O 21625/16) abgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Klägerin macht als Insolvenzverwalterin der I. I. AG [im folgenden: Schuldnerin] Ansprüche gemäß §§ 93 Abs. 3 Nr. 6, 92 Abs. 2 AktG wegen Zahlungen nach InsolvenzreifeBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Zahlungen
Zahlungen nach Insolvenzreife
der Schuldnerin geltend. Die Beklagte ist die Alleinerbin des am 1.3.2019 verstorbenen Herrn K. T.-T. [im folgenden: Erblasser], der im streitgegenständlichen Zeitraum Vorstand der Schuldnerin war. Die Klage richtete sich ursprünglich gegen den Erblasser. Nach Unterbrechung des gegenständlichen Berufungsverfahrens durch Tod des Erblassers hat es die Beklagte anstelle des die Berufung führenden Erblassers aufgenommen.

Der Erblasser gehörte dem Vorstand der Schuldnerin bis August 2008 und wiederum seit dem 22.12.2008 an. Einen ersten Insolvenzantrag der Schuldnerin vom August 2008 nahm er nach seiner Neubestellung zurück. Am 19.8.2009 stellte die Schuldnerin erneut Insolvenzantrag, welcher zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Beschluss vom 2.2.2010 (Anlage K 1) führte.

Im Zeitraum vom 26.2.2009 bis zum 14.5.2009 veranlasste der Erblasser Zahlungen in Höhe der Klageforderung von Konten der Schuldnerin an Dritte; hinsichtlich der einzelnen Zahlungen wird auf S. 5 des angegriffenen Urteils Bezug genommen. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Schuldnerin ab dem 22.12.2008 durchgängig bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens zahlungsunfähig war.

Die (ebenfalls insolvente) I. F. GmbH [im folgenden: I. GmbH] ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Schuldnerin. Geschäftsführer der I. GmbH war seit November 2007 der Erblasser. Zwischen der Schuldnerin und der I. GmbH bestand der (mit der Rechtsvorgängerin der Schuldnerin geschlossene) Ergebnisabführungsvertrag gemäß Anlage K 7. Hiernach war die Schuldnerin zum Ausgleich des Jahresfehlbetrags der I. GmbH verpflichtet. Der Anspruch wurde fällig jeweils mit Feststellung des JahresabschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Feststellung des Jahresabschlusses
der I. GmbH. Hinsichtlich der Einzelheiten des Ergebnisübernahmevertrages wird auf Anlage K 7 Bezug genommen.

Am 31.12.2007 schlossen die Schuldnerin und die I. GmbH (jeweils vertreten durch den Erblasser) den als Loan Agreement bezeichneten Vertrag gemäß Anlage B 1. Hiernach gewährte die I. GmbH der Schuldnerin im Hinblick auf die bis dahin aufgelaufenen Verbindlichkeiten aus dem Ergebnisübernahmevertrag ein Darlehen über rund 11,7 Mio. €, welches binnen zwei Wochen nach Kündigung zum Quartalsende zur Rückzahlung fällig sein sollte. Hinsichtlich der Einzelheiten des Loan Agreements wird auf Anlage B 1 Bezug genommen. Eine Kündigung des Darlehens erfolgte bis zur Insolvenzeröffnung nicht.

Der Insolvenzverwalter der I. GmbH hat im Insolvenzverfahren der Schuldnerin eine Forderung aus dem Ergebnisübernahmevertrag bzw. Loan Agreement in Höhe von rund 9,3 Mio. € nebst Zinsen zur Tabelle angemeldet. Ferner erfolgten Anmeldungen der Gläubiger H. über eine Hauptforderung von 40.000,- €, K. über eine Hauptforderung von 30.000,- €, N. LLP über eine Hauptforderung von 39.288,55 € und N. C. AG über eine Hauptforderung von 2.975,- € zur Insolvenztabelle. Alle vorgenannten Anmeldungen wurden zur Insolvenztabelle der Schuldnerin festgestellt.

Die Klägerin hat in der Klageschrift beantragt, den Erblasser zu verurteilen, an die Klägerin 71.705,12 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen. Mit Beschluss vom 17.3.2017 hat das Landgericht auf Antrag der Klägerin die öffentliche ZustellungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
öffentliche Zustellung
Zustellung
der Klage nebst Verfügung betreffend die Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens angeordnet. In der Folge wurde die Klage nebst Verfügung öffentlich zugestellt. Mit Versäumnisurteil vom 19.5.2017 hat das Landgericht den Erblasser verurteilt, an die Klägerin 71.705,12 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.4.2017 zu zahlen. Hiergegen hat der Erblasser form- und fristgerecht Einspruch eingelegt.

Die Klägerin hat beantragt,

das Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom 19.5.2017 aufrecht zu erhalten.

Der Erblasser hat beantragt,

das Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom 19.5.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat das Versäumnisurteil mit der Maßgabe aufrecht erhalten, dass dem Erblasser vorbehalten wurde, nach Erstattung des Verurteilungsbetrages an die Masse seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, welche die durch die verbotswidrigen Zahlungen begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen die Klägerin als Insolvenzverwalterin zu verfolgen. Es hat ferner dem Erblasser die Kosten seiner säumnis auferlegt und die übrigen Kosten des Rechtsstreits im Verhältnis von 1/20 zu 19/20 zu Lasten des Erblassers verteilt. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil richtete sich die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Erblassers, welche nunmehr von der Beklagten weiterverfolgt wird.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 30.4.2018 verkündeten Endurteils des Landgerichts München I, Az.: 5 HK O 21625/16 und unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Landgerichts München I vom 19.5.2017 die Klage abzuweisen,

hilfsweise ihr die beschränkte Erbenhaftung vorzubehalten.

Die Klägerin beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Der Senat hat mit Beschluss vom 19.5.2021 seine vorläufige Einschätzung der Rechtslage dargelegt und auf die von den Parteien noch vorzutragenden tatsächlichen Umstände hingewiesen.

B.

Die Berufung erweist sich als begründet. Die Klägerin konnte das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen nicht dartun.

I.

Das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft haftet der Gesellschaft für Schäden, die aus der Verletzung von Vorstandspflichten resultieren (§ 93 Abs. 2 AktG). Eine solche Pflichtverletzung liegt in der Leistung von Zahlungen entgegen § 92 Abs. 2 AktG93 Abs. 3 Nr. 6 AktG), also von Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft, sofern die Zahlung nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar ist.

Eine (auf die Beklagte nach § 1922 BGB übergegangene) Schadensersatzpflicht des Erblassers nach diesen Grundsätzen würde also zunächst die Insolvenzreife der Schuldnerin im Zeitpunkt der gegenständlichen Zahlungen voraussetzen. Hierfür ist die Klägerin darlegungs- und beweispflichtig. Eine Überschuldung der Schuldnerin behauptet sie nicht. Für die behauptete Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin streitet weder die Vermutung des § 17 Abs. 2 S. 2 InsO (unten II.) noch ergibt sich eine solche positiv aus dem Vortrag der Klägerin (unten III.).

II.

Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 S. 2 InsO). Die Zahlungseinstellung begründet also eine Vermutung für das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit (die gegebenenfalls von der Beklagten zu widerlegen wäre). Allerdings greift diese Vermutung vorliegend aus Rechtsgründen nicht.

Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungspflichten zu genügen (BGH, Urteil vom 20.12.2007 – IX ZR 93/06, Rz. 21; Urteil vom 8.1.2015 – IX ZR 20/12, Rz. 15; Urteil vom 17.11.20216 – IX ZR 65/15, Rz. 18). Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus. Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten erheblichen Umfangs bestanden, die bis zur Insolvenzeröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von einer Zahlungseinstellung auszugehen (BGH, Urteil vom 8.1.2015, a.a.O. Rz. 156; Urteil vom 17.11.2016, a.a.O. Rz. 19). Allerdings kann die Vermutung nicht auf eine Verbindlichkeit gestützt werden, die der Schuldner nicht beglichen hatte, weil er sie für unberechtigt hielt (BGH, Urteil vom 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rz. 21 m.w.Nachw.).

Die von der Klägerin zur Begründung der Zahlungseinstellung der Schuldnerin ab dem 22.12.2008 herangezogenen Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber den Gläubigern I.GmbH, H., K., N. LLP und N. C. AG waren auf der Basis des Sach- und Streitstandes im fraglichen Zeitraum zum größten Teil (nicht existent bzw. jedenfalls) nicht fällig; insoweit scheiden sie als Anknüpfungspunkt für die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit aus. Soweit sich die Klägerin dem gegenüber auf die Wirkung der FeststellungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Wirkung der Feststellung
der Forderungen zur Insolvenztabelle178 Abs. 3 InsO) beruft, rechtfertigt dies kein anderes Ergebnis. Die Rechtskraftwirkung der Feststellung zur Insolvenztabelle erstreckt sich nämlich nicht auf Dritte wie den Vorstand oder Geschäftsführer der Schuldnerin, so dass die festgestellten Forderungen im Rahmen des Haftungsprozesses gegen die genannten Organe im einzelnen zu prüfen sind (vgl. BGH, Urteil vom 26.1.2016, a.a.O. Rz. 19), was naturgemäß entsprechenden Vortrag der Klagepartei voraussetzt. Abgesehen davon betrifft die Feststellung zur Tabelle, auch soweit ihre Wirkung reicht, nur die Lage bei Insolvenzeröffnung und besagt nichts über Existenz und Fälligkeit der festgestellten Forderung im davor liegenden Zeitraum der streitgegenständlichen Zahlungen.

Im übrigen erfolgte die Nichtbegleichung der genannten Forderungen auf der Basis des Streitstandes größtenteils deshalb, weil sie der Erblasser für unberechtigt hielt, so dass auch hierwegen die Vermutung nicht auf die Nichtzahlung gestützt werden kann. Was allenfalls verbleibt (Forderung von N. LLP bzw. N. Consulting), stellt keinen wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten der Schuldnerin dar.

Im einzelnen:

1. Der Anspruch der I. GmbH aus dem Ergebnisabführungsvertrag war durch das Loan Agreement mit der Schuldnerin wirksam in einen Anspruch auf Darlehensrückzahlung umgewandelt worden, welcher bis zur Insolvenzeröffnung mangels Kündigung nicht fällig wurde. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hält der Senat das Loan Agreement für wirksam. Doch selbst auf der Basis der Rechtsauffassung des Landgerichts würde die Vermutung der Zahlungseinstellung daran scheitern, dass der Schuldner das Loan Agreement für wirksam hielt und auf dieser Basis mangels Kündigung des Darlehens keine Zahlungen auf den Anspruch der I. GmbH erbrachte.

a) Richtig ist zunächst der rechtliche Ausgangspunkt des Landgerichts, wonach das Loan Agreement an § 302 Abs. 3 AktG zu messen ist und im Falle eines Verstoßes gegen diese Vorschrift nach § 134 BGB nichtig wäre.

Die Vorschrift verbietet der beherrschten Gesellschaft, binnen drei Jahren ab Beendigung des Beherrschungsvertrages (und damit erst recht vor dessen Beendigung) auf den Verlustausgleichsanspruch zu verzichten oder sich über ihn zu vergleichen (S. 1), sofern nicht die beherrschende Gesellschaft zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit ihren Gläubigern vergleicht (S. 2).

Die Vorschrift gilt aufgrund ihres Standortes im Gesetz unmittelbar nur für beherrschte Aktiengesellschaften, wohingegen vorliegend die von der Schuldnerin beherrschte I. eine GmbH ist. Allerdings gilt das Konzernrecht der AktG entsprechend, wenn die beherrschte Gesellschaft eine GmbH ist (BGH, Urteil vom 9.1.1985 – II ZR 275/84, Rz. 14; Urteil vom 11.11.1991 – II ZR 282/90, Rz. 5; Urteil vom 10.7.2006 – II ZR 238/04, Rz. 6).

Ein hiernach grundsätzlich verbotener Vergleich über den Verlustausgleichsanspruch ist auch dessen Stundung (vgl. Koch, AktG, 16. Aufl., § 302 Rz. 25; MünchKomm AktG / Altmeppen, 5. Aufl., § 302 Rz. 75; Krieger, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 5. Aufl., § 71 Rz. 77; Emmerich, in: Emmerich / Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl., § 302 AktG Rz. 50). Verboten in diesem Sinne sind auch stundungsgleiche Rechtsgeschäfte wie die Umwandlung eines fälligen Anspruchs auf Verlustausgleich in ein mangels Kündigung nicht fälliges Darlehen (vgl. Emmerich, a.a.O.).

Damit wäre das Loan Agreement, das vorliegend die über die Jahre aufgelaufenen, mit Feststellung der Jahresabschlüsse der I. GmbH fällig gewordenen Verlustausgleichsansprüche in ein von einer Kündigung abhängiges Darlehen der I. GmbH gegenüber der Schuldnerin umgewandelt hat, nach § 134 BGB nichtig, sofern nicht die Ausnahmevorschrift nach § 302 Abs. 3 S. 2 AktG greift.

b) Dem Landgericht kann allerdings nicht darin gefolgt werden, dass die Ausnahmevorschrift des § 302 Abs. 2 S. 3 AktG schon daran scheitere, dass es an einem Sonderbeschluss der außenstehenden Aktionäre nach S. 3 der Vorschrift fehle.

Zwar stellt ein derartiger Sonderbeschluss der außenstehenden Aktionäre der beherrschten Gesellschaft (bzw. bei der GmbH: der außenstehenden Gesellschafter) eine Wirksamkeitsvoraussetzung für einen Vergleich zur Abwendung der Insolvenz der beherrschenden Gesellschaft im Sinne des Satzes 2 der Vorschrift dar. Vorliegend ist die Schuldnerin jedoch Alleingesellschafterin der über den Beherrschungsvertrag mit ihr verbundenen I. GmbH, so dass „außenstehende“ (= nicht am Beherrschungsvertrag beteiligte) Gesellschafter der beherrschten Gesellschaft nicht existieren und ein Sonderbeschluss der außenstehenden Gesellschafter damit nicht erforderlich sein kann.

c) Damit scheitert das Loan Agreement nicht an § 302 Abs. 3 S. 1 AktG, wenn es zur Abwendung des Insolvenzverfahrens der Schuldnerin im Sinne von § 302 Abs. 3 S. 2 AktG erfolgte. Hiervon ist nach dem Sach- und Streitstand auszugehen.

aa) Genügend ist insoweit der Vergleich der Obergesellschaft (also hier der Schuldnerin) mit einem Gläubiger, etwa der abhängigen Gesellschaft (vgl. Schmidt / Lutter / Stephan, AktG, 4. Aufl., § 302 Rz. 73; BeckOGK AktG / Veil, § 302 Rz. 47), sofern die Vereinbarung nur „zur Abwendung des Insolvenzverfahrens“ erfolgt.

Wie letztere Voraussetzung zu verstehen ist, ist in der Rechtsprechung und Literatur noch nicht abschließend geklärt. Die Formulierung legt aber die Annahme nahe, dass durch die fragliche Vereinbarung ein tatsächlich bestehender Insolvenzgrund entfallen muss (BeckOGK / Veil, a.a.O. Rz. 49; Schmidt / Lutter / Stephan, a.a.O. Rz. 73), dass also konkret die Schuldnerin am Tag des Abschlusses des Loan Agreements (31.12.2007) zahlungsunfähig war und diese Zahlungsunfähigkeit durch das Loan Agreement entfiel. Ferner wird man der Insolvenzabwendung im Sinne der Vorschrift ein gewisses Element der Nachhaltigkeit bzw. Dauerhaftigkeit beilegen müssen (Koch, a.a.O. Rz. 26; Schmidt / Lutter / Stephan, a.a.O. Rz. 72). Von beiden Voraussetzungen ist auf der Basis des Parteivortrages auszugehen.

bb) Die Schuldnerin war am 31.12.2007 vor Abschluss des Loan Agreements zahlungsunfähig. Zu den fälligen / binnen drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten der Schuldnerin am 31.12.2007 bringt die Klägerin nur die fällige Verbindlichkeit aus dem Verlustübernahmevertrag in Höhe von rund 9,3 Mio. € vor; an liquiden Mitteln seien am Stichtag nur 50.582,- € und am 28.1.2008 7.717,99 € vorhanden gewesen (vgl. Schriftsatz vom 18.8.2021, Bl. 198 ff. der Akten). Die Beklagte äußert sich zu den Aktiva I /II und Passiva I/II zum 31.12.2007 nicht. Auf der Basis dieses Streitstandes ergibt sich zum 31.12.2007 eine deutliche Unterdeckung von wesentlich mehr als 10% der fälligen und zeitnah fällig werdenden Forderungen und damit Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin.

cc) Diese Zahlungsunfähigkeit ist durch das Loan Agreement entfallen. Die Verbindlichkeit über 9,3 Mio. € war hierdurch nunmehr von einer Kündigung abhängig und damit nicht mehr fällig. Weitere zum Stichtag fällige bzw. binnen drei Wochen danach fällig werdende Verbindlichkeiten der Schuldnerin trägt keine Partei vor. Damit kann eine zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin führende Unterdeckung auf der Basis des Loan Agreements nach dessen Abschluss nicht mehr festgestellt werden.

dd) Auf der Basis des dargestellten Parteivortrags war diese Insolvenzabwendung durch das Loan Agreement auch von hinreichender Nachhaltigkeit. Denn wenn keine sonstigen fälligen oder kurzfristig fällig werdenden Verbindlichkeiten bestanden (jedenfalls werden solche nicht vorgetragen), war aus der Sicht bei Abschluss des Loan Agreements mit dem baldigen Eintritt der Insolvenz der Schuldnerin nicht zu rechnen.

Entgegen der noch im Hinweisbeschluss vom 23.6.2021 geäußerten Auffassung können keine gegenteiligen Schlüsse aus der Tatsache gezogen werden, dass die Insolvenz über das Vermögen der Schuldnerin auf einen etwa ein Jahr und acht Monate nach dem Abschluss des Loan Agreements gestellten Eigenantrag tatsächlich eröffnet wurde. Nach nochmaliger Erwägung ist der Senat der Auffassung, dass für die Nachhaltigkeit der Insolvenzabwendung auf die Sicht bei Abschluss der Loan Agreements abzustellen ist. Denn hiervon hängt die Wirksamkeit des Agreements ab, und diese muss für die Vertragsparteien bei Vertragsschluss beurteilbar bleiben.

d) Lediglich ergänzend ist darauf zu verweisen, dass selbst bei Unwirksamkeit des L. Agreements die Vermutung der Zahlungseinstellung nicht auf den (dann fälligen) Anspruch der I. GmbH gestützt werden könnte. Denn jedenfalls ging der Erblasser, der das Loan Agreement als Vertreter beider Vertragsparteien durch Insichgeschäft zustande brachte, von der Wirksamkeit des Loan Agreements aus; er meinte daher jedenfalls, dass die Ansprüche der I. GmbH als Darlehensansprüche mangels Kündigung nicht fällig waren und erbrachte daher als Vertreter der Schuldnerin keine Zahlungen auf diese Ansprüche. Die Nichtzahlung auf nach Meinung der Schuldnerseite nicht bestehende oder nicht fällige Ansprüche begründet die Vermutung der Zahlungseinstellung nicht (vgl. oben).

Irrelevant ist insoweit entgegen der Auffassung der Klägerin, ob der Erblasser das Loan Agreement ohne Fahrlässigkeit für wirksam halten durfte bzw. ob er diesbezüglich nicht hätte Rechtsrat einholen müssen. Diese Fragestellung betrifft im Rahmen eines Anspruches nach § 64 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2, 3 Nr. 6 AktG die Kategorie des Verschuldens, wohingegen die Frage der Vermutung der Zahlungseinstellung auf der Ebene der (objektiv zu beurteilenden) vorgelagerten Kategorie des Vorliegens eines Insolvenzgrundes im Zeitpunkt der Zahlungen angesiedelt ist. Die Vermutung des § 17 Abs. 2 S. 2 InsO beruht auf dem Erfahrungssatz, dass derjenige, der nicht zahlt, auch nicht zahlen kann. Dieser Erfahrungssatz kann keine Geltung beanspruchen, wenn der Nichtzahlende – aus welchen Gründen auch immer, also in den Grenzen des Rechtsmissbrauchs auch irrig – meint, nicht zahlen zu müssen.

2. Die Vermutung der Zahlungseinstellung kann auch nicht auf den zur Tabelle festgestellten Anspruch des Gläubigers H. gestützt werden. Die Feststellung wirkt nicht zu Lasten des Erblassers und der Beklagten (vgl. oben). Vortrag zu Voraussetzungen und Fälligkeit des Anspruchs von Klägerseite erfolgt nicht. Dem Beklagtenvortrag kann immerhin entnommen werden, dass sich der Anspruch des Gläubigers H. auf die Rückzahlung des Guthabens einer Optionsanleihe nach ordentlicher Kündigung bezieht; der Anspruch sei aber nicht fällig gewesen, weil er bei einem Telefonat zwischen dem Erblasser und dem Gläubiger gestundet worden sei. Diesem unter Beweis des Zeugen H. gestellten Beklagtenvortrag ist die für Existenz und Fälligkeit des Anspruchs darlegungspflichtige Klägerin nicht entgegengetreten.

Auf der Basis dieses Streitstandes ist davon auszugehen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum ein Anspruch des Gläubigers H. zwar bestand, aber nicht fällig, da (tatsächlich und nicht nur faktisch) gestundet, war. Abgesehen davon scheitert die Vermutung auch hier daran, dass aus der Nichtzahlung einer Forderung, die aus Sicht der Schuldnerin gestundet war, keine Rückschlüsse auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gezogen werden können.

3. Die Vermutung kann ferner nicht auf den zur Tabelle festgestellten Anspruch des Gläubigers K. gestützt werden. Zur Wirkung der FeststellungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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und zu fehlenden Darlegungen der Klägerin kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Dem Beklagtenvortrag kann entnommen werden, dass der Gläubiger K. als ehemaliger Vorstand der Schuldnerin einen Anspruch auf Zahlung eines Restbonus unter der Bedingung hatte, dass er bis zum 30.4.2008 bestimmte Aufgaben erledige; diese Bedingung sei nicht eingetreten. Diesem Beklagtenvortrag ist die darlegungspflichtige Klägerin nicht entgegengetreten.

Auf der Basis dieses Streitstandes bestand der Anspruch des Gläubigers K. mangels Bedingungseintritts nicht. Auch hier würde die Vermutung im übrigen daran scheitern, dass aus der Nichtzahlung einer Forderung, die aus Sicht der Schuldnerin nicht bestand, keine Rückschlüsse auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gezogen werden können.

4. Die Vermutung kann im Ergebnis auch nicht auf die zur Tabelle festgestellten Ansprüche der Gläubiger N. LLP und N. C. AG (zusammen in der Hauptsache 42.263,55 €) gestützt werden. Zur Wirkung der FeststellungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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und zu fehlenden Darlegungen der Klägerin kann wiederum auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Hier ergibt sich aus dem Beklagtenvortrag jedoch, dass die Anwälte und Wirtschaftsprüfer von N. durch die Schuldnerin mit der Erstellung eines Sanierungskonzepts beauftragt worden waren, welches mangelhaft gewesen sei, weil es längst abgetretene Vermögenspositionen berücksichtigt habe.

Auf der Basis dieses Vortrages bestanden zwischen der Schuldnerin und den Gesellschaften von N. Dienstverträge, so dass mit Erbringung der Dienste die vereinbarte Vergütung (deren Höhe die Beklagtenseite nicht entgegengetreten ist) geschuldet war. Der Einwand der Schlechterfüllung kann dem Anspruch auf Dienstvergütung nicht entgegen gesetzt werden; allenfalls wäre eine Aufrechnung mit gegenläufigen Schadensersatzansprüchen denkbar, wozu vorliegend nichts vorgetragen ist. Damit bestanden die diesbezüglich festgestellten Ansprüche auch materiell; fällig wurden sie mit Rechnungstellung im Dezember 2008 bzw. Januar 2009 (vgl. Anlage K 12). Grundsätzlich können diese Ansprüche daher Anknüpfungspunkte für die Vermutung der Zahlungseinstellung sein. Auch die schlichte Behauptung der Beklagtenseite, dass hinsichtlich dieser Forderung lediglich Zahlungsunwilligkeit (wegen des aus Sicht des Erblassers unbefriedigenden Sanierungskonzepts) vorgelegen habe, würde die Vermutung der Zahlungseinstellung nicht ausschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 10.7.2014 – IX ZR 287/13, Rz. 6).

Allerdings scheitert die Vermutung der Zahlungseinstellung insoweit daran, dass die damit geschuldeten, fälligen und bis zur Insolvenzeröffnung nicht beglichenen 42.263,55 € keinen erheblichen Teil der Verbindlichkeiten der Schuldnerin ausmacht. Zwar kann die Nichtzahlung gegenüber einem einzigen Gläubiger für die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit ausreichen, wenn dessen Forderungen insgesamt von nicht unbeträchtlicher Höhe sind (BGH, Urteil vom 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rz. 19 m.w.Nachw.). Die Frage, ob eine Forderung in nicht unbeträchtlicher Höhe vorliegt bzw. einen erheblichen Teil der fälligen Verbindlichkeiten ausmacht, kann aber nicht absolut, sondern nur mit Blick auf die gesamten kurzfristigen Verbindlichkeiten der jeweiligen Schuldnerin beurteilt werden. Insoweit ergibt sich aus den vorgelegten Lageberichten der Schuldnerin zum 31.12.2006 bzw. 31.12.2007 (Anlage Z 2 sowie eine weitere Anlage ohne Nummer im Anlageheft der Beklagten), dass die Schuldnerin kurzfristige (also absehbar fällig werdende) Verbindlichkeiten im deutlich zweistelligen Millionenbereich (56,3 Mio. € bzw. 34,6 Mio. €) aufwies. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung bietet daher allein die Nichtzahlung eines Betrages von rund 42 T€ für Dienstleistungen, deren ordnungsgemäße Erbringung aus Sicht der Schuldnerin zumindest diskutabel erschien, keine hinreichende Basis für die Vermutung der Zahlungseinstellung.

III. Nachdem eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ab dem 22.12.2008 durchgängig über den Zeitraum der streitgegenständlichen Zahlungen (Februar bis Mai 2009) hinaus somit nicht mit der Vermutung des § 17 Abs. 2 S. 2 InsO begründet werden kann, hätte die Klägerin das Bestehen von Zahlungsunfähigkeit ab dem 22.12.2008 konkret darlegen müssen. Dies ist ihr nicht gelungen.

1. Zahlungsunfähigkeit liegt jedenfalls vor, wenn sich bei einer geordneten Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Mittel der Schuldnerin eine Deckungslücke von mindestens 10% ergibt (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 28.4.2022 – IX ZR 48/21, Rz. 24; Urteil vom 28.6.2022 – II ZR 112/21, Rz. 14). Die Deckungslücke errechnet sich aus einer Gegenüberstellung der Aktiva I (am Stichtag vorhandene liquide Mittel) und Aktiva II (binnen drei Wochen zu beschaffende Mittel) einerseits und der Passiva II (am Stichtag fällige Verbindlichkeiten) und Passiva II (binnen drei Wochen fällig werdende Verbindlichkeiten) andererseits. Ergibt sich auf dieser Basis eine Deckungslücke von weniger als 10%, geht dies zu Lasten der für das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit darlegungspflichtigen Klägerin.

Der Senat folgt im Hinblick hierauf nicht der Auffassung der Beklagten, dass die Klägerin ihrer Darlegungslast schon deshalb nicht nachgekommen sei, weil es an einer geordneten Darstellung der anzusetzenden Aktiva und Passiva im Sinne einer Liquiditätsbilanz fehle. In der Rechtsprechung des BGH ist mittlerweile anerkannt, dass die schlüssige Darlegung von Liquiditätslücke und Liquiditätsdeckungsgrad auch auf andere Weise als durch eine Liquiditätsbilanz erfolgen kann (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 28.6.2022, a.a.O. Rz. 14). Daraus folgt aber auch umgekehrt, dass der darlegungspflichtigen Klägerin die entsprechende Darlegung nicht gelungen ist, wenn sie auf die Erstellung einer Liquiditätsbilanz verzichtet und sich auf der Basis ihres Vortrages eine Deckungslücke von weniger als 10% ergibt.

2. Bei Unterstellung des Klägervortrags (insbesondere im Schriftsatz vom 18.8.2021, Bl. 198 ff. der Akten) als zutreffend ergibt sich vorliegend zum 22.12.2008 eine Deckungslücke von nur 6,21%.

Aktiva I: Nach dem Vortrag der Klägerin betrug der Kontostand auf zwei Girokonten am Stichtag jeweils 0,- €. Weiterer Vortrag erfolgt nicht. Die Aktiva I werden daher mit 0,- € angesetzt.

Aktiva II: Nach dem Vortrag der Klägerin sind auf einem dieser Konten binnen der folgenden drei Wochen Gutschriften von 600.000,- €, 302,86 € und 749,76 €, zusammen also 601.052,62 € erfolgt. Diese binnen drei Wochen nach dem Stichtag eingegangen liquiden Mittel werden mangels anderweitigen Vortrages als Aktiva II angesetzt.

Passiva I: Als am Stichtag fällige Verbindlichkeiten können die Ansprüche der Gläubiger I. GmbH, H. und K. aus den oben unter II. dargelegten Gründen nicht angesetzt werden. Vom Anspruch der Gläubiger N. LLP / N. Consulting können 36.228,54 € angesetzt werden; der Teilbetrag von 6.035,01 € gemäß Rechnung vom 9.1.2009 (bei Anlage K 12) war am Stichtag noch nicht fällig. Selbst wenn man die von der Klägerin trotz (von Beklagtenseite zu Recht monierter) fehlender Substantiierung behaupteten weiteren fälligen Verbindlichkeiten in Höhe von 585.417,60 € ansetzt, ergeben sich damit Passiva I von zusammen (36.228,54 € + 585.417,60 € =) 621.646,14 €.

Passiva II: Hierzu findet sich praktisch kein Klägervortrag. Erschließbar ist aber immerhin, dass das Konto, auf welchem die vorgenannten Zahlungen eingingen, am Ende des Betrachtungszeitraums einen Stand von 2.431,19 € bei einem Ausgangsbestand von 0,- € aufwies. Im Betrachtungszeitraum gingen auf dem Konto die oben genannten Gutschriften von 601.052,62 € ein und wurden Abverfügungen von 585.417,60 € vorgenommen. Also muss es im Betrachtungszeitraum weitere Abverfügungen von (601.052,62 € – 585.417,60 € – 2.431,19 € =) 13.203,82 € gegeben haben. Unterstellt man zugunsten der Klagepartei, dass diese Abverfügungen auf gerade fällig gewordene Verbindlichkeiten erfolgten, kommt man zu Passiva II in Höhe dieser Abverfügungen (13.203, 82 €) zuzüglich des am 9.1.2009 fällig gewordenen Restbetrages aus der Forderung N.(6.035,01 €; vgl. oben), also zu 19.238,83 €.

Deckungslücke: Die Summe der Aktiva I + II beträgt (0,- € + 601.052,62 € =) 601.052,62 €. Die Summe der Passiva I + II beträgt (621.646, 14 € + 19.238,83 € =) 640.884,97 €. Die Deckungslücke beträgt damit 39.832,35 €, das sind 6,21%.

Eine größere Deckungslücke ist auf der Basis des rudimentären Vortrags der Klägerin nicht herleitbar. Auf die Einwände der Beklagten gegen die klägerischen Ansätze kommt es damit nicht mehr an.

3. Der Senat verkennt nicht, dass der vorstehend ermittelte Befund einer Deckungslücke zum (von der Klägerin herangezogenen) Stichtag (22.12.2008) von 6,21% die Annahme von Zahlungsunfähigkeit im Zeitraum der gegenständlichen Zahlungen (Ende Februar bis Mitte Mai 2009) nicht ausschließen würde, wenn man im Wege einer (negativen) Fortführungsprognose von einer kontinuierlichen Vergrößerung der Deckungslücke nach dem Stichtag ausgehen könnte (vgl. z.B. Uhlenbruck / Mock, InsO, 15. Aufl., § 17 Rz. 30). Dazu fehlt aber jeder Vortrag der darlegungspflichtigen Klägerin.

C.

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Auferlegung der Säumniskosten auf die Beklagte nach § 344 ZPO kam nicht in Betracht. Das Versäumnisurteil des Landgerichts nach § 331 Abs. 3 ZPO ist nicht in gesetzlicher Weise ergangen. Der Erblasser hat die Frist zur Verteidigungsanzeige nicht versäumt; vielmehr hatte diese mangels wirksamer Zustellung der Verfügung über die Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens im Zeitpunkt des Versäumnisurteils noch nicht begonnen. Denn die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung nach § 185 Nr. 1 ZPO waren (und sind) nicht hinreichend dargetan.

Der Aufenthalt einer Partei ist unbekannt im Sinne der genannten Vorschrift, wenn er nicht nur dem Gegner und dem Gericht, sondern allgemein unbekannt ist. Dabei ist es zunächst Sache der Partei, die die öffentliche ZustellungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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beantragt, alle geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anzustellen, um den Aufenthalt des Zustellungsempfängers zu ermitteln, und ihre ergebnislosen Bemühungen dem Gericht darzulegen (BGH, Urteil vom 3.5.2016 – II ZR 311/14, Rz. 7 m.w.Nachw.). Die Frage, ob der Aufenthalt des Zustellungsadressaten unbekannt ist, kann nicht ohne Berücksichtigung der einem Kläger zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten beantwortet werden (a.a.O. Rz. 39). Eine unergiebig gebliebene Anfrage beim Einwohnermeldeamt ist grundsätzlich nicht ausreichend (a.a.O. Rz. 40). Die durch die Zustellung begünstigte Partei kann beispielsweise gehalten sein, durch persönliche Nachfragen beim ehemaligen Arbeitgeber, bei dem letzten Vermieter oder bei Hausgenossen oder Verwandten des Zustellungsadressaten dessen Aufenthalt zu ermitteln (a.a.O. Rz. 41). Insoweit kann sogar die Einschaltung eines Privatdetektivs erforderlich sein (vgl. Thomas / Putzo / Hüßtege, ZPO, 43. Aufl., § 185 Rz.7).

Die Klägerin hat in ihrem Antrag auf öffentliche ZustellungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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(Bl. 12 der Akten) nur (in zwei Zeilen) dargelegt, dass eine EMA-Anfrage ergebnislos verlaufen sei und die der Klägerin bekannten Angehörigen (des Erblassers) keine Auskunft gegeben hätten. Auf der Basis dieser nach den vorstehenden Ausführungen zu knappen Darlegungen der Klägerin hätte die öffentliche ZustellungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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nicht angeordnet werden dürfen.

Aber auch die nachträglichen Darlegungen der Klägerin in erster Instanz hätten nicht ausgereicht. Die EMA-Anfrage, die nicht direkt beim Einwohnermeldeamt, sondern über das Portal Regis24 erholt wurde, brachte das Ergebnis (Anlage 3 nach Bl. 25 der Akten): „Nicht zu ermitteln. Eine Auskunft kann aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht oder derzeit nicht erteilt werden.“ Mit einer derart vagen Stellungnahme eines nichtstaatlichen Onlinedienstes hätte sich die Klägerin nicht begnügen dürfen.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3. Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Allein die Tatsache des Fehlens einer höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 302 Abs. 3 S. 2 AktG begründet keine grundsätzliche Bedeutung, zumal vorliegend die tatsächliche Würdigung der Umstände des Einzelfalles inmitten stand.

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