Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ist nichtig
- a) Über den Wortlaut von Art. 109 Abs. 3 Satz 2 und Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG hinaus ist ein sachlicher Veranlassungszusammenhang zwischen der Naturkatastrophe oder außergewöhnlichen Notsituation und der Überschreitung der Kreditobergrenzen erforderlich. Bei dessen Beurteilung kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu.
- b) Diesem Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum korrespondiert eine Darlegungslast im Gesetzgebungsverfahren.
- a) Die Geltung der Grundsätze der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit im Staatsschuldenrecht erstreckt sich auf die Ausnahmeregelung des Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG für Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen.
- b) Sie können nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass der Haushaltsgesetzgeber eine Gestaltungsform wählt, bei der Kreditermächtigungen für ein juristisch unselbständiges Sondervermögen nutzbar gemacht werden.
- Das Gebot der Vorherigkeit ist grundsätzlich auch bei der Aufstellung von Nachtragshaushalten zu beachten. Ein Nachtragsentwurf ist demnach bis zum Jahresende parlamentarisch zu beschließen.
Gründe:
A.
Das abstrakte Normenkontrollverfahren richtet sich gegen die rückwirkende Änderung des Haushaltsgesetzes 2021 und des Bundeshaushaltsplans 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 vom 18. Februar 2022 (BGBl I S. 194).
I.
1. Zahlreiche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und zur Milderung ihrer Folgen seit dem Frühjahr des Jahres 2020 brachten erhebliche Belastungen für den Staatshaushalt mit sich.
a) Ursprünglich hatte das Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2020 (Haushaltsgesetz 2020) vom 21. Dezember 2019 (BGBl I S. 2890) noch keine Nettokreditaufnahme vorgesehen.
b) In Reaktion auf die einsetzende Corona-Pandemie stellte der Deutsche Bundestag am 25. März 2020 erstmals das Bestehen einer außergewöhnlichen Notsituation gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und 7 GG fest (vgl. BTDrucks 19/18108 i.V.m. BTDrucks 19/18131).
c) In der Folge wurden Kreditaufnahmen des Bundes durch das Nachtragshaushaltsgesetz 2020 vom 27. März 2020 (BGBl I S. 556) und das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2020 vom 14. Juli 2020 (BGBl I S. 1669) ermöglicht. Für das Haushaltsjahr 2020 wurde der Bund hierdurch zu einer Nettokreditaufnahme in Höhe von insgesamt etwa 218 Milliarden Euro ermächtigt.
d) Die Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation wurde mit Beschlüssen des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 2020 (vgl. BTDrucks 19/20128 i.V.m. BTDrucks 19/20716) und vom 8. Dezember 2020 (vgl. BTDrucks 19/22887 i.V.m. BTDrucks 19/24940) bestätigt und angepasst.
2. Der Bundeshaushalt 2021 sah ursprünglich Kreditermächtigungen in Höhe von etwa 180 Milliarden Euro vor (vgl. Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2021 vom 21. Dezember 2020, BGBl I S. 3208).
a) Mit dem Nachtragshaushaltsgesetz 2021 wurden die Kreditermächtigungen für das Haushaltsjahr 2021 um weitere 60 Milliarden Euro auf insgesamt 240.175.714.000 Euro aufgestockt (Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021 <Nachtragshaushaltsgesetz 2021> vom 3. Juni 2021, BGBl I S. 1410). Ermöglicht wurde diese Erhöhung durch einen weiteren Beschluss des Deutschen Bundestages gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und 7 GG vom 23. April 2021 (vgl. BTDrucks 19/28464 i.V.m. BTDrucks 19/28740).
b) Im Verlauf des Haushaltsjahres 2021 zeigte sich, dass die im Nachtragshaushaltsgesetz vorgesehenen Aufstockungen nicht benötigt wurden. Vor diesem Hintergrund kam im politischen Raum die Vorstellung auf, die mit dem Nachtragshaushaltsgesetz 2021 eingeräumten Kreditermächtigungen in der vollen Höhe von 60 Milliarden Euro durch eine Zuführung an den „Energie- und Klimafonds“ (nachfolgend: EKF), ein unselbständiges Sondervermögen des Bundes (vgl. Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ <EKFG> vom 8. Dezember 2010, BGBl I S. 1807), nutzbar zu machen.
3. Aufgrund von Art. 1 des Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021 vom 18. Februar 2022 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021, BGBl I S. 194) wurden das Gesamtvolumen des Bundeshaushalts 2021 von 547.725.714.000 auf 572.725.714.000 Euro und das Volumen des EKF von 42.694.600.000 auf 102.694.600.000 Euro erhöht. Insoweit wurde der Bundeshaushaltsplan 2021 entsprechend angepasst. Nach Art. 2 des Gesetzes trat die Änderung mit Wirkung vom 1. Januar 2021 und damit rückwirkend in Kraft.
Im Bundeshaushalt wurden eine globale Mehreinnahme in Höhe von 25 Milliarden Euro und eine globale Minderausgabe in Höhe von 35 Milliarden Euro angesetzt (Einzelplan 60 Kapitel 6002).
Die auf der Basis des ersten Nachtragshaushaltsgesetzes vom 3. Juni 2021 bestehende Ermächtigung zur Nettokreditaufnahme in Höhe von 240.175.714.000 Euro blieb durch das Gesetz unverändert.
4. Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 hat folgenden Wortlaut:
Artikel 1
Das Haushaltsgesetz 2021 vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3208), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 3. Juni 2021 (BGBl. I S. 1410) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 1 wird wie folgt geändert:
a) In Absatz 1 wird die Angabe „547 725 714 000“ durch die Angabe „572 725 714 000“ ersetzt.
b) In Absatz 3 wird die Angabe „42 694 600 000“ durch die Angabe „102 694 600 000“ ersetzt.
2. Der Bundeshaushaltsplan 2021 wird nach Maßgabe des diesem Gesetz als Anlage beigefügten Nachtrags geändert.
Artikel 2
Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Januar 2021 in Kraft.
a) In ihrem Gesetzentwurf vom 13. Dezember 2021 verweist die Bundesregierung darauf, dass zur Abmilderung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und angesichts des massiven wirtschaftlichen Einbruchs im Jahr 2020 weiterhin umfangreiche angebots- und nachfrageseitige Maßnahmen notwendig seien, um die deutsche Volkswirtschaft wieder auf einen langfristig nachhaltigen Wachstumspfad führen zu können (vgl. BTDrucks 20/300, S. 4 f.). Dabei bedürfe es erheblicher zukunftsgerichteter Impulse „zum Beispiel für den Klimaschutz“. Ein wesentliches Element zur Bewältigung der Pandemie seien konjunkturunterstützende erhöhte staatliche Investitionen sowie die Förderung privatwirtschaftlicher Investitionen. Eine verlässliche staatliche Finanzierung und eine Förderung privatwirtschaftlicher Ausgaben für bedeutende Zukunfts- und Transformationsaufgaben etwa in den Bereichen Klimaschutz und Digitalisierung seien unter den besonderen Bedingungen der Pandemiebewältigung eine wesentliche Voraussetzung, um die Folgen der Krise schnell zu überwinden, die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft zu sichern und damit das wirtschaftliche Wachstum anzuregen und nachhaltig zu stärken. Viele diesbezügliche Investitionen seien unter dem Einfluss der Pandemie nicht erfolgt. Deshalb bedürfe es einer weiteren Steigerung öffentlicher Investitionen, um gezielt private Investitionen in Zukunftsbereichen zu aktivieren und einen entsprechenden Nachholprozess anzustoßen.
Gemäß der Herbstprojektion der Bundesregierung zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung falle das Wachstum im Jahr 2021 aufgrund bestehender Lieferengpässe geringer aus als im Frühjahr erwartet. Eine erneut steigende Infektionsdynamik und die Unsicherheiten über eine neu aufgetretene Virusvariante stellten zudem ein hohes Risiko für die weitere Entwicklung dar. Dem Klimaschutz und dem Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energiequellen komme zur nachhaltigen Stärkung der Volkswirtschaft auf ihrem Weg aus der Pandemie eine besondere Qualität zu. Das Bundesverfassungsgericht habe diesbezüglich eine explizite verfassungsrechtliche Schutzpflicht des Staates festgestellt.
Mit dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 würden dem EKF in Anknüpfung an die bereits im Jahr 2020 in Zusammenhang mit dem Konjunktur- und Zukunftspaket erfolgte und zur Pandemiebewältigung gewährte Zuweisung erneut zusätzliche Mittel in Höhe von 60 Milliarden Euro zugeführt. Diese Zuweisung an den EKF sei angesichts sich im Haushaltsvollzug abzeichnender Mehreinnahmen und Minderausgaben möglich und erforderlich, um nachhaltige Finanzierungsmöglichkeiten zur „Überwindung des Klimawandels bzw. zur Transformation der deutschen Volkswirtschaft im Rahmen der Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie“ zu schaffen. Die Bundesregierung beabsichtige, den Energie- und Klimafonds zu einem Klima- und Transformationsfonds (KTF) weiterzuentwickeln.
Die Ermächtigung zur Nettokreditaufnahme werde hierdurch nicht erhöht. Die Kreditaufnahme selbst werde – im Unterschied zum bisher beschlossenen Bundeshaushalt – erst in den Folgejahren kassenwirksam werden, wenn der zukünftige KTF die mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2021 zusätzlich erhaltenen Mittel einsetze.
Zwar stelle sich der Haushaltsvollzug des Jahres 2021 besser dar, als es ursprünglich bei der Verabschiedung des Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 vom 3. Juni 2021 zu erwarten gewesen sei. Gleichwohl könnten die in der aktuellen Krisensituation erforderlichen Ausgaben weiterhin nicht aus den laufenden Einnahmen im Rahmen der Regelgrenze der Schuldenbremse finanziert werden. Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen stünden dem notwendigen Kurs einer nachhaltigen Stabilisierung entgegen. Insgesamt ergebe sich daraus, dass die geplante Zuweisung zum EKF geeignet, erforderlich und angemessen sei, um zur Überwindung der Folgen der Pandemie beizutragen.
b) Hinsichtlich der Grenzen für Kreditaufnahmen gemäß Art. 115 GG finden sich in der Begründung des Gesetzentwurfs Erläuterungen, die sich auf die Vorgaben in § 4 der Verordnung über das Verfahren zur Bestimmung der Konjunkturkomponente nach § 5 des Artikel 115-Gesetzes (Gesetz zur Ausführung von Artikel 115 des Grundgesetzes <Artikel 115-Gesetz – G 115> vom 9. Juni 2010, BGBl I S. 790, zuletzt geändert durch Artikel 245 der Verordnung vom 31. August 2015, BGBl I S. 1474) beziehen (vgl. BTDrucks 20/300, S. 6). Hierbei erfolgt insbesondere eine Anpassung und Neuberechnung der Konjunkturkomponente. Im Ergebnis wird danach die Regelgrenze der zulässigen Nettokreditaufnahme, also der zulässigen strukturellen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der Konjunkturkomponente, um 207,007 Milliarden Euro überschritten.
c) Zudem ist der Entwurfsbegründung eine rückwirkende Änderung der Buchungs-systematik im Hinblick auf Sondervermögen zu entnehmen (vgl. BTDrucks 20/300, S. 6):
Im Unterschied zur bisherigen an den Finanzierungssalden der Sondervermögen orientierten Buchungssystematik, bei der ein Überschuss eines Sondervermögens aus der Zuweisung aus dem Kernhaushalt das entsprechende Defizit bzw. die Nettokreditaufnahme des Kernhaushalts ausgleicht, werden künftig im Ergebnis an Stelle der Finanzierungssalden der Sondervermögen die Zuführungen des Kernhaushalts an die Sondervermögen berücksichtigt. Mit dem künftigen Verfahren werden einerseits Planungsunsicherheiten bei der Aufstellung des Haushalts beseitigt. Im Rahmen der bisherigen Haushaltsaufstellungen mussten Schätzungen zu den Finanzierungssalden der Sondervermögen vorgenommen werden, die sich oft als nicht zutreffend herausgestellt haben. Andererseits werden systematische Inkonsistenzen beseitigt, da damit die Buchungstechnik bei den Sondervermögen der Buchungstechnik beim Kernhaushalt angeglichen wird. Konkret wird die Rücklagenzuführung bei den Sondervermögen in Zukunft genauso gebucht wie bisher schon im Kernhaushalt. Damit diese Umstellung systemgerecht erfolgt und auch die Zuführungen der Vergangenheit korrekt erfasst werden, wird die Umstellung rückwirkend berücksichtigt.
d) Der Bundesrat verzichtete mit Beschluss vom 17. Dezember 2021 auf eine Stellungnahme zu dem Regierungsentwurf (vgl. BTDrucks 20/351, S. 1).
e) Nachdem der Haushaltsausschuss am 10. Januar 2022 eine Sachverständigenanhörung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung durchgeführt hatte, empfahl er mit Beschluss vom 14. Januar 2022 die Annahme des Gesetzentwurfs mit wenigen Änderungen (vgl. BTDrucks 20/400, S. 1 und BTDrucks 20/401). Der Entwurf wurde insbesondere um folgende „Verbindliche Erläuterungen“ zum Haushaltstitel über die Zuweisung an den EKF (Titel 614 01) ergänzt (vgl. BTDrucks 20/400, S. 3):
Die mit dem Zweiten Nachtragshaushalt 2021 zur Überwindung der Pandemiefolgen zusätzlich zugewiesenen Mittel dienen kurz- und mittelfristig der Finanzierung von Ausgaben zur Abfederung und Überwindung der durch die COVID-19-Pandemie verursachten Notsituation und werden hierbei für zusätzliche Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, Maßnahmen zur Transformation der deutschen wirtschaft und nachholende Investitionen verwendet:
1. Stärkung von Investitionen in Maßnahmen der Energieeffizienz und erneuerbarer Energien im Gebäudebereich,
2. Förderung von Investitionen für eine CO2-neutrale Mobilität,
3. Förderung von Investitionen in neue Produktionsanlagen in Industriebranchen mit emissionsintensiven Prozessen über Klimaschutzverträge (carbon contracts for difference),
4. Förderung von Investitionen zum Ausbau einer Infrastruktur einer CO2-neutralen Energieversorgung,
5. Stärkung der Nachfrage privater Verbraucher und des gewerblichen Mittelstands durch Abschaffung der EEG-Umlage.
Der Titel wird durch BMF [Bundesministerium der Finanzen] bewirtschaftet.
Der Haushaltsausschuss berechnete die Zahlen zur Überschreitung der Regelgrenze der zulässigen Nettokreditaufnahme neu und kam hierbei auf eine Überschreitung in Höhe von 208,865 Milliarden Euro (vgl. BTDrucks 20/400, S. 13).
f) Vor dem Hintergrund der Beschlussempfehlung und des Berichts sowie der ergänzenden Beschlussempfehlung (vgl. BTDrucks 20/530) des Haushaltsausschusses nahm der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung am 27. Januar 2022 den Gesetzentwurf mit den aus einer der Beschlussdrucksache beigefügten Zusammenstellung des „Einzelplans 60“ ersichtlichen Änderungen und den sich daraus ergebenden Änderungen der Abschlusssummen sowie der in der Ergänzungsdrucksache aufgeführten Titel an. Der Zweite Nachtrag zum Gesamtplan des Bundeshaushaltsplans 2021 ist der Beschlussdrucksache als Anlage beigefügt (vgl. BRDrucks 33/22).
g) Am 11. Februar 2022 beschloss der Bundesrat, einen Antrag nach Art. 77 Abs. 2 GG auf Einberufung des Vermittlungsausschusses nicht zu stellen (vgl. BRDrucks 33/22 <Beschluss>).
h) Nach Ausfertigung durch den Bundespräsidenten am 18. Februar 2022 wurde das Gesetz am 25. Februar 2022 im Bundesgesetzblatt verkündet (vgl. BGBl I S. 194).
5. Der EKF wurde ursprünglich durch das Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ vom 8. Dezember 2010 (BGBl I S. 1807) als wesentlicher Beitrag zur Umsetzung des langfristigen Energiekonzepts der Bundesregierung errichtet. Das Sondervermögen sollte zusätzliche Programmausgaben zur Förderung einer umweltschonenden, zuverlässigen und bezahlbaren Energieversorgung sowie zum Klimaschutz ermöglichen. Rechtlich und wirtschaftlich sind die Mittel des Sondervermögens vom Bundeshaushalt getrennt zu halten. Die Veranschlagung der EKF-Mittel erfolgt im Wirtschaftsplan des EKF, der jährlich zusammen mit dem Haushaltsgesetz festgestellt wird.
Angesichts der andauernden Corona-Pandemie und wegen der daraus resultierenden Risiken für die Erholung der wirtschaft und der Staatsfinanzen beschloss der Bundestag am 23. Juni 2022 das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ vom 12. Juli 2022 (vgl. BGBl I S. 1144). Zweck des Gesetzes ist die Weiterentwicklung des EKF zu einem „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF). Das Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ wurde in Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Klima- und Transformationsfonds“ (Klima- und Transformationsfondsgesetz – KTFG) umbenannt (vgl. BTDrucks 20/1598, S. 2).
Infolge der Änderung sollen zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur nachhaltigen Transformation der deutschen wirtschaft finanziert werden, die geeignet sind, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu bekämpfen, und die gleichzeitig dazu beitragen, die Klimaschutzziele des Klimaschutzgesetzes zu erreichen. Daneben wurden in § 2a KTFG die vom Haushaltsausschuss eingefügten „Verbindlichen Erläuterungen“ zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ausdrücklich in die Zweckbestimmung des Sondervermögens überführt (vgl. BGBl I 2022 S. 1144 f.).
II.
Die Antragstellerinnen und Antragsteller, 197 Mitglieder des Deutschen Bundestages, haben das Normenkontrollverfahren mit am 7. April 2022 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 18. März 2022 eingeleitet und beantragen festzustellen, dass Art. 1 und Art. 2 des Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021) vom 18. Februar 2022 (BGBl I S. 194) mit Art. 109 Abs. 3, Art. 110 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 sowie Art. 115 Abs. 2 GG unvereinbar und nichtig sind.
Sie machen geltend, die im zu prüfenden Gesetz vorgesehene Zuführung der Kreditermächtigungen an den EKF verstoße gegen Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG (1.). Zudem verfehle die Vorhaltung von Kreditermächtigungen im EKF die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung und den Einsatz von Sondervermögen (2.). Die Ansätze einer globalen Mehreinnahme und einer globalen Minderausgabe seien zu hoch und verstießen gegen das parlamentarische Budgetrecht gemäß Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG (3.). Schließlich trage die Verkündung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 erst nach Abschluss des Haushaltsjahres 2021 den verfassungsrechtlichen Haushaltsgrundsätzen nicht Rechnung (4.).
1. Die Zuführung der im Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 vorgesehenen Kreditermächtigungen an den EKF genüge nicht den verfassungsrechtlichen Maßstäben der notlagenbedingten Kreditaufnahme des Bundes aus Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG.
a) Zwar sei COVID-19 als Massenerkrankung eindeutig eine Naturkatastrophe im Sinne von Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG. Für den Klimawandel gelte dies hingegen nicht. Dabei handele es sich nicht um den Fall eines „exogenen Schocks“, den der verfassungsändernde Gesetzgeber 2009 im Blick gehabt habe, als er die Möglichkeit der notlagenbedingten Kreditaufnahme ausgestaltet habe. Es sei hierbei um den budgetären Ausgleich plötzlich auftretender, nicht vorauszusehender Notsituationen gegangen. Der Klimawandel sei seit langem bekannt, erfordere langfristig und weitgreifend angelegtes Staatshandeln und stelle sich deshalb als im Rahmen der regulären Haushaltswirtschaft zu bewältigende strukturelle Zukunftsherausforderung dar. Begriffe man den Klimawandel als Notsituation im Sinne von Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG, käme dies einer faktischen Abschaffung der Schuldenbremse gleich. Dementsprechend richteten sich auch die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 (vgl. BVerfGE 157, 30 – Klimaschutz) aus den Freiheitsgrundrechten abgeleiteten Handlungspflichten des Gesetzgebers an die allgemeine Bundes- und Landespolitik. Es bestehe kein dogmatischer Ansatzpunkt dafür, die grundrechtlich fundierten Handlungspflichten zu einer die Verschuldungsgrenzen ausweitenden Umdeutung der grundgesetzlichen Schuldenbremse heranzuziehen.
b) Veranlasst durch die Corona-Pandemie habe der Haushaltsgesetzgeber auf der Basis entsprechender Bundestagsbeschlüsse nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG sowohl für 2020 wie auch für 2021 zu einer notlagenbedingten Kreditaufnahme in ganz erheblicher Höhe ermächtigt. Die Bestimmung des genauen Umfangs der Ermächtigung falle in seinen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum. Diesbezügliche Darlegungen und Begründungen seien in den jeweiligen Gesetzentwürfen enthalten.
c) Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 betreffe dagegen einen ganz spezifischen Vorgang, der eigenständig zu prüfen sei. Ausgangspunkt sei das zu Ende gehende Haushaltsjahr 2021. Es habe sich gezeigt, dass Notlagenkreditmittel (jedenfalls) im Umfang von 60 Milliarden Euro nicht zur Krisenbewältigung gebraucht worden seien. Sie seien dem EKF zugeführt worden, um erst in Zukunft eingesetzt zu werden. Die Bundesregierung begründe diesen Schritt mit geringerem Wachstum im Jahr 2021, mit einer erneut steigenden Infektionsdynamik und den Unsicherheiten hinsichtlich einer neu auftretenden Virusvariante. Nach Ansicht der Bundesregierung müsse die Finanzpolitik deshalb weiterhin ihren Beitrag leisten, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu lindern; dem Klimaschutz und dem Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energiequellen komme dabei gerade zur nachhaltigen Stärkung der Volkswirtschaft auf ihrem Weg aus der Pandemie eine besondere Qualität zu.
aa) Dass Investitionen nachzuholen seien, deren Umfang in den letzten zwei Jahren unterhalb einer bestimmten Prognose aus der Zeit vor der Pandemie geblieben sei, tauge als Argument nicht. Unabhängig davon sei festzustellen, dass staatliche Investitionen, die zur Stimulierung privater Investitionen und der wirtschaft insgesamt wünschenswert sein könnten, nicht spezifisch zur Bewältigung einer Pandemie und damit auch nicht spezifisch zur Bewältigung der Corona-Pandemie dienten, sondern das Gemeinwesen allgemein ertüchtigen sollten.
Dementsprechend spiele der Investitionsaspekt im Rahmen der Regelungen in Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG von vornherein keine Rolle. Die Regelungen erlaubten die notlagenbedingte Kreditaufnahme in genau dem Umfang, der zur Bewältigung einer bestimmten Notlage erforderlich sei.
Im Übrigen sei zu beachten, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber das vormalige Investitionsjunktim der verfassungsrechtlichen Kreditaufnahmeregelung im Jahr 2009 ausdrücklich und sehr bewusst aufgegeben habe, weil es sich nicht bewährt habe. Dies sei bei der Auslegung der notlagenbezogenen Bestimmungen der Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG zu berücksichtigen.
bb) Ebenso müsse bei der Auslegung von Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG bedacht werden, dass konjunkturbedingte Effekte einer Notsituation auf den Staatshaushalt bereits durch die konjunkturbedingte Modifikation der zulässigen Kreditaufnahme aufgefangen würden. Soweit die Begründung des Gesetzentwurfs des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 auf die Entwicklung des wirtschaftlichen Wachstums und diesbezügliche Zielvorstellungen rekurriere, sei mithin die erforderliche Unterscheidung zwischen der konjunkturbedingten und der notlagenbedingten Kreditaufnahme zu wahren.
cc) Besonders weit entferne sich die Gesetzesbegründung von den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung von Notlagenkrediten, wenn sie die Bedeutung des Klimaschutzes und des dem Klimaschutz dienenden Ausstiegs aus der Nutzung fossiler Energiequellen in den Vordergrund rücke. Es sei zwar sinnvoll, wachstumsfördernde und die Wettbewerbsfähigkeit der wirtschaft unterstützende transformative Zukunftsinvestitionen in Klimaschutzmaßnahmen und zur Unterstützung der Energiewende vorzunehmen. Die Ziele des Klimaschutzes und der Energiewende, die die Ziele des bereits 2011 eingerichteten EKF seien, hätten mit der Bewältigung der Anfang 2020 aufgetretenen Corona-Pandemie jedoch nichts zu tun.
Zudem komme der Gesetzgeber seiner Darlegungs- und Begründungspflicht schon deshalb nicht nach, weil er die genannten Maßnahmen nicht auf die in Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG tatbestandliche Naturkatastrophe, also die Corona-Pandemie, beziehe, sondern auf die „durch die COVID-19-Pandemie verursachte Notsituation“. Der Gesetzgeber lege also von vornherein eine verfassungsrechtlich nicht vorgesehene „mittelbare Notlage“ zugrunde.
dd) Darüber hinaus seien die in den EKF transferierten Kreditermächtigungen durch Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG in temporaler Hinsicht nicht gedeckt. Es sei völlig offen, wann EKF-Mittel eingesetzt würden. Also sei es gerade nicht so, dass die Mittel, wie im Einleitungssatz der „Verbindlichen Erläuterung“ behauptet, „kurz- und mittelfristig“ zur Pandemiebekämpfung genutzt würden. Vielmehr deute das „Parken“ der Mittel in einem Sondervermögen eher auf eine – zumindest teilweise – längerfristige Vorhaltung hin.
Eine solche Vorhaltung sei mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen in Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG nicht vereinbar. Diese zugleich dem parlamentarischen Budgetrecht entsprechenden Anforderungen, auch konkretisiert in den Haushaltsgrundsätzen der Jährlichkeit, der zeitlichen Spezialität und der Fälligkeit, beschränkten die Notlagenkreditermächtigungen, die in einem bestimmten Haushaltsjahr ausgebracht würden, auf die Deckung von Ausgaben, die für Maßnahmen zur Notlagenbekämpfung in diesem Haushaltsjahr entstünden. Der in Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vorausgesetzte „Fall“ sei jährlich festzustellen und zu verantworten.
d) Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der hier gegenständlichen Zuführung von Kreditermächtigungen scheitere – hilfsweise – auch an der Erforderlichkeit. Nicht nur seien im Jahr 2021 Notlagenkreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro ursprünglich nicht benötigt worden. Vielmehr sei die Neuverschuldung im Jahr 2021 um rund 25 Milliarden Euro geringer geblieben als ursprünglich vorgesehen. Zugleich hätten die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen Rekordwerte erreicht. Schließlich sei die vormalige Asylrücklage im Umfang von mehr als 48 Milliarden Euro, deren Zweckbindung durch das Nachtragshaushaltsgesetz 2020 aufgehoben worden sei, nicht angetastet worden (unter Verweis auf das Nachtragshaushaltsgesetz 2020 vom 27. März 2020, BGBl I S. 556).
Wären weitere Mittel zur Krisenbewältigung notwendig gewesen, hätte nach dem Maßstab der Erforderlichkeit zunächst die Rücklage eingesetzt werden müssen und erst nachrangig zur (fortgesetzten) Notlagenkreditaufnahme ermächtigt werden dürfen. Die Bundesregierung habe keine hinreichende Begründung dafür gegeben, warum auf den Einsatz der Rücklage verzichtet worden sei.
2. Unabhängig vom fehlenden Notlagenbezug der in den EKF verbrachten Kreditermächtigungen sei deren Vorhaltung im EKF als solche verfassungswidrig. Sie verstoße gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung und den Einsatz unselbständiger Sondervermögen.
a) Verfassungsrechtlich problematisch sei bereits die Ausgestaltung des EKF im Ganzen. Nachdem der Fonds 2011 mit Einnahmen in Höhe von 300 Millionen Euro gestartet sei, ergebe sich infolge des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 ein Volumen des Fonds von insgesamt über 100 Milliarden Euro. Die zeitlichen Perspektiven der Verwendung dieser Mittel seien weitgehend offen. Dies bedeute, dass ein Betrag in Höhe von knapp einem Fünftel des gesamten Bundeshaushalts dem jährlichen prozess der parlamentarischen Prioritätensetzung durch Budgetentscheidungen und dem regulären Haushaltskreislauf entzogen sei.
b) Durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 würden Kreditermächtigungen im Umfang von 60 Milliarden Euro in den EKF überführt, um dort für zukünftige Ausgaben vorgehalten, gleichsam „geparkt“ zu werden. Dies sei offenbar mit Blick darauf erfolgt, dass künftig möglicherweise keine neuen notlagenbedingten Kreditermächtigungen mehr erteilt werden könnten.
Schließlich und insbesondere verstoße die Vorhaltung von Kreditermächtigungen in periodenübergreifenden Rücklagen gegen die Jahresbezogenheit der Anforderungen aus Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG. Es sei absehbar, dass die im Jahr 2021 wegen der Corona-Pandemie verfassungsrechtlich gegebenen Möglichkeiten der notlagenbedingten Kreditaufnahme in Zukunft nicht mehr eröffnet seien. Diese zeitsensiblen verfassungsrechtlichen Grenzziehungen würden unterlaufen, wäre es möglich, Kreditermächtigungen durch Bildung einer Rücklage in einem Sondervermögen „über die Zeit zu retten“.
c) Während sich die Buchungssystematik bislang an den Finanzierungssalden der Sondervermögen orientiert habe und der Überschuss eines Sondervermögens aufgrund der Zuweisung aus dem Kernhaushalt das entsprechende Defizit oder die Nettokreditaufnahme des Kernhaushalts ausgeglichen habe, würden künftig an Stelle der Finanzierungssalden der Sondervermögen die Zuführungen des Kernhaushalts an die Sondervermögen berücksichtigt werden. In der Folge erhielten einzelne Zuführungen aus dem Kernhaushalt an Sondervermögen unmittelbar Ausgabenrelevanz.
Zwar lasse Art. 110 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG verschiedene Buchungsvarianten im Verhältnis zwischen Kernhaushalt und Sondervermögen zu. Die Buchungssystematik finde jedoch in der unter staatsschuldenrechtlichen Gesichtspunkten erforderlichen Einheitsbetrachtung von Kernhaushalt und unselbständigen Sondervermögen ihre Grenze. Für die zeitliche Zuordnung von Kreditermächtigungen und tatsächlichen Kreditaufnahmen wie auch für die Berücksichtigung des Vollzugs auf dem Kontrollkonto könne es keinen Unterschied machen, ob eine Kreditermächtigung im Kernhaushalt oder in einem Sondervermögen angesiedelt sei. Dies entspreche zugleich den EU-rechtlichen, auf den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) aufsetzenden Fiskalregeln. Daraus folge, dass die Verlagerung einer Kreditermächtigung vom Kernhaushalt in ein Sondervermögen staatsschuldenrechtlich neutral, also als solche ohne (Ausgaben-)Relevanz bleiben müsse.
Durch die Buchungssystematik dürfe die tatsächliche Kreditaufnahme nicht künstlich vorgezogen werden, um die zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden verfassungsrechtlichen Bedingungen der Kreditaufnahme missbräuchlich auszunutzen.
Die Zahlen, von denen im Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ausgegangen werde, beruhten auf Berechnungen nach Maßgabe der neuen Buchungssystematik. Dies gelte insbesondere für die Ansätze des Kontrollkontos. Die veränderte Buchungssystematik sei demnach der Türöffner für die Verschiebung der Kreditermächtigungen. Aus diesem Grund sei das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 auch wegen der verfassungsrechtlich unzulässigen neuen Buchungssystematik verfassungswidrig.
3. Durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 würden eine globale Mehreinnahme in Höhe von 25 Milliarden Euro und eine globale Minderausgabe in Höhe von 35 Milliarden Euro neu ausgebracht (Einzelplan 60 Kapitel 6002), um Haushaltsspielraum für die Zuführung von Kreditermächtigungen an den EKF zu schaffen. Zusammen hätten diese globalen Titel ein Volumen von 60 Milliarden Euro. Dies entspreche mehr als 10 % des gesamten Haushaltsvolumens.
Gemäß den haushaltsverfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz globaler Haushaltstitel sei der Ansatz globaler Minderausgaben demgegenüber höchstens in Höhe von etwa 2 % des Haushaltsvolumens akzeptabel. Für den Ansatz globaler Mehreinnahmen gelte Entsprechendes. Im Fall eines Nachtragshaushalts seien die Anforderungen an die Titeldetaillierung eher noch strenger.
Vor diesem Hintergrund seien die Globalansätze im Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 viel zu hoch. Sie verstießen deshalb gegen das parlamentarische Budgetrecht gemäß Art. 110 Abs. 1 Satz 1 GG, namentlich gegen die im parlamentarischen Budgetrecht verankerten Haushaltsgrundsätze der sachlichen Spezialität sowie der Haushaltsklarheit und -wahrheit.
4. Nach den haushaltsverfassungsrechtlichen Maßgaben führe die Verkündung eines Nachtragshaushaltsgesetzes erst nach Abschluss des betreffenden Haushaltsjahres zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes. Das parlamentarische Budgetrecht gemäß Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG begründe die verfassungsrechtlichen Haushaltsgrundsätze der Vorherigkeit des Haushalts und der Fälligkeit der Titelansätze. Das erst im Februar 2022 verkündete Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 verstoße hiergegen und sei auch deshalb verfassungswidrig.
III.
Von der gemäß § 77 Nr. 1 BVerfGG dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung und allen Landesregierungen gewährten Möglichkeit zur Stellungnahme hat nur die Bundesregierung Gebrauch gemacht. Sie erachtet den Antrag für unbegründet.
1. Die kreditfinanzierte Zuweisung der 60 Milliarden Euro an den EKF sei mit den Vorgaben der sogenannten Schuldenbremse aus Art. 115 Abs. 2 GG vereinbar.
a) Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG ermögliche im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entzögen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigten, eine Überschreitung der Regelobergrenze des Art. 115 Abs. 2 GG. Von dieser Möglichkeit habe der Bundesgesetzgeber angesichts der andauernden Pandemie im Bundeshaushalt 2021 Gebrauch gemacht. Dass die Corona-Pandemie auch im Haushaltsjahr 2021 eine solche Notsituation dargestellt habe, werde von keiner Seite bestritten. Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG ermächtige zwar prinzipiell zu einer betragsmäßig nicht limitierten Überschreitung der Regelobergrenze. Allerdings werde nach überwiegender Ansicht verlangt, dass die über die Regelobergrenze hinausgehende Staatsverschuldung entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 115 GG a.F. dazu bestimmt und geeignet sein müsse, die Notsituation zu beseitigen. Es müsse ein finaler Veranlassungszusammenhang zwischen Kreditaufnahme und Beseitigung der konkreten Notsituation, eine sogenannte Krisenkonnexität, gegeben sein. Das Vorliegen einer Notsituation ermächtige den Haushaltsgesetzgeber daher nicht zu einer grenzenlosen Verschuldung. Damit ergebe sich aus Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG zwar keine absolute, jedoch eine – von der Art der jeweiligen Krise abhängige – relative Verschuldungsgrenze.
Maßgeblich seien stets die Eigenarten der konkreten Notsituation, die in einer wertenden Gesamtbetrachtung ergäben, wann unter Beachtung der Zwecke des Art. 115 Abs. 2 GG eine hinreichende Krisenkonnexität anzunehmen sei. Zweck der Ausnahmeklausel des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG sei es, die Handlungsfähigkeit des Staates zur Krisenbewältigung zu gewährleisten, dies gerade auch im Kontrast zu den engen Grenzen für die Kreditaufnahme in der Normallage. Der Verfassungsgeber habe sich als Korrektiv für die weite Krisenermächtigung nicht für eine tatbestandliche Einengung der möglichen Maßnahmen entschieden, sondern für eine umfassende Tilgungsregelung, die sicherstelle, dass es nicht zu einer dauerhaften Erhöhung der Staatsverschuldung komme.
Vor diesem teleologischen Hintergrund seien bei der Ermittlung der geforderten Krisenkonnexität die Art der Krise und ihre konkreten Auswirkungen (aa), die gesamtwirtschaftliche Verantwortung des Bundes (bb) sowie die Vereinbarkeit der kreditfinanzierten Ausgaben mit den Zwecken des Art. 115 Abs. 2 GG (cc) in den Blick zu nehmen. Keine Voraussetzungen seien demgegenüber die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Kreditaufnahme für die Beseitigung der KriseBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beseitigung der Krise
Krise
und deren Verhältnismäßigkeit (dd). Dem Haushaltsgesetzgeber komme im Hinblick auf die Eignung der gewählten Maßnahmen im Übrigen ein weitreichender Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu; gerichtlich überprüfbar sei allein die Vertretbarkeit und Nachvollziehbarkeit seiner Entscheidung (ee).
aa) Im Grundsatz seien zwei Krisenszenarien zu betrachten, die im Hinblick auf die durch Kredite finanzierbaren Folgen zu unterscheiden seien: zum einen regional und zeitlich begrenzte Krisen (Typ 1-Krisen) und zum anderen zeitlich langanhaltende, die ökonomische Entwicklung im gesamten Bundesgebiet (und darüber hinaus) beeinträchtigende Krisen (Typ 2-Krisen). Im Jahr 2021 seien beide Krisentypen aufgetreten: zum einen die Hochwasserkatastrophe Mitte Juli (Typ 1-Krise), zum anderen die bereits seit Anfang 2020 andauernde Corona-Pandemie (Typ 2-Krise). Die erste Krise habe nur wenige Tage gedauert, aber gleichwohl Schäden in Milliardenhöhe verursacht, die jedoch regional eng begrenzt gewesen seien und die ökonomische Entwicklung in anderen Regionen kaum tangiert hätten. Demgegenüber sei die Corona-Pandemie noch immer nicht überwunden. Die ökonomischen Auswirkungen der Pandemie seien nicht regional begrenzt, sondern beträfen das gesamte Bundesgebiet oder gar die gesamte Welt. Damit aber unterschieden sich auch die Maßnahmen, die zur Überwindung dieser beiden Krisentypen nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG kreditfinanziert werden könnten.
Bei dieser Betrachtungsweise liege keine unzulässige Überschneidung mit der in Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG normierten Konjunkturkomponente vor. Beide Regelungen seien vielmehr unabhängig voneinander und hätten unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen und Zwecke. Während Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG auf die möglichst effektive Überwindung der Krisenfolgen abziele, strebe die Konjunkturkomponente eine symmetrische Berücksichtigung automatischer Stabilisatoren in der Finanzpolitik außerhalb von erheblichen Krisensituationen an. Die Ausnahme der notlagenbedingten Kreditaufnahme setze auf die zulässige Kreditaufnahme einschließlich der Konjunkturkomponente auf.
bb) Im Haushalts- und Finanzsystem des Grundgesetzes werde an verschiedenen Stellen deutlich, dass dem Bund eine gesamtwirtschaftliche Verantwortung zukomme. Das zeige sich unter anderem in der Regelung des Art. 104b GG zu möglichen Finanzhilfen des Bundes für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden. Auch Art. 115 Abs. 2 GG gehe von einer solchen Verantwortung des Bundes für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung aus. Diese wirke sich zwar nicht in allen Fällen des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG aus, offenkundig aber jedenfalls in den Konstellationen, in denen es sich um eine Krise des Typs 2 handele und es daher gerade um die Beseitigung krisenbedingter fundamentaler und bundesweit wirksamer ökonomischer Beeinträchtigungen gehe. In diesen Fällen müsse deshalb die gesamtwirtschaftliche Verantwortung des Bundes bei der Auslegung des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG berücksichtigt werden. In der Konsequenz seien dem Bund in weit größerem Maße allgemeine Maßnahmen zur Ankurbelung der bundesweiten wirtschaft zuzugestehen als bei Krisen des Typs 1.
cc) Eine Herabsetzung der Konnexitätsanforderungen könne sich im Einzelfall zudem daraus ergeben, dass Sinn und Zweck der mit der Kreditaufnahme ermöglichten Ausgaben dem Sinn und Zweck des Art. 115 Abs. 2 GG und seiner Ausnahmeregelung nicht entgegenstünden oder mit diesen sogar gleichlaufend seien. Der allgemeine Zweck des Art. 115 Abs. 2 GG werde in diesem Zusammenhang in der Verhinderung einer übermäßigen finanziellen Belastung künftiger Generationen gesehen. Sofern die angestrebten kreditfinanzierten Maßnahmen aus verfassungsrechtlicher Sicht ihrerseits dazu beitrügen, entsprechende finanzielle Belastungen der zukünftigen Generation explizit zu reduzieren, förderten sie den Zweck des Art. 115 Abs. 2 GG. Genauso verhalte es sich bei finanziellen Investitionen in die Bekämpfung des Klimawandels zur Überwindung der Folgen der Corona-Pandemie. Die besondere Bedeutung eines effektiven Klimaschutzes gerade im Hinblick auf zukünftige Generationen und daraus resultierende Emissionsminderungspflichten seien vom Bundesverfassungsgericht in seinem Klimabeschluss explizit betont worden. Eine systematische Auslegung des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG müsse diese gleichrangige verfassungsrechtliche Verpflichtung daher aufnehmen und angemessen verarbeiten. Das führe zwar nicht dazu, dass entsprechende kreditfinanzierte Ausgaben von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG generell nicht mehr erfasst würden. Es führe aber zu einer Absenkung der Anforderungen an die notwendige Krisenkonnexität im Vergleich zu Ausgaben, bei denen ein solcher Gleichlauf der Zwecke nicht gegeben sei.
Eine Absenkung der Konnexitätsanforderungen scheide auch nicht deshalb aus, weil der verfassungsändernde Gesetzgeber das vormalige Investitionsjunktim bei der Neufassung des Art. 115 GG aufgegeben habe. Hintergrund dieser Entscheidung sei gewesen, dass sich die damalige Norm nicht als geeignet erwiesen habe, die Staatsverschuldung außerhalb realer Krisenzeiten effektiv zu begrenzen. Damit sei aber nicht die Aussage verknüpft gewesen, dass zwischen Investitionen und sonstigen Ausgaben im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit ihrer Kreditfinanzierung generell nicht mehr differenziert werden dürfe.
dd) Über die Finalität und Geeignetheit der ergriffenen Maßnahmen zur Beseitigung der Krisen hinaus enthalte Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG keine weiteren materiellen Beschränkungen für eine krisenbedingte Kreditaufnahme des Bundes. Insbesondere müsse sich diese nicht zugleich als erforderlich und angemessen erweisen; eine entsprechende Bindung des Haushaltsgesetzgebers an den Grundsatz der VerhältnismäßigkeitBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Grundsatz
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bestehe nicht. Dies entspreche der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur ehemaligen Schuldenregelung des Art. 115 GG. Teleologische und funktionell-rechtliche Überlegungen führten ebenfalls dazu, dass der Grundsatz der VerhältnismäßigkeitBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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jedenfalls bei Krisen des Typs 2 keine Anwendung finden könne. Die Einhaltung der Regelobergrenze für die Neuverschuldung und deren Aussetzung zur Überwindung von Krisensituationen seien nach der Wertung des verfassungsändernden Gesetzgebers gleichrangig. Auch bei der Entscheidung, wie einer Krise des Typs 2 zu begegnen sei, handele es sich um eine hochpolitische Entscheidung, da sie in einem engen Zusammenhang mit der Gewährleistung der staatlichen Handlungsfähigkeit insgesamt und der allgemeinen Wirtschaftspolitik des Bundes stehe. Schon deshalb verbiete sich eine mit der Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips einhergehende pauschale Privilegierung einer möglichst geringen Verschuldung bei der Anwendung des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG.
ee) Im Hinblick auf das Vorliegen der relevanten Tatbestandsmerkmale des Art. 115 GG sowie insbesondere auf die Eignung der zur Krisenbeseitigung ergriffenen Maßnahmen gewähre das Bundesverfassungsgericht dem Haushaltsgesetzgeber seit jeher einen weiten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum (unter Verweis auf BVerfGE 79, 311 <343>; 119, 96 <140>).
Gerichtlich überprüfbar seien nur die äußeren Grenzen dieses Einschätzungs- und Beurteilungsspielraums, mithin das „natur-, finanz- und wirtschaftswissenschaftlich Vertretbare und Nachvollziehbare“. Zur Ermöglichung einer solchen gerichtlichen Plausibilitätskontrolle träfen den Haushaltsgesetzgeber korrespondierende Darlegungspflichten dahingehend, dass er eine eigene Beurteilung vorzunehmen und die Eignung der kreditfinanzierten Maßnahmen in ausreichender Form einzuschätzen habe. Dies entspreche ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (unter Verweis auf BVerfGE 119, 96 <140>).
b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe erweise sich die Zuführung an den EKF als mit Art. 115 Abs. 2 GG vereinbar.
aa) Die Bundesregierung bezwecke mit der Zuführung an den EKF eine Überwindung der dramatischen ökonomischen Auswirkungen der Corona-Pandemie und damit einer Krise des Typs 2, die zu einer zusätzlichen Kreditaufnahme nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG ermächtige. Diese finale Ausrichtung werde in der Begründung des Gesetzentwurfs ausführlich dargelegt. Dass mit den zugeführten Mitteln zugleich der Klimawandel oder dessen Folgen hätten abgeschwächt werden sollen, stehe dem nicht entgegen. Die Pandemie habe als Krise des Typs 2 erhebliche Auswirkungen auf die allgemeine ökonomische Entwicklung im gesamten Bundesgebiet, sodass der Versuch, diese durch die Stimulierung privater Investitionen wiederzubeleben, durchaus der Beseitigung spezifischer Pandemiefolgen diene. Ähnlich wie bei der Finanzkrise, der von staatlicher Seite teilweise mit rein konsumtiven Ausgaben in völlig anderen Wirtschaftsbereichen wie der Automobilwirtschaft begegnet worden sei („Abwrackprämie“), werde man die gesamtgesellschaftlichen Verwerfungen durch die Corona-Pandemie, die praktisch keinen Wirtschaftsbereich verschont hätten, in einer solchen Konstellation nicht zu „mittelbaren“ Folgen erklären können, denen der Haushaltsgesetzgeber nicht im Wege der notlagenbedingten Kreditaufnahme begegnen könne.
Dieser Einschätzung einer final auf die Beseitigung der Folgen der Corona-Pandemie gerichteten Maßnahme stehe nicht entgegen, dass die zugeführten Mittel kassenwirksam erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgezahlt würden, in dem eine erweiterte Kreditaufnahme nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG gegebenenfalls nicht mehr möglich wäre. Dies folge zum einen aus den Besonderheiten der Corona-Pandemie als einer Krise des Typs 2 sowie zum anderen daraus, dass die Bundesregierung bereits gegenwärtig notwendige und in der Zukunft zu Auszahlungen führende Verpflichtungen gegenüber Dritten nur mit einer entsprechenden finanziellen Unterlegung eingehen könne. Die erteilten Kreditermächtigungen verblieben nicht jahrelang „ungenutzt“ im EKF, wie dies bei gewöhnlichen Rücklagen der Fall sei. Sie seien vielmehr die schon jetzt notwendige Grundlage für das Eingehen von Verpflichtungen und damit für die verbindlichen, zum Teil mehrjährigen Zusagen gegenüber Dritten zur Anregung der zur Pandemiebewältigung erforderlichen privaten Investitionen. Jedenfalls sei zur Überwindung der weltweiten Corona-Pandemie, die bereits über zwei Jahre andauere und deren Ende aufgrund steter Mutationen weiterhin nicht konkret absehbar sei, eine länger dauernde Kreditfinanzierungsoption von Ausgaben zulässig.
bb) Die durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 eingeräumten Kreditermächtigungen seien – hilfsweise – auch erforderlich und angemessen. Hierbei sei nur eine Vertretbarkeitskontrolle durchzuführen.
(1) Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 sei erforderlich, weil die ökonomischen Auswirkungen der Krise ohne seine Maßnahmen, also unter alleiniger Inanspruchnahme der sonstigen haushaltsrechtlichen Möglichkeiten, bei Anspannung aller Konsolidierungskräfte nicht ebenso effektiv bewältigt werden könnten. Der Gesetzgeber habe in der Begründung ausdrücklich dargelegt, dass die Zuweisung an den EKF zur Überwindung der pandemiebedingten Notsituation erforderlich sei. Die Zuführung an den Fonds sei notwendig, damit in der anhaltenden pandemischen Notsituation Planungssicherheit für die Folgejahre bestehe und zusätzliche private Investitionstätigkeit angeregt werde.
(2) Die notlagenbedingte Kreditaufnahme und kreditfinanzierten Maßnahmen zur Notlagenbewältigung stünden angesichts der Schwere der durch die Pandemie ausgelösten Krise auch in einem angemessenen Verhältnis zum Ausmaß der Notlage. Die unvermeidliche vorübergehende Erhöhung des Schuldenstands korrespondiere mit den positiven finanziellen Wirkungen einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Tilgungspflicht, die die Rückführung der zusätzlichen Kreditaufnahme in einem angemessenen Zeitraum sicherstelle.
2. Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 sei auch im Übrigen mit dem Grundgesetz vereinbar und verstoße insbesondere nicht gegen sonstige verfassungsrechtlich fundierte Haushaltsvorgaben und -grundsätze.
a) Der in Art. 110 Abs. 2 GG wurzelnde Haushaltsgrundsatz der Jährlichkeit verlange nach § 11 Bundeshaushaltsordnung (BHO) die Aufstellung eines Haushaltsplans (nicht eines Haushaltsgesetzes) für jedes Haushaltsjahr. Im Grundsatz träten damit auch die Ermächtigungen des Haushaltsplans mit Ende des Haushaltsjahres automatisch außer Kraft (Grundsatz der zeitlichen Spezialität). Mit der Nutzung der bisher nicht in Anspruch genommenen Kreditermächtigungen für die Zuweisung der zusätzlichen Mittel an die Rücklage im EKF solle die Möglichkeit eröffnet werden, die korrespondierenden Ausgaben erst zu einem späteren Zeitpunkt kassenwirksam zu tätigen. Das könne für einen Konflikt mit dem Grundsatz der Jährlichkeit sprechen. Dieser Grundsatz beanspruche jedoch keine absolute Geltung, sondern lasse Ausnahmen zu. Solche Ausnahmen sehe die Bundeshaushaltsordnung etwa in § 19 BHO ausdrücklich vor. So könnten insbesondere Kreditermächtigungen über das Haushaltsjahr hinaus gelten (§ 18 Abs. 3 BHO). Zudem könne das Haushaltsgesetz bestimmen, dass Ermächtigungen zur Kreditaufnahme erst zu einem späteren Zeitpunkt außer Kraft träten (Art. 110 Abs. 4 Satz 2 GG). Zu den zulässigen Ausnahmen vom Jährlichkeitsprinzip zähle ebenfalls die Möglichkeit, Rücklagen und Sondervermögen zu bilden und diese in Anspruch zu nehmen. Beide Instrumente seien haushaltsrechtlich zulässig und durch den Haushaltsgesetzgeber gebilligt. Sie seien sowohl in der Bundeshaushaltsordnung abstrakt vorgesehen als auch durch den jeweiligen Haushaltsgesetzgeber konkret im Haushaltsgesetz (vgl. § 1 Abs. 2 und 3 Haushaltsgesetz 2021), in den Titeln im Bundeshaushalt zur Etatisierung der Zuführungen und Entnahmen sowie in den im Haushaltsplan zum Bundeshaushalt als Anlage beigefügten Wirtschaftsplänen rechtlich verankert.
b) Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 sei nicht verspätet verabschiedet worden. Nach § 33 Satz 2 BHO sei der Entwurf eines Nachtragshaushaltsgesetzes bis zum Ende des jeweiligen Haushaltsjahres im Bundestag einzubringen. Das sei hier am 13. Dezember 2021 geschehen. Soweit in der Literatur teilweise vertreten werde, dass darüber hinaus auch eine verfassungsrechtliche Pflicht bestehe, den Nachtragshaushalt im laufenden Haushaltsjahr zu verabschieden, vermöge dies nicht zu überzeugen. Das Bundesverfassungsgericht habe die Frage, ob aus der Verfassung ein Gebot rechtzeitiger Feststellung eines Nachtragshaushalts folge, bisher nicht entschieden, sondern ausdrücklich offengelassen (unter Verweis auf BVerfGE 119, 96 <123>). Es habe diesbezüglich zu Recht betont, dass es weniger auf einen konkreten Zeitpunkt als vielmehr auf die Achtung der Verfassungsorgantreue ankomme.
Darüber hinaus rechtfertigten drei Gründe eine späte Einbringung und Verabschiedung: Erstens sei eine frühere Einbringung schon deshalb nicht möglich gewesen, weil die neue Bundesregierung ihr Amt erst zum 8. Dezember 2021 angetreten habe. Zweitens sei die Ausarbeitung des Haushalts mitten in einer Pandemiesituation erfolgt. Drittens spreche für die Einbringung gerade als Nachtragshaushalt der Umstand, dass es der Bundesregierung um eine umgehende Bekämpfung der Pandemiefolgen und das umgehende Aktivieren der notwendigen privaten Investitionen durch Gewährleistung der erforderlichen Planungssicherheit gegangen sei. Eine Zuweisung erst im Haushalt des Jahres 2022 hätte eine mehrmonatige Verzögerung nach sich gezogen.
c) Auch die Finanzierung von Ausgaben im EKF durch Kreditermächtigungen begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der EKF genüge den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Die Höhe der Kreditermächtigungen ergebe sich aus den zur vollständigen Überwindung der Krise erforderlichen Finanzmitteln. Vor dem Hintergrund der Besonderheiten der Corona-Pandemie als einer Krise des Typs 2 und des Ziels, Planungssicherheit für private Investitionen zu gewährleisten, sei auch die über das Haushaltsjahr hinausreichende Finanzierungsermächtigung gerechtfertigt.
d) Die (rückwirkende) Einführung einer neuen Buchungspraxis im Hinblick auf die Behandlung von Kreditermächtigungen unselbständiger Sondervermögen ohne eigene Kreditermächtigung erweise sich ebenfalls als verfassungsgemäß. Im Haushaltsjahr 2021 sei die bisherige Buchungspraxis zur Berücksichtigung der unechten Sondervermögen im Rahmen der Schuldenregel umgestellt worden. Es seien seitdem nicht mehr wie bisher die jeweiligen Finanzierungssalden der Sondervermögen und damit die Mittelabflüsse aus den befüllten Sondervermögen, sondern bereits die Zuführungen des Bundes an die Sondervermögen wirksam für die strukturelle Nettokreditaufnahme im Rahmen der Schuldenregel. Dies führe dazu, dass sich der Zeitpunkt der Berücksichtigung für die Schuldenregel auf den Zeitpunkt der Zuführung (vor-)verschiebe. Die bisherige Buchungspraxis bei den Sondervermögen habe sich an den kassenmäßigen Zahlungsströmen und am Finanzierungssaldo orientiert. Dabei habe ein Überschuss eines Sondervermögens aus einer kreditfinanzierten Zuweisung vom Kernhaushalt die Nettokreditaufnahme des Kernhaushalts ausgeglichen. Somit habe im Ergebnis zum Zeitpunkt der Befüllung des Sondervermögens eine Nettokreditaufnahme von Null beim Bund einschließlich Sondervermögen bestanden. Wenn in Folge von Mittelabflüssen bei einem unechten Sondervermögen ein Finanzierungsdefizit entstanden sei, sei eine Nettokreditaufnahme gebucht worden. Hierfür seien im Rahmen der bisherigen Haushaltsaufstellungen Schätzungen zu den Finanzierungssalden der Sondervermögen vorgenommen worden, die sich im Nachhinein oft als falsch herausgestellt hätten.
Gemäß der neuen Buchungspraxis werde nunmehr bereits die Befüllung des Sondervermögens als Nettokreditaufnahme im Sinne der Schuldenbremse gewertet. Wenn das Sondervermögen Mittel ausgebe, würden diese entsprechend der Systematik beim Kernhaushalt durch Entnahme aus der Rücklage finanziert und werde somit eine Wirkung auf die Nettokreditaufnahme vermieden. Damit werde auch das Problem gelöst, dass in der Vergangenheit bei Sondervermögen eine „Nettokreditaufnahme“ gebucht worden sei, obwohl diese gar keine Kreditermächtigungen gehabt hätten. Die Neuregelung der Buchungspraxis führe damit zu einer Erhöhung der Transparenz und beseitige wenig überzeugende systematische Inkonsistenzen. Für die vorgenommene Änderung der bisherigen Buchungspraxis spreche darüber hinaus, dass sie eine Anpassung an die schon bisher praktizierte Buchungssystematik der Länder im Rahmen der Prüfung der Einhaltung der Schuldenbremse im Stabilitätsrat bedeute, die im Kompendium des Stabilitätsrats zur Überwachung der Einhaltung der Schuldenbremse nach Art. 109a Abs. 2 GG aus dem Jahr 2018 festgelegt sei.
IV.
Die Antragstellerinnen und Antragsteller hatten das mit Schriftsatz vom 18. März 2022 eingeleitete Normenkontrollverfahren mit dem Antrag verbunden,
im Wege der einstweiligen Anordnung zu regeln, dass die durch Artikel 1 und Artikel 2 des Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021) vom 18. Februar 2022 (BGBl. I 2022, S. 194) erhöhte Rücklage des Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nur in Anspruch genommen werden darf, wenn und soweit der Deutsche Bundestag entsprechende Ausgaben zur Finanzierung einer Zuführung zum Sondervermögen im Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2022 beschließt.
Der Senat hat diesen Antrag mit Beschluss vom 22. November 2022 abgelehnt. Der Antrag sei in der Hauptsache zwar weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die anzustellende Folgenabwägung ergebe jedoch, dass die Nachteile, die sich aus dem Erlass der einstweiligen Anordnung ergäben, die Nachteile deutlich überwögen, die bei einer Ablehnung des Antrags zu besorgen seien (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. November 2022 – 2 BvF 1/22 -, Rn. 217 ff. – Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021 – e.A.).
V.
Die Beteiligten haben ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2023 vertieft und ergänzt. Als sachkundige Dritte im Sinne von § 27a BVerfGG sind Herr Prof. Dr. Thiess Büttner, Vorsitzender des Unabhängigen Beirats des Stabilitätsrats, Universität Erlangen-Nürnberg, Prof. Dr. Jens Südekum, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für wirtschaft und Klimaschutz, Universität Düsseldorf, der Vertreter des Bundesrechnungshofs Ministerialrat Dr. Jan Keller und Prof. Dr. Henning Tappe, Universität Trier, angehört worden.
B.
Der Antrag auf abstrakte Normenkontrolle ist zulässig. Die Antragstellerinnen und Antragsteller sind antragsbefugt (I.), der Antrag ist auf einen tauglichen Gegenstand gerichtet (II.), ein objektives Klarstellungsinteresse liegt vor (III.).
I.
Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 6 und § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG kann ein Viertel der Mitglieder des Bundestages einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle stellen, wenn es Bundes- oder Landesrecht wegen seiner förmlichen oder sachlichen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz für nichtig hält. Für die Berechnung des Quorums ist – in Anknüpfung an Art. 121 GG – die sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 Bundeswahlgesetz (BWahlG) ergebende gesetzliche Mitgliederzahl des Deutschen Bundestages zum Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend (vgl. BVerfGE 157, 223 <248 f.> – Berliner Mietendeckel; Graßhof, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 76 Rn. 13; Rozek, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 76 Rn. 11 <Juli 2021>).
Die 197 Antragstellerinnen und Antragsteller repräsentieren mehr als ein Viertel der insgesamt 736 Mitglieder des 20. Deutschen Bundestages. Sie werden durch dieselben Bevollmächtigten vertreten und haben denselben Sachantrag gestellt.
II.
Mit Artikel 1 und Artikel 2 des Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021 vom 18. Februar 2022 liegt ein tauglicher Antragsgegenstand vor.
Tauglicher Gegenstand einer abstrakten Normenkontrolle ist gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6, § 76 Abs. 1 BVerfGG Bundes- oder Landesrecht. Die Regelungen des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes machen hierbei keinerlei Einschränkungen, etwa hinsichtlich des Ranges, des Zeitpunkts des Entstehens (vgl. BVerfGE 2, 124 <131>; 24, 174 <179 f.>; 103, 111 <124>) oder des Inhalts (vgl. BVerfGE 1, 396 <410>; 2, 307 <312 f.>; 20, 56 <91 ff.>; 79, 311 <326>; 119, 96 <117 f.>) der zur Prüfung gestellten Norm. Entscheidend ist allein, dass das zur Prüfung Gestellte seiner äußeren Form nach einen schon existenten (vgl. BVerfGE 1, 396 <405 ff.>; 10, 20 <54>) und noch Rechtswirkungen entfaltenden (vgl. BVerfGE 5, 25 <28>; 20, 56 <93 f.>; 79, 311 <326 ff.>; 97, 198 <213 f.>; 100, 249 <257>; 110, 33 <45>; 119, 394 <410>; 127, 293 <319>) Rechtssatz darstellt (vgl. BVerfGE 2, 307 <312>; 20, 56 <90>).
Eine abstrakte Normenkontrolle ist auch gegen ein Haushaltsgesetz zulässig (vgl. BVerfGE 20, 56 <89 ff.>; 79, 311 <326>; 119, 96 <117>). Zwar entfaltet dieses nach Abschluss des Haushaltsjahres grundsätzlich keine Rechtswirkungen mehr, da es regelmäßig (nur) zu Ausgaben im laufenden Haushaltsjahr ermächtigt (vgl. § 3 HGrG, § 3 BHO). Es hat aber jedenfalls so lange Bedeutung, bis im Laufe des nachfolgenden Rechnungsjahres – hier im Jahr 2022, in dem auch der Antrag auf abstrakte Normenkontrolle gestellt worden ist – die Entlastung im Sinne des Art. 114 GG abgeschlossen ist (vgl. BVerfGE 20, 56 <93 f.>). Vorliegend wurde der entsprechende Prüfbericht des Bundesrechnungshofs (vgl. BTDrucks 20/4880, S. 11 f.) dem Bundestag gemäß § 97 Abs. 1 BHO am 6. Dezember 2022 zugeleitet. Der Antrag im Normenkontrollverfahren ist bereits mit Schriftsatz vom 18. März 2022 gestellt worden. Ist der Antrag jedoch einmal zulässig erhoben, bleibt er – aufgrund des objektiven Charakters des Verfahrens – zulässig, auch wenn die Entscheidung erst zu einem Zeitpunkt ergeht, zu dem von dem Haushaltsgesetz keine Rechtswirkungen mehr ausgehen (vgl. BVerfGE 79, 311 <328>; 119, 96 <116 f.>; Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 772). Auf die Frage, ob von Artikel 1 und Artikel 2 des Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021 vom 18. Februar 2022 auch deshalb noch Rechtswirkungen ausgehen, weil mit diesen Vorschriften die entsprechenden Kreditermächtigungen für eine Zuführung an ein Sondervermögen genutzt und damit dem Verfall gemäß § 18 Abs. 3 BHO entzogen worden sind, kommt es mithin nicht an.
III.
Die Antragstellerinnen und Antragsteller bringen vor, dass Artikel 1 und Artikel 2 des Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021 mit Art. 109 Abs. 3, Art. 110 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 sowie Art. 115 Abs. 2 GG unvereinbar seien.
Damit ist das für eine abstrakte Normenkontrolle notwendige objektive Klarstellungsinteresse (vgl. BVerfGE 6, 104 <110>; 52, 63 <80>; 88, 203 <334>; 96, 133 <137>; 100, 249 <257>; 101, 1 <30>; 103, 111 <124>; 106, 244 <250>; 108, 169 <178>; 110, 33 <44 f.>; 113, 167 <193>; 119, 394 <409>; 127, 293 <319>; 128, 1 <32>; 157, 223 <249 Rn. 66>) an der Gültigkeit der Norm im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 76 Abs. 1 BVerfGG zu bejahen. Es ist indiziert, wenn ein auf das Grundgesetz in besonderer Weise verpflichtetes Organ oder ein Organteil von der Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Bundesrecht überzeugt ist und eine diesbezügliche Feststellung beim Bundesverfassungsgericht beantragt (vgl. BVerfGE 6, 104 <110>; 39, 96 <106>; 52, 63 <80>; 96, 133 <137>; 103, 111 <124>; 119, 394 <409>; 127, 293 <319>; 150, 1 <77 f. Rn. 138>; 157, 223 <249 Rn. 66>). Es entfällt lediglich, wenn von der zur Prüfung gestellten Norm unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr Rechtswirkungen ausgehen können (vgl. BVerfGE 97, 198 <213 f.>; 100, 249 <257>; 110, 33 <45>; 133, 241 <259 Rn. 45>; 150, 1 <77 f. Rn. 138>; 151, 152 <161 f. Rn. 27> – Wahlrechtsausschluss Europawahl – Eilantrag; 157, 223 <249 Rn. 66>), was hier zu verneinen ist (vgl. Rn. 208). Eines subjektiven allgemeinen Rechtsschutzinteresses bedarf es dagegen nicht (vgl. BVerfGE 103, 111 <124>).
C.
Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die notlagenbedingte Kreditaufnahme aus Art. 109 Abs. 3 Satz 1 und 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 1 und 6 GG (I.). Daneben verstößt es im Hinblick auf den Zeitpunkt seines Erlasses gegen Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG (II.). Auf einen möglichen Verstoß gegen die Grundsätze der Haushaltsklarheit und -wahrheit gemäß Art. 110 Abs. 1 Satz 1 GG kommt es demnach nicht mehr an (III.).
I.
1. Art. 115 Abs. 2 Satz 1 GG sieht in Konkretisierung des – an Bund und Länder gerichteten – grundsätzlichen Verbots der strukturellen Neuverschuldung aus Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG („Schuldenbremse“) vor, dass im Rahmen der Haushaltswirtschaft des Bundes Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. Nach Art. 109 Abs. 3 Satz 4, Art. 115 Abs. 2 Satz 2 GG ist diesem Gebot für den Bund Genüge getan, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten.
Hinzu tritt nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG eine sogenannte „Konjunkturkomponente“ (vgl. zu diesem Begriff § 2 Abs. 2, § 5 des G 115), wonach bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch berücksichtigt werden können. Die Einzelheiten der Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung regelt nach Art. 115 Abs. 2 Satz 5 GG ein Bundesgesetz (vgl. § 2 Abs. 2, § 5 G 115).
Der hier im Zentrum stehende Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG gibt dem Bundestag das Recht zu beschließen, dass die sich aus den dargestellten Maßgaben ergebenden Kreditobergrenzen im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, überschritten werden dürfen. Dabei handelt es sich um eine abschließende Ausnahmeregelung (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11; Heintzen, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 109 Rn. 37; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 109 Rn. 144; Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 39).
Neben den geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 bis 8 GG (a) ist ein Veranlassungszusammenhang zwischen der Notsituation und der Überschreitung der Kreditobergrenzen erforderlich (b). Weiter sind bei der notlagenbedingten Kreditaufnahme die Prinzipien der Jährlichkeit und Jährigkeit zu beachten, welche auch der Schuldenbremse zugrunde liegen (c).
a) Art. 115 Abs. 2 Satz 6 bis 8 GG formuliert formelle (aa) und materielle (bb) Voraussetzungen für die Überschreitung der Kreditobergrenze bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen, deren Einhaltung einer abgestuften verfassungsgerichtlichen Überprüfungsdichte unterliegt (cc).
aa) In formeller Hinsicht verlangt Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG für die Überschreitung der Kreditobergrenze bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen einen Beschluss der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages gemäß Art. 121 GG. In dem qualifizierten Mehrheitserfordernis kommt die Tragweite der parlamentarischen Entscheidung, eine Ausnahme von der Schuldenbremse zu beschließen, zum Ausdruck. Ob der Bundestag den Beschluss nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG in Gestalt eines Gesetzesbeschlusses oder eines schlichten Parlamentsbeschlusses fasst, ist ihm anheimgestellt (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 13; vgl. auch Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 109 Rn. 208 <Mai 2011>; Kloepfer, Finanzverfassungsrecht mit Haushaltsverfassungsrecht, 2014, S. 376).
bb) In materieller Hinsicht setzt Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG eine Naturkatastrophe oder eine außergewöhnliche Notsituation voraus (1), die sich der Kontrolle des Staates entzieht (2) und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt (3). Zudem verlangt Art. 115 Abs. 2 Satz 7 und 8 GG einen Tilgungsplan zur Kreditrückführung in einem angemessenen Zeitraum (4).
(1) Der Anlass für die Ausnahme von der regelmäßigen Kreditobergrenze muss in einer Naturkatastrophe oder einer außergewöhnlichen Notsituation liegen. Das Begriffsverständnis von einer „Naturkatastrophe“ im Sinne von Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG kann im Wesentlichen an die Auffassungen anknüpfen, die sich zu Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG entwickelt haben (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11, 13; vgl. auch Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 43). Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG setzt den verfassungsrechtlichen Rahmen für die bundesstaatliche Hilfe zwischen Bund und Ländern oder unter Ländern „bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall“. Der Begriff der „Naturkatastrophe“ bezeichnet dabei unmittelbar drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß, die durch Naturereignisse ausgelöst werden, wie etwa Erdbeben, Hochwasser, Unwetter, Dürre oder Massenerkrankungen (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11, 13; vgl. auch Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 44).
Demgegenüber ist der Begriff der „außergewöhnlichen Notsituation“ im Sinne von Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG abweichend von dem Tatbestandsmerkmal des „besonders schweren Unglücksfalls“ aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG zu bestimmen. Unter Letzterem wird nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Schadensereignis von großem Ausmaß verstanden, das – wie ein schweres Flugzeug- oder Eisenbahnunglück, ein Stromausfall mit Auswirkungen auf lebenswichtige Bereiche der Daseinsvorsorge oder ein Unfall in einem Kernkraftwerk – wegen seiner Bedeutung in besonderer Weise die Öffentlichkeit berührt und auf menschliches Fehlverhalten oder technische Unzulänglichkeiten zurückgeht (BVerfGE 115, 118 <143>).
Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat im Jahr 2009 bei der Schaffung der geltenden Fassung von Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG darauf verzichtet, neben dem Begriff der „Naturkatastrophe“ auch denjenigen des „besonders schweren Unglücksfalls“ aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG als Tatbestandsmerkmal der Ausnahmevorschrift zum grundsätzlichen Verbot struktureller Neuverschuldung aufzugreifen. Der stattdessen verwendete Begriff der „außergewöhnlichen Notsituation“ ist im Kontext des Staatsschuldenrechts haushaltsrechtsspezifisch zu interpretieren und daher nicht auf die Anwendungsfälle eines „besonders schweren Unglücksfalls“ beschränkt, wenngleich er bei haushaltswirtschaftlicher Relevanz auch diesen umfassen kann.
Im Hinblick auf Sinn und Zweck von Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG, die haushalts- und finanzpolitische Handlungsfähigkeit des Staates zur Krisenbewältigung zu gewährleisten (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11), sind unter einer „außergewöhnlichen Notsituation“ auch außergewöhnliche Störungen der Wirtschafts- und Finanzlage zu fassen. Dieses Begriffsverständnis entspricht demjenigen der Fraktionen im Deutschen Bundestag, welche den Gesetzentwurf für die Änderung von Art. 109, Art. 115 GG in den verfassungsändernden prozess eingebracht haben. Danach soll eine „außergewöhnliche Notsituation“ auch bei einer plötzlichen Beeinträchtigung der Wirtschaftsabläufe in einem extremen Ausmaß aufgrund eines „exogenen Schocks“ vorliegen, falls deshalb aus Gründen des Gemeinwohls aktive Stützungsmaßnahmen des Staates zur Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Wirtschaftsabläufe geboten sind (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11). Daneben soll ein „Ereignis von positiver historischer Tragweite“ wie die deutsche Wiedervereinigung, das einen erheblichen Finanzbedarf auslöst, einen Anwendungsfall von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG bilden (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11).
Durch das Attribut der Außergewöhnlichkeit der Notsituation kommt zugleich zum Ausdruck, dass nicht jede Beeinträchtigung der Wirtschaftsabläufe der Ausnahmeklausel des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG unterfällt. Insbesondere sind Beeinträchtigungen der Finanz- und Wirtschaftslage nicht schon dann ein Anwendungsfall dieser Norm, wenn es sich um bloße Auf- und Abschwungbewegungen eines zyklischen Konjunkturverlaufs handelt (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11). Dem Regelungszusammenhang von Art. 115 Abs. 2 Satz 3, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG lässt sich vielmehr entnehmen, dass solche Entwicklungen abschließend im Rahmen der Konjunkturkomponente des grundsätzlichen Verbots struktureller Neuverschuldung Niederschlag finden sollen und keine weitergehende Durchbrechung desselben rechtfertigen können (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 109 Rn. 150; zustimmend auch Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 45).
(2) Die Naturkatastrophe oder außergewöhnliche Notsituation, welche den Anlass für die Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der strukturellen Neuverschuldung geben soll, muss sich nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG der Kontrolle des Staates entziehen.
Dieses zusätzliche Merkmal findet eine unionsrechtliche Entsprechung in Art. 122 Abs. 2 AEUV, wonach die Europäische Union einem Mitgliedstaat im Fall von Schwierigkeiten aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, finanziellen Beistand leisten kann (vgl. Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 45). Maßgeblich ist insoweit ein Moment der Unbeherrschbarkeit des Ereignisses, wodurch mittel- oder längerfristige Entwicklungen, etwa eine schleichende Anhäufung von Staatsschulden, ausgeschlossen werden sollen (vgl. Herrmann/Dausinger, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 2017, Art. 122 <AEUV> Rn. 17). Die Folgen von Krisen, die lange absehbar waren oder gar von der öffentlichen Hand verursacht worden sind, dürfen nicht mit Notkrediten finanziert werden (vgl. G. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 100).
(3) Darüber hinaus muss die Naturkatastrophe oder außergewöhnliche Notsituation gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG eine „erhebliche Beeinträchtigung“ der staatlichen Finanzlage zur Folge haben. Dieses Tatbestandsmerkmal stellt einen Bezug zwischen dem von der Notlage ausgelösten Finanzbedarf und der staatlichen Haushaltswirtschaft her. Nach dem Verständnis der Fraktionen im Deutschen Bundestag, welche den Gesetzentwurf für die Änderung von Art. 109, Art. 115 GG eingebracht haben, soll sich der relevante Finanzbedarf aus dem Aufwand für die Schadensbeseitigung wie auch aus dem etwaigen Aufwand für vorbeugende Maßnahmen ergeben können (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11; daran anschließend auch Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 109 Rn. 207 <Mai 2011>).
(a) Zwischen der Notsituation und dem Neuverschuldungsbedarf muss eine kausale Beziehung bestehen (vgl. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 109 Rn. 151; Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 115 Rn. 188 <Okt. 2009>; R. Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 115 Rn. 51; Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 45). Erforderlich ist, dass die Notsituation ursächlich zu einer Reaktion des Staates führt, die sich in einer erheblichen Weise auf die „Finanzlage“ des Bundes auswirkt und gerade deshalb die Rechtfertigung für eine Neuverschuldung bietet. Der Finanzbedarf, der durch die Reaktion des Staates auf die Naturkatastrophe oder die außergewöhnliche Notlage sowie durch mögliche vorbeugende Maßnahmen entsteht, muss den Gesamthaushalt spürbar belasten (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11; G. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 100).
(b) Eine Notsituation, die nur „unerhebliche“ Folgen für die Finanzlage des Staates mit sich bringt, kann keine notlagenbedingte Neuverschuldung tragen. In solchen Fällen muss ein plötzlich auftretender Finanzbedarf ohne zusätzliche Kreditaufnahme, beispielsweise durch Haushaltsumschichtungen, Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen, gedeckt werden (vgl. Christ, NVwZ 2009, S. 1333 <1336>). Das Tatbestandsmerkmal der „erheblichen“ Beeinträchtigung der staatlichen Finanzlage stellt damit in allgemeiner Weise auf den Einfluss der äußeren Krise auf die staatlichen Finanzen in ihrer Gesamtheit ab. Weitere Anforderungen ergeben sich aus dem Merkmal der Erheblichkeit nicht (a.A. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 109 Rn. 151 f.; Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 46).
(4) Der Beschluss zur Überschreitung der regulären Verschuldungsgrenzen in Notlagen ist nach Art. 109 Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Hierfür genügt ein einfacher Parlamentsbeschluss. Ein förmlicher Gesetzesbeschluss ist nicht notwendig (a.A. Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 115 Rn. 190 <Okt. 2009>; Reimer, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 115 Rn. 47 <Aug. 2023>). Dem steht bereits der Wortlaut des Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG entgegen, wonach der Tilgungsplan mit dem zuvor oder gleichzeitig zu fassenden „Beschluss“ über die Feststellung der Notlage nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG und nicht etwa mit dem Haushaltsgesetz zu verbinden ist. Gegen das Erfordernis eines Tilgungsplans in Form eines Bundesgesetzes im Sinne des Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG spricht zudem die Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 13). Danach soll die Feststellung einer Notlage nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG ausdrücklich auch durch einfachen Parlamentsbeschluss möglich sein. Auch die Verwendung der Begrifflichkeit des (Tilgungs)„Plans“, der im Vergleich zum Begriff der Regelung in Art. 109 Abs. 3 Satz 3 GG („Tilgungsregelung“) lediglich ein gewisses Mindestmaß an Verbindlichkeit anklingen lässt, deutet in diese Richtung (vgl. Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <98>). Richtigerweise folgt die Verbindlichkeit des Tilgungsplans nicht erst aus der rechtlichen Bindungswirkung eines förmlichen Gesetzesbeschlusses, sondern unmittelbar aus der Verfassung, die auch einem einfachen Parlamentsbeschluss Verbindlichkeit zusprechen kann (vgl. Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 115 Rn. 44).
Materielle Anforderung an den Tilgungsplan ist nach Art. 115 Abs. 2 Satz 8 GG, dass die darin vorgesehene Rückführung der notlagenbedingt aufgenommenen Kredite binnen eines angemessenen Zeitraums zu erfolgen hat. Nach dem Willen der Fraktionen im Deutschen Bundestag, die den Gesetzentwurf für die Änderung von Art. 109, Art. 115 GG eingebracht haben, soll diese Rückführungspflicht dazu beitragen, ein weiteres Anwachsen der Staatsschulden zu verhindern (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 13).
cc) Die geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen für die notlagenbedingte Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der strukturellen Neuverschuldung nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG sind grundsätzlich verfassungsgerichtlich voll überprüfbar (1). Einschränkungen der Überprüfungsdichte gelten allerdings für das Erfordernis einer erheblichen Beeinträchtigung der staatlichen Finanzlage (2) und für die Ausgestaltung der Rückführung der aufgenommenen Kredite binnen eines angemessenen Zeitraums (3).
(1) Ob eine Naturkatastrophe oder außergewöhnliche Notsituation vorliegt, die sich der Kontrolle des Staates entzieht, unterliegt vollumfänglicher verfassungsgerichtlicher Prüfung. Durchgreifende Gründe für eine Einschränkung der Justiziabilität dieser Voraussetzungen sind nicht ersichtlich. Obschon die denkbaren Anwendungsfälle von Naturkatastrophen und Notsituationen äußerst vielfältig sind, handelt es sich um Rechtsbegriffe, deren Auslegung und Anwendung nach den oben dargestellten Maßstäben gerichtlicher Kontrolle zugänglich sind (vgl. Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 109 Rn. 235 <Mai 2011>; G. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 98; vgl. im Wesentlichen auch Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 43).
(a) Eine Einschränkung der Prüfungsdichte des Bundesverfassungsgerichts lässt sich nicht daraus herleiten, dass Auslegung und Anwendung von Normen des Haushaltsverfassungsrechts in Rede stehen. Wie bei den Vorschriften des bundesstaatlichen Finanzverfassungsrechts handelt es sich bei dem Haushaltsverfassungsrecht und insbesondere bei dem Staatsschuldenrecht nicht um „minder verbindlich[e] Regelungen“ im Sinne von „soft law“ (vgl. zur bundesstaatlichen Finanzverfassung BVerfGE 72, 330 <388>) oder um „Normen minderer Geltungskraft“ (vgl. Kloepfer, Finanzverfassungsrecht mit Haushaltsverfassungsrecht, 2014, S. 388).
(b) Die Annahme der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit dieser Tatbestandsmerkmale wird durch die Entstehungsgeschichte von Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG gestützt. Die bis zur Einfügung dieser Vorschriften im Wege der Verfassungsänderung im Jahr 2009 (vgl. Art. 1 Nr. 4 und 6 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes <Artikel 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d> vom 29. Juli 2009, BGBl I S. 2248) bestehende Verfassungsrechtslage zur Zulässigkeit von Krediteinnahmen durch den Bund war nach der Rechtsprechung des Zweiten Senats durch einen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers und eine erhebliche Einschränkung der verfassungsgerichtlichen Prüfungsdichte auf eine Kontrolle der Nachvollziehbarkeit und Vertretbarkeit der Darlegungen des Gesetzgebers gekennzeichnet. Daran ist nach der Neuregelung von Art. 109, Art. 115 GG nicht festzuhalten.
(aa) Nach Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG a.F. durften die Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten. Ausnahmen waren nur zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zulässig. Dabei führen die konkreten Anwendungsvoraussetzungen des Art. 115 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 GG a.F. zu einer verfassungsgerichtlich nur begrenzt kontrollierbaren Abwägung. Nur wenn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ernsthaft und nachhaltig gestört war oder eine solche Störung unmittelbar drohte, durfte von der Ausnahmevorschrift Gebrauch gemacht werden. Dem Haushaltsgesetzgeber stand bei der Prüfung, ob eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorlag oder unmittelbar drohte, ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu. Damit korrespondierte eine Darlegungslast im Gesetzgebungsverfahren. Dem Bundesverfassungsgericht oblag im Streitfall die Prüfung, ob die im Gesetzgebungsverfahren dargelegte Beurteilung und Einschätzung des Gesetzgebers nachvollziehbar und vertretbar war (vgl. BVerfGE 79, 311 <343>; 119, 96 <140 f.>).
(bb) Diese Einschränkung der gerichtlichen Prüfungsdichte bei der Überprüfung der Einhaltung der Vorgaben des Staatsschuldenrechts alter Fassung blieb nicht ohne Kritik. Sie verwies darauf, dass die Begrenzungen der Kreditaufnahme gerade auch mangels Justiziabilität ineffektiv seien (vgl. das Sondervotum der Richter Di Fabio und Mellinghoff, BVerfGE 119, 155 <162 f.>). Der Zweite Senat führte in der zitierten Entscheidung aus, dass sich die von ihm insoweit anzuwendenden Vorschriften des Staatsschuldenrechts in der Vergangenheit als nicht hinreichend steuerungskräftig erwiesen hätten (vgl. BVerfGE 119, 96 <142 f., 146>). Die Schaffung ausreichend konkreter Direktiven zur sachgerechten Begrenzung der Staatsverschuldung sei allerdings nicht dem Bundesverfassungsgericht aufgegeben, sondern dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten (vgl. BVerfGE 119, 96 <143>).
(cc) Die Verfassungsänderung des Jahres 2009 schuf neben dem grundsätzlichen Verbot struktureller Neuverschuldung in Art. 109 Abs. 3 Satz 1, Art. 115 Abs. 2 Satz 1 GG n.F. auch Vorgaben für die Zulässigkeit von Überschreitungen der regulären Grenzen für die Kreditaufnahme des Bundes in außergewöhnlichen Notsituationen in Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG n.F. Soweit der notlagenbezogene Ausnahmetatbestand nunmehr auf einen „Fall von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen“, abstellt, enthält er Voraussetzungen, welche einer gerichtlichen Überprüfung – gegenüber dem Tatbestandsmerkmal „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ nach der alten Rechtslage – besser zugänglich sind (vgl. Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 109 Rn. 235 <Mai 2011>; Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 43; Kloepfer, Finanzverfassungsrecht mit Haushaltsverfassungsrecht, 2014, S. 389). Insoweit korrespondiert mit dem grundlegenden Anliegen des verfassungsändernden Gesetzgebers, die Grenzen für die Kreditaufnahme des Bundes enger und handhabbarer zu fassen, eine erhöhte verfassungsgerichtliche Kontrolldichte (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 7: „Die Ausnahmeregel wird deutlich enger gefasst“; vgl. auch Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 115 Rn. 48: „Verrechtlichung“; Kloepfer, Finanzverfassungsrecht mit Haushaltsverfassungsrecht, 2014, S. 389).
(2) Das in Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG weiter vorgesehene Erfordernis einer „erheblichen Beeinträchtigung“ der staatlichen Finanzlage ist demgegenüber nur eingeschränkt verfassungsgerichtlich kontrollierbar. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht zu prüfen, ob die außergewöhnliche Notsituation zu einem außerordentlich – also nicht nur unerheblich – erhöhten Finanzbedarf geführt hat und damit grundsätzlich geeignet war, die staatliche Finanzlage erheblich zu beeinträchtigen. Für die Frage, ab welcher konkreten Höhe des finanziellen Mehrbedarfs eine erhebliche Beeinträchtigung der Finanzlage vorliegt, kommt dem Gesetzgeber aber ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu (vgl. – bezogen auf „die Höhe des Bedarfs“ – Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 46).
(3) Die Ausgestaltung der Rückführung der aufgenommenen Kredite binnen eines angemessenen Zeitraums gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 3, Art. 115 Abs. 2 Satz 8 GG unterliegt gleichfalls einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Überprüfbarkeit. Hinsichtlich der Angemessenheit des Rückführungszeitraums steht dem Gesetzgeber insoweit ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu (vgl. Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Kommentar, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 115 Rn. 56; G. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 101; Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 115 Rn. 48). Zur Beurteilung, welcher Zeitraum als angemessen für die Rückführung anzusehen ist, ist das Parlament aufgerufen; es hat darüber bei der Aufstellung des Tilgungsplans in Ansehung der Größenordnung der erhöhten Kreditaufnahme sowie der konkreten konjunkturellen Situation zu entscheiden (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 13).
b) Sind die geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, „können diese Kreditobergrenzen […] überschritten werden“ (Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG). Dem Wortlaut der Vorschrift ist – jedenfalls unmittelbar – keine quantitative oder qualitative, absolute oder relative Grenze der zulässigen Neuverschuldung zu entnehmen (vgl. Gröpl, NJW 2020, S. 2523 <2525>; Korioth, JZ 2009, S. 729 <733> „exzeptionelle Verschuldungsmöglichkeit“).
Über den Wortlaut hinaus ist jedoch ein sachlicher Veranlassungszusammenhang zwischen der Naturkatastrophe oder außergewöhnlichen Notsituation und der Überschreitung der Kreditobergrenzen erforderlich (aa), bei dessen Beurteilung dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zukommt (bb). Eine verfassungsgerichtliche Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der notlagenbedingten Kreditaufnahme scheidet indes aus (cc), insbesondere eine Überprüfung von deren Erforderlichkeit und Angemessenheit (dd). Allerdings ergeben sich Darlegungslasten des Gesetzgebers, um eine verfassungsrechtliche Überprüfung der Nachvollziehbarkeit und Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Entscheidungen über die Kreditaufnahme zu ermöglichen (ee).
aa) Bereits nach dem geschriebenen Tatbestand des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG ist zu prüfen, ob gerade die Naturkatastrophe oder außergewöhnliche Notsituation die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt, ob also eine Kausalbeziehung zwischen der Notlage, dem erhöhten Finanzbedarf und der Störung der Lage der staatlichen Finanzen besteht.
Die verfassungsgemäßheit der Überschreitung der Kreditobergrenzen ist jedoch weitergehend davon abhängig, dass die konkreten Verschuldungsermächtigungen in einem sachlichen Veranlassungszusammenhang mit der Notsituation stehen (vgl. Gröpl, NJW 2020, S. 2523 <2525> „notlagenspezifisches Konnexitätsprinzip“; Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <100 f.>). Während das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Beeinträchtigung der staatlichen Finanzlage in allgemeiner Weise auf den Einfluss der äußeren Krise auf die staatlichen Finanzen abstellt, verlangt das Erfordernis des sachlichen Veranlassungszusammenhangs einen konkreten Bezug zu den außerregulären Kreditermächtigungen und fragt inhaltlich danach, ob diese – auch der Höhe nach – gerade auf die Notlage als Anlass rückführbar sind.
(1) Dieses zusätzliche Erfordernis eines Veranlassungszusammenhangs findet keine ausdrückliche Stütze im Wortlaut von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG. Gleichwohl lässt sich insoweit an die Präposition „für“ („Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen“) in Art. 109 Abs. 3 Satz 2 GG anknüpfen. Hinzu kommt, dass Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG die notlagenbedingte Überschreitung der Kreditobergrenze ausdrücklich nur „im Falle“ der Notsituation zulässt.
(2) Das Erfordernis eines Veranlassungszusammenhangs ergibt sich zudem im Wege der Auslegung von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG unter Berücksichtigung von dessen Regelungsumfeld. Der Systematik der Art. 109, 115 GG lässt sich das allgemeine Verbot der strukturellen Neuverschuldung gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 1, Art. 115 Abs. 2 Satz 1 GG als Grundsatz und im Falle außergewöhnlicher Notlagen nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG eine tatbestandlich klar konturierte Ausnahme entnehmen (vgl. Gröpl, NJW 2020, S. 2523 <2525>), welche eine gewichtige Grundentscheidung des Haushaltsverfassungsrechts durchbricht. Daraus folgt, dass – selbst wenn die geschriebenen Voraussetzungen von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vorliegen – eine grenzen- und maßstabslose Kreditaufnahme verfassungsrechtlich nicht zulässig ist. Es bestehen zwar keine absoluten betragsmäßigen Grenzen der Kreditaufnahme, wohl aber relative sachliche Grenzen (vgl. Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 115 Rn. 38; Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <99 f.>). Um den Charakter von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG als notlagenspezifische Ausnahmevorschrift zu wahren, muss die Kreditaufnahme im Einzelnen sachlich gerade auf die konkrete Notsituation und den Willen des Gesetzgebers, diese zu bewältigen, rückführbar sein (vgl. Gröpl, NJW 2020, S. 2523 <2525>).
(a) Ausgangspunkt dieser Begrenzung ist die parlamentarische Feststellung (Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und 7 GG), welche die Kreditüberschreitung mit den Kosten der zur Bewältigung der außerordentlichen Notlage notwendigen Maßnahmen verknüpft. Zugleich definiert diese Feststellung diejenige Notlage, die aus Sicht des Bundestages die Handlungsfähigkeit des Staates herausfordert und als Krise bewältigt werden muss. Mit der genauen Bezeichnung der Notlage wird, wie die Antragsteller zutreffend formulieren, für die Öffentlichkeit die „Identität des geschichtlichen Vorgangs“ klargestellt und zugleich in transparenter Weise verdeutlicht, zur Bewältigung welcher Krise von der Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht wird. Aus dem Beschluss des Bundestages folgt damit eine Umgrenzungsfunktion, die der demokratischen Öffentlichkeit eine Kontrolle ermöglicht.
(b) Zudem führt der Beschluss dem Haushaltsgesetzgeber den Ausnahmecharakter der Überschreitung der Kreditobergrenzen vor Augen und veranlasst ihn damit, sowohl die Feststellung der Notlage als auch die Überschreitung der Kreditobergrenzen im Blick zu behalten und mit besonderer Sorgfalt zu prüfen. An der mit dieser Regelungssystematik eingerichteten „Warnfunktion“ wird nicht zuletzt der hohe Stellenwert erkennbar, der einer grundsätzlichen Einhaltung der Kreditobergrenze aus Sicht des verfassungsändernden Gesetzgebers zukommt (vgl. BVerfGE 132, 195 <245 Rn. 120>).
(3) Bereits zu der nach der alten Verfassungsrechtslage bestehenden staatsschuldenrechtlichen Ausnahmevorschrift bei Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Art. 115 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 GG a.F. hat der Senat ein dem Veranlassungszusammenhang bei Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG n.F. strukturähnliches Erfordernis statuiert und dabei das Element der Finalität gefordert (vgl. Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <100, dort in Fn. 49>). Die ausnahmsweise erhöhte Kreditaufnahme musste demzufolge „nach Umfang und Verwendung geeignet sein, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren“, wobei es gerade nicht ausreichte, „dass eine erhöhte Kreditaufnahme durch eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts veranlasst“ war; sie musste darüber hinaus auch final auf die Abwehr dieser Störung bezogen sein (vgl. BVerfGE 79, 311 <339>; 119, 96 <140>).
Ein solcher Veranlassungszusammenhang muss nach der nunmehr geltenden strengeren Regelungssystematik erst recht vorliegen. Überschreitungen der regulären Kreditobergrenze können verfassungsrechtlich nur gedeckt sein, wenn der Haushaltsgesetzgeber mit ihnen zweckgerichtet Maßnahmen zur Überwindung oder Vorbeugung einer Naturkatastrophe oder außergewöhnlichen Notsituation finanziert (vgl. Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <100>). Nicht erfasst sind dagegen Neukredite für allgemeinpolitische Maßnahmen, die allenfalls anlässlich der vermeintlich günstigen Gelegenheit des Aussetzens der Schuldenbremse ergriffen werden, aber nicht auf die Überwindung der Krisensituation zielen (vgl. Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <100>; Gröpl, NJW 2020, S. 2523 <2525>).
(4) Die kreditfinanzierten Maßnahmen müssen als Folge des zu überprüfenden Veranlassungszusammenhangs geeignet sein, den Zweck der Überwindung oder Vorbeugung einer Naturkatastrophe oder außergewöhnlichen Notsituation zu fördern (vgl. Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <100>; Schwarz, COVID-19 und Recht <COVuR> 2020, S. 74 <77>; Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 457; zur alten Rechtslage BVerfGE 119, 96 <140>). Die Eignung bezieht sich dabei auf die Gesamtheit der Maßnahmen und nicht auf jede einzelne Maßnahme, denn die einzelnen Maßnahmen können sich gegenseitig verstärken, unterstützen oder überhaupt erst zur Wirkung bringen (vgl. Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <100>; BVerfGE 79, 311 <340>). Es ist daher „nicht Aufgabe der Eignungsprüfung […], einzelne Ausgabenansätze aus diesem Gefüge herauszubrechen und isoliert auf ihre Eignung, auf gegebene Einsparungsmöglichkeiten o.ä. zu untersuchen“ (BVerfGE 79, 311 <340>).
(5) Welche Anforderungen an die Kreditermächtigungen aus diesem Erfordernis eines Veranlassungszusammenhangs im Einzelnen abzuleiten sind, ist von der Art der Notsituation und den zu ihrer Bekämpfung sowie zur Anpassung und Nachsorge gebotenen Maßnahmen abhängig. Denn die Überschreitung der regulären Kreditaufnahmegrenzen ist nur im Hinblick auf diese spezifisch notlagenbezogenen Maßnahmen zulässig.
(6) Noch strengere Anforderungen sind – anders als die Antragstellerinnen und Antragsteller meinen – an das Erfordernis des Veranlassungszusammenhangs hingegen nicht zu stellen. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass die notlagenbedingte Kreditaufnahme auf die Beseitigung der unmittelbaren Folgen einer etwaigen Notlage beschränkt sein könnte. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber stand bei der Neufassung der Art. 109, 115 GG als „Notlage“ auch eine „plötzliche Beeinträchtigung der Wirtschaftsabläufe in einem extremen Ausmaß aufgrund eines exogenen Schocks, wie beispielsweise der aktuellen Finanzkrise“ vor Augen, „die aus Gründen des Gemeinwohls aktive Stützungsmaßnahmen des Staates zur Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Wirtschaftsabläufe gebietet“ (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11). Ebenfalls vor Augen hatte der Gesetzgeber das (positive) Ereignis der Deutschen Einheit. Die in der Gesetzesbegründung genannte Finanz- und Bankenkrise der Jahre 2007 bis 2009 führte mittelbar zu einer weltweiten Wirtschaftskrise mit weitreichenden Folgen. Eine randscharfe Abgrenzung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Krisenfolgen dürfte überdies praktisch nicht durchführbar sein.
bb) Sowohl für die Diagnose der Art und des Ausmaßes der Notsituation als insbesondere auch für die Ausgestaltung der Maßnahmen zur Bekämpfung, Anpassung und gegebenenfalls Nachsorge kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu (vgl. G. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 98; Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <100>; Reimer, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 109 Rn. 67 <Aug. 2023>; Schwarz, COVuR 2020, S. 74 <77>; Christ, NVwZ 2009, S. 1333 <1336>). Dies gilt namentlich für die Höhe der für die finanzielle Absicherung dieser Maßnahmen vorgesehenen Kreditermächtigungen (vgl. für die Höhe des Bedarfs auch Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 46). Dem Bundesverfassungsgericht obliegt die Prüfung, ob die Beurteilung und Einschätzung des Gesetzgebers auch vor dem Hintergrund der Auffassungen in Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft nachvollziehbar und vertretbar ist (vgl. BVerfGE 79, 311 <343>; 119, 96 <147 ff.>).
Je weiter allerdings das auslösende Ereignis in der Vergangenheit liegt, je mehr Zeit zur Entscheidungsfindung gegeben ist und je entfernter die Folgen sind, desto stärker wird sich der Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Haushaltsgesetzgebers verengen, weil die Folgen seines Handelns mit der Zeit besser abzuschätzen sind und so verhindert werden kann, dass die Ausnahme der Überschreitung der Kreditobergrenzen zur Regel wird, wie es bei der grundgesetzlichen Vorgängerregelung bemängelt wurde (vgl. Oebbecke, NVwZ 2019, S. 1173 <1175>; Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <100>).
(1) Der Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers hinsichtlich des Vorliegens eines Veranlassungszusammenhangs findet eine Parallele in der nach der alten Verfassungsrechtslage bestehenden staatsschuldenrechtlichen Ausnahmevorschrift bei Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Art. 115 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 GG a.F. Die hierzu ergangene Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 79, 311 <343>; 119, 96 <140>) ist daher auf die neue Verfassungsrechtslage grundsätzlich übertragbar. Dem steht nicht entgegen, dass Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG n.F. gegenüber Art. 115 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 GG a.F. tatbestandlich konkreter gefasst ist, da sich der Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum nicht auf die Anwendung der geschriebenen Tatbestandsmerkmale, sondern auf das zusätzliche Erfordernis des Veranlassungszusammenhangs bezieht. Unter diesem Gesichtspunkt bleibt die neue mit der alten Verfassungsrechtslage vergleichbar.
(2) Hinzu kommt, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber durch die tatbestandliche Konkretisierung und sachliche Verschärfung der Regeln für die Kreditaufnahme von Bund und Ländern (insb. Art. 109 Abs. 3 und 5, Art. 109a, Art. 115, Art. 143d Abs. 1 GG) klargestellt hat, dass eine Selbstbindung der Parlamente und die damit einhergehende fühlbare Beschränkung ihrer haushaltspolitischen Handlungsfähigkeit gerade im Interesse einer langfristigen Erhaltung der demokratischen Gestaltungsfähigkeit notwendig sein können (vgl. BVerfGE 129, 124 <170>). „Mag eine derartige Bindung die demokratischen Gestaltungsspielräume in der Gegenwart auch beschränken, so dient sie doch zugleich deren Sicherung für die Zukunft. Zwar stellt auch eine langfristig besorgniserregende Entwicklung des Schuldenstandes keine verfassungsrechtlich relevante Beeinträchtigung der Kompetenz des Gesetzgebers zu einer situationsabhängigen diskretionären Fiskalpolitik dar. Dennoch führt sie zu einer faktischen Verengung von Entscheidungsspielräumen […]. Deren Vermeidung ist ein legitimes (verfassungs-)gesetzgeberisches Ziel“ (BVerfGE 135, 317 <403 f. Rn. 169>).
Es ist dabei in erster Linie Sache des Gesetzgebers, abzuwägen, ob und in welchem Umfang zur Erhaltung demokratischer Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume auch für die Zukunft Bindungen in Bezug auf das Ausgabeverhalten geboten und deshalb – spiegelbildlich – eine Verringerung des Gestaltungs- und Entscheidungsspielraums in der Gegenwart hinzunehmen ist. Das Bundesverfassungsgericht kann sich hier nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle der dazu zuvörderst berufenen Gesetzgebungskörperschaften setzen (vgl. BVerfGE 129, 124 <183>; 135, 317 <404 f. Rn. 173>).
Mit diesem Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers korrespondiert eine eingeschränkte verfassungsgerichtliche Kontrolldichte, welche sich auf eine Prüfung der Nachvollziehbarkeit und Vertretbarkeit der Einschätzungen und Beurteilungen des Gesetzgebers zum sachlichen Veranlassungszusammenhang beschränkt (vgl. Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <100>).
(3) Für eine solche eingeschränkte Überprüfung spricht zudem, dass auch die Landesverfassungsgerichte bei den strukturähnlichen Vorschriften zur notlagenbedingten Kreditaufnahme durch die Länder von einem entsprechenden Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des (Landes)Gesetzgebers ausgehen (vgl. Hessischer StGH, Urteil vom 27. Oktober 2021 – P.St. 2783, P.St. 2827 -, juris, Rn. 248; VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1. April 2022 – VGH N 7/21 -, juris, Rn. 110).
cc) Die Vorschrift des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG sieht darüber hinaus keine weiteren materiellen Beschränkungen für eine krisenbedingte Kreditaufnahme des Bundes vor. Insbesondere ist der Haushaltsgesetzgeber nicht an den Grundsatz der VerhältnismäßigkeitBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Grundsatz
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gebunden. Vielmehr ist die konkrete Abwägung zwischen den geeigneten Mitteln zur Abwehr der außergewöhnlichen Notsituation eine Aufgabe des Haushaltsgesetzgebers, die er auch politisch zu verantworten hat. Für politisches Handeln räumt das Grundgesetz dem Gesetzgeber, soweit es sich nicht um – hier nicht gegebene – Eingriffe in Rechts- oder Freiheitsbereiche handelt, einen Gestaltungsspielraum ein, dem es nur einen Rahmen setzt. Innerhalb dieses Rahmens ist der Gesetzgeber frei, politische Entscheidungen zu treffen.
dd) Das bedeutet im vorliegenden Zusammenhang, dass die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers zwar geeignet zur Krisenbewältigung sein muss, unter mehreren geeigneten Mitteln jedoch keine Abstufung im Sinne einer Erforderlichkeit oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu treffen ist (vgl. BVerfGE 79, 311 <342 f.>; vgl. auch jüngst VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1. April 2022 – VGH N 7/21 -, juris, Rn. 112). Die krisenbedingte Kreditaufnahme ist deshalb verfassungsgerichtlich nicht darauf zu überprüfen, ob sie sich als erforderlich und angemessen erweist (vgl. Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <101>; Korioth, JZ 2009, S. 729 <733> kein „die Kredithöhe begrenzendes Kriterium“; wohl auch Siekmann, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 115 Rn. 53; a.A. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 109 Rn. 153; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 115 Rn. 53a; Pünder, in: Berliner Kommentar, Art. 115 Rn. 145 f. <Juli 2010>; Reimer, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 109 Rn. 67, 67a, 67b <Aug. 2023>; Schwarz, COVuR 2020, S. 74 <77>).
(1) Vor der Inanspruchnahme einer notlagenbedingten Kreditaufnahme nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG ist der Gesetzgeber insbesondere nicht von Verfassungs wegen zur Ausschöpfung anderer Konsolidierungsspielräume gehalten (Erforderlichkeit der notlagenbedingten Kreditaufnahme). Es ist allein Sache des Parlaments, entsprechende (politische) Grundentscheidungen zu treffen und hierbei alternativ bestehende Finanzierungsmöglichkeiten wie Steuererhöhungen, andere haushaltspolitische Schwerpunktsetzungen und eventuelle Rücklagen in die Abwägung miteinzubeziehen. Eine „Subsidiarität der Kreditaufnahme“ lässt sich Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG gerade nicht entnehmen (vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1. April 2022 – VGH N 7/21 -, juris, Rn. 113; a.A. Schmidt, JZ 2021, S. 382 <386>; Gröpl, NJW 2020, S. 2523 <2526>).
Gegen ein Erforderlichkeitskriterium spricht zudem die in Art. 115 Abs. 2 Satz 8 GG geregelte Tilgungsverpflichtung für krisenbedingte Kreditaufnahmen. Das Grundgesetz unterscheidet insoweit zwischen der eigentlichen Krisensituation und der Zeit nach Überwindung der Krise, in welcher der Gesetzgeber zumindest an einen angemessenen Pfad der Schuldenrückführung gebunden ist. Damit wird das Erfordernis zur Ausschöpfung etwaiger Konsolidierungsmöglichkeiten wesentlich in die Tilgungsphase, also in die Zeit, in der die Krise überwunden ist, verlagert. Erst in der Zeit nach der Naturkatastrophe oder der außergewöhnlichen Notsituation besteht eine verfassungsrechtliche Konsolidierungspflicht, während in der akuten Notsituation die Krisenbewältigung im Vordergrund steht. Der Erweiterung des Handlungsspielraums durch die Inanspruchnahme notlagenbedingter Kreditmittel in Krisenzeiten folgt dessen anschließende Verengung in den folgenden Haushaltsjahren (vgl. Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <102>).
(2) Die Angemessenheit der notlagenbedingten Kreditaufnahme unterliegt im Weiteren keiner verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Ein Grundsatz der „haushaltsverfassungsrechtlichen Angemessenheit“ lässt sich der Verfassung gerade nicht entnehmen (a.A. Hessischer StGH, Urteil vom 27. Oktober 2021 – P.St. 2783, P.St. 2827 -, juris, Rn. 252 zur Hessischen Landesverfassung; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 109 Rn. 154; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 115 Rn. 53a). Der Verzicht auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne führt auch nicht zu einer – der Zielrichtung des Art. 115 Abs. 2 GG widersprechenden – Eröffnung der Möglichkeit unkontrollierbarer Erhöhung der Staatsverschuldung. Die notlagenbedingte Kreditaufnahme ist von den Tatbestandsmerkmalen des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG abhängig, deren Vorliegen grundsätzlich vollumfänglich verfassungsgerichtlich überprüfbar ist. Erst auf der Ebene der Rechtsfolge beschränkt sich der Prüfungsmaßstab auf das Kriterium der Vertretbarkeit und Nachvollziehbarkeit, insbesondere im Hinblick auf die Annahme des Veranlassungszusammenhangs. Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG führen demnach schon für sich genommen zu einem vom verfassungsändernden Gesetzgeber gewollten Schutz vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse.
ee) Dem Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers entspricht eine Darlegungslast im Gesetzgebungsverfahren (vgl. BVerfGE 119, 96 <140>). Dies ermöglicht dem Bundesverfassungsgericht im Streitfall die Prüfung, ob die entsprechende Beurteilung und Einschätzung des Gesetzgebers anhand der von ihm gegebenen Begründung nachvollziehbar und vertretbar ist (vgl. BVerfGE 79, 311 <343>; 119, 96 <140 f.>).
(1) Im Gesetzgebungsverfahren darzulegen sind die Diagnose der Naturkatastrophe oder der außergewöhnlichen Notsituation sowie ihrer Ursachen, die Absicht, durch die erhöhte Kreditaufnahme diese Notlage abzuwehren oder zu überwinden, und die begründete Prognose, dass und wie durch die erhöhte Kreditaufnahme dieses Ziel erreicht werden kann, sie also zur Beseitigung der Notlage geeignet erscheint (vgl. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 109 Rn. 153; Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 109 Rn. 214 <Mai 2011>; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 115 Rn. 52; ähnlich Gröpl, NJW 2020, S. 2523 <2525>). Dabei wird gegebenenfalls die Koordination der Haushaltsplanung mit flankierenden gesetzgeberischen Maßnahmen und der längerfristigen Politik darzulegen sein. Falls der Haushaltsgesetzgeber entgegen der bisherigen Finanzplanung handelt, hat er dies zu begründen (vgl. im Hinblick auf die alte Rechtslage BVerfGE 79, 311 <345>). Welche Anforderungen an die im Einzelfall geforderten Darlegungspflichten des Gesetzgebers bestehen, bestimmt sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles und ist insbesondere von der Art der jeweiligen Krisensituation – und der Vielschichtigkeit von Lösungen zur Krisenüberwindung – abhängig. Dabei müssen stets Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG im Blick behalten werden, denn diese soll die Handlungsfähigkeit des Staates zur Krisenbewältigung gewährleisten (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11).
(2) Macht der Gesetzgeber wiederholt innerhalb eines Haushaltsjahres oder innerhalb aufeinander folgender Haushaltsjahre von der Möglichkeit notlagenbedingter Kreditmittel Gebrauch, so wachsen auch die Anforderungen an seine Darlegungslasten. Je länger die Krise dauert und je umfangreicher der Gesetzgeber notlagenbedingte Kredite in Anspruch genommen hat, desto detaillierter hat er die Gründe für das Fortbestehen der Krise (Krisendiagnose) und die aus seiner Sicht weiter gegebene Geeignetheit der von ihm geplanten Maßnahmen zur Krisenbewältigung darzulegen.
(3) Dies gilt, bezogen auf die Höhe der Kreditermächtigungen, insbesondere dann, wenn notlagenbedingte Kreditmittel entgegen der ursprünglichen Haushaltsplanung und dem konstitutiven Beschluss nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG nicht oder nicht in voller Höhe benötigt worden sind und nunmehr für andere als die ursprünglich avisierten Maßnahmen zur Krisenbewältigung genutzt werden sollen.
(4) Besondere Anforderungen an die Darlegungslast des Gesetzgebers ergeben sich vor dem Hintergrund der notwendigen Abgrenzung einer notlagenbedingten Kreditaufnahme gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom Anwendungsbereich der erweiterten Kreditaufnahmemöglichkeiten gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG wegen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung, bei der die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen sind. Der Verfassungstext verdeutlicht damit, dass nicht schon jede wirtschaftliche Krisensituation mit einer außergewöhnlichen Notsituation gleichzusetzen ist. Demgemäß hat auch der Haushaltsgesetzgeber diese Abgrenzung nachvollziehbar darzulegen.
(5) Die insoweit im Gesetzgebungsverfahren dargelegte Beurteilung und Einschätzung des Gesetzgebers ist verfassungsgerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob sie nachvollziehbar und vertretbar ist (vgl. BVerfGE 79, 311 <342>; 119, 96 <140 f.>; Meickmann, NVwZ 2021, S. 97 <101>). Diese Aufgabenverteilung zwischen parlamentarischer Gesetzgebung und verfassungsgerichtlicher Kontrolle ist bei der Wahrnehmung der verfassungsrechtlichen Ermächtigung und Verpflichtung zu einer situationsgebundenen, auf dynamische Entwicklungen reagierenden Kreditaufnahme sachlich geboten (vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1. April 2022 – VGH N 7/21 -, juris, Rn. 106; vgl. zur alten Rechtslage BVerfGE 79, 311 <342>).
c) Dem systematischen Gefüge der verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Kreditaufnahme des Bundes nach den Art. 109 Abs. 3, Art. 115 GG sind darüber hinaus die haushaltsrechtlichen Prinzipien der Jährlichkeit und Jährigkeit – flankiert vom Haushaltsgrundsatz der Fälligkeit – zu entnehmen, welche dem grundsätzlichen Verbot der strukturellen Neuverschuldung zugrunde liegen (aa). Diese Prinzipien gelten auch für die Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG (bb) und können nicht durch den Einsatz von Sondervermögen umgangen werden (cc). Die Einhaltung der Prinzipien der Jährlichkeit und Jährigkeit unterliegen einer strikten verfassungsgerichtlichen Kontrolle (dd).
aa) Die vom grundsätzlichen Verbot der strukturellen Neuverschuldung nach Art. 109 Abs. 3 Satz 1, Art. 115 Abs. 2 Satz 1 GG unter Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung in Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 3 bis 5 GG vorgesehene Regelungsmöglichkeit unterliegt den Geboten der Jährlichkeit und Jährigkeit. Dies folgt aus einer systematischen Auslegung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und ihres normativen Umfelds.
(1) Ein erster gewichtiger Anhaltspunkt dafür, dass die Vorgaben aus Art. 109 Abs. 3, Art. 115 GG auf Jährlichkeit und Jährigkeit angelegt sind, ergibt sich aus der Formulierung der Grundentscheidung zum Verbot struktureller Neuverschuldung in Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG: Indem Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG statuiert, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind, verknüpft er die Begrenzung der staatlichen Kreditaufnahme mit der staatlichen Haushaltswirtschaft und auf diese Weise auch mit dem allgemeinen Haushaltsgrundsatz der Jährlichkeit nach Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG (a) sowie mit den damit in Verbindung stehenden Prinzipien der Jährigkeit (b) und Fälligkeit (c).
(a) Das Prinzip der Jährlichkeit (vgl. zum Begriff Tappe, Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz, 2008, S. 64 ff.; Kloepfer, Finanzverfassungsrecht mit Haushaltsverfassungsrecht, 2014, S. 328 f.; vgl. ferner Gröpl, in: Bonner Kommentar, Art. 110 Rn. 257 <Sept. 2015>) des Haushalts des Bundes nach Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG geht dahin, dass der Haushaltsplan für ein oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festzustellen ist. Das allgemeine Jährlichkeitsprinzip, welches Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG enthält, dient der Sicherung des Budgetrechts des Parlaments, insbesondere im Hinblick darauf, dass das Budget bei längeren Haushaltsperioden seine Aussagekraft und Verbindlichkeit verlöre (vgl. nur Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 110 Rn. 13 i.V.m. Rn. 28). Das Parlament könnte zudem mangels eines entsprechenden Gesetzesinitiativrechts von sich aus keine Nachtragshaushalte initiieren (vgl. Tappe, Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz, 2008, S. 64; Kloepfer, Finanzverfassungsrecht mit Haushaltsverfassungsrecht, 2014, S. 329).
(b) In einem engen funktionalen Zusammenhang zu dem in Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG ausdrücklich verankerten Prinzip der Jährlichkeit der Haushaltsaufstellung steht das Prinzip der Jährigkeit des Haushaltsvollzugs; während Ersteres Anforderungen an die Periodizität der Aufstellung des Haushalts stellt, adressiert Letzteres die Frage nach dem Geltungszeitraum der Ermächtigungen in den Haushaltsplänen (vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar, Art. 110 Rn. 257 <Sept. 2015>). Das Jährigkeitsprinzip betrifft die Begrenzung des beplanten Zeitraums in materieller (inhaltlicher) Hinsicht, mithin also eine zeitliche Beschränkung der Ausgaben- und Kreditermächtigungen (vgl. Tappe, in: Gröpl, BHO/LHO, 2. Aufl. 2019, § 11 Rn. 10). Es ist einfach-rechtlich in § 27 Abs. 1 Satz 1 HGrG, § 45 Abs. 1 Satz 1 BHO niedergelegt. Danach dürfen Ermächtigungen nur zu im Haushaltsplan bezeichneten Zwecken und Leistungen, soweit und solange sie fortdauern, und nur bis zum Ende des Haushaltsjahres geleistet oder in Anspruch genommen werden. Anschließend verfallen sie ersatzlos, soweit nichts anderes bestimmt ist (vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar, Art. 110 Rn. 257 <Sept. 2015>; Tappe, Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz, 2008, S. 102).
(aa) Das Prinzip der Jährigkeit gilt nicht absolut. So sehen § 27 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 4 HGrG und § 45 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 4 BHO Durchbrechungen dieses Grundsatzes vor, unter anderem im Hinblick auf die Bildung von Ausgaberesten, die unter näheren Voraussetzungen für die jeweilige Zweckbestimmung über das Haushaltsjahr hinaus bis zum Ende des auf die Bewilligung folgenden zweitnächsten Haushaltsjahres verfügbar bleiben dürfen. Eine weitere Ausnahme stellt die wegen Art. 110 Abs. 4 Satz 2 GG in Verbindung mit § 18 Abs. 3 BHO vorgesehene vorläufige „Weitergeltung“ von Kreditermächtigungen dar.
(bb) Damit adressiert das Jährigkeitsprinzip in erster Linie die Exekutive in der Phase des Haushaltsvollzugs. Es begrenzt daneben aber auch den Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Haushaltsplans. Aus ihm folgt die Verpflichtung des Haushaltsgesetzgebers, Ausgabe- und Verpflichtungsermächtigungen jedenfalls grundsätzlich nicht überjährig übertragbar auszuweisen. Die Möglichkeiten der Übertragbarkeit können im Einzelfall, etwa im Hinblick auf den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verfassungsrechtlicher Rechtfertigung zugänglich sein, müssen jedoch auf Ausnahmen reduziert bleiben (vgl. Tappe, Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz, 2008, S. 102 f.).
(cc) Das inhaltliche Prinzip der Jährigkeit ergänzt das äußerliche Prinzip der Jährlichkeit in seiner Schutzwirkung zugunsten des parlamentarischen Budgetrechts, indem es verhindert, dass der Entscheidungsspielraum künftiger Haushaltsgesetzgeber durch fortwirkende Vorfestlegungen aus früheren Haushalten eingeschränkt wird (vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar, Art. 110 Rn. 257 <Sept. 2015>). Es verhindert damit eine Lastenverschiebung in die Zukunft (vgl. Tappe, Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz, 2008, S. 111). Wegen dieses engen funktionalen Zusammenhangs zum Jährlichkeitsprinzip gemäß Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG kommt auch dem Grundsatz der Jährigkeit Verfassungsrang zu (vgl. Siekmann, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 110 Rn. 62; Gröpl, in: Bonner Kommentar, Art. 110 Rn. 257 <Sept. 2015>; Kloepfer, Finanzverfassungsrecht mit Haushaltsverfassungsrecht, 2014, S. 331; implizit auch Tappe, Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz, 2008, S. 103).
(c) Das Prinzip der kassenwirksamen Fälligkeit findet keine ausdrückliche Erwähnung im Text des Grundgesetzes, ist jedoch der Sache nach in § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 HGrG und § 11 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BHO einfach-rechtlich normiert. Der Fälligkeitsgrundsatz betrifft die zeitliche Zuordnung der Haushaltsmittel, wobei auf die voraussichtliche Kassenwirksamkeit, also die tatsächlichen Ein- und Auszahlungen von Finanzmitteln abgestellt wird (vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar, Art. 110 Rn. 258 <Sept. 2015>). Im Haushaltsplan dürfen demnach nur diejenigen Einnahmen und Ausgaben veranschlagt werden, die im Haushaltsjahr voraussichtlich kassenwirksam werden (vgl. Tappe, in: Gröpl, BHO/LHO, 2. Aufl. 2019, § 11 Rn. 32).
(2) Indem Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG als Grundnorm des grundgesetzlichen Staatsschuldenrechts festlegt, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind, verknüpft er – über seine Bezugnahme auf die Verpflichtung zur formellen Ausgeglichenheit des Haushalts gemäß Art. 110 Abs. 1 Satz 2 GG – die Vorgaben zur Kreditaufnahme mit den vorstehend dargestellten allgemeinen Haushaltsgrundsätzen der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit (vgl. Kloepfer, Finanzverfassungsrecht mit Haushaltsverfassungsrecht, 2014, S. 335 f.). Auf diese Weise wird dem Gebot der formellen Ausgeglichenheit gemäß Art. 110 Abs. 1 Satz 2 GG das staatsschuldenrechtliche Gebot der materiellen Ausgeglichenheit des Haushalts in Gestalt eines Verbots struktureller Neuverschuldung gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG zur Seite gestellt (vgl. Kloepfer, Finanzverfassungsrecht mit Haushaltsverfassungsrecht, 2014, S. 336). Aus dieser Bezugnahme ist zu folgern, dass auch die Vorgaben zur Kreditaufnahme des Bundes aus Art. 109 Abs. 3, Art. 115 GG grundsätzlich den Prinzipien der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit folgen müssen, was indes spezifische Modifikationen unter Rücksicht auf die sachlichen und funktionalen Besonderheiten der Vorschriften zur Kreditaufnahme nicht ausschließt.
(3) Auch aus der Ausgestaltung der Regeln über die Begrenzung der Neuverschuldung des Bundes in Art. 109 Abs. 3, Art. 115 GG ergibt sich, dass die Grundsätze der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit im Staatsschuldenrecht Geltung beanspruchen. Denn nach der Konzeption der Art. 109 Abs. 3, Art. 115 GG stellt das Staatsschuldenrecht auf einen jährlichen Bezugsrahmen ab. Dies zeigt sich besonders deutlich an der in Art. 115 Abs. 2 Satz 5 GG verwendeten Formulierung, wonach in einem Bundesgesetz die „Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme“ zu regeln ist.
(a) Jährlichkeit im Bereich der Vorgaben über die Kreditaufnahme des Bundes bedeutet, dass die zulässige Höhe der Kreditaufnahme nach Jahren getrennt zu ermitteln ist. Nach Ablauf eines Jahres ist die zulässige Nettokreditaufnahme für das Folgejahr neu zu ermitteln.
(b) Jährigkeit erfordert, dass Kreditermächtigungen, die in den Rahmen der zulässigen Nettokreditaufnahme für ein bestimmtes Jahr fallen und auf die zulässige Kreditaufnahme in diesem Jahr angerechnet werden, grundsätzlich auch in eben diesem Jahr tatsächlich genutzt werden müssen, die Kredite also aufzunehmen sind.
(c) Schließlich folgt aus der Formulierung „Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme“ in Art. 115 Abs. 2 Satz 5 GG, dass im Sinne des Fälligkeitsprinzips für die zeitliche Zuordnung der Kreditermächtigungen in Bezug auf einzelne Jahre und die entsprechenden Obergrenzen für die Kreditaufnahme die tatsächliche Aufnahme der Kredite maßgeblich sein soll.
(4) Ein weiterer normativer Anhaltspunkt für diese Sichtweise folgt aus Art. 115 Abs. 1 GG, soweit es dort heißt, dass Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, einer bundesgesetzlichen Ermächtigung bedürfen. Durch das Abstellen auf mögliche „Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren“ hat der verfassungsändernde Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die Begrenzungen im Staatsschuldenrecht eine zeitliche, nach Rechnungsjahren gestaffelte Schutzwirkung zugunsten späterer Haushalte entfalten sollen.
(5) Schließlich wird das Ergebnis, wonach die Regelungsmechanik der sogenannten Schuldenbremse aus Art. 109 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 1 GG den Prinzipien der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit unterliegt, durch teleologische Erwägungen weiter gefestigt. Die Ziele, die Staatsverschuldung des Bundes effektiv zu begrenzen und Belastungen künftiger Haushalte durch Rückführungsverpflichtungen gering zu halten, sind in die Zukunft gerichtet und verfügen damit ebenfalls über eine spezifisch zeitbezogene Dimension.
bb) Die Geltung der Grundsätze der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit im Staatsschuldenrecht erstreckt sich auch auf die Ausnahmeregelung des Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG für Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen. Zwar rechtfertigen diese Normen gerade die Überschreitung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme. In ihrem auf die Durchbrechung der regulären Grenze gerichteten Ausnahmecharakter bleiben die Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG aber eng auf das jährliche Berechnungssystem der Schuldenbremse bezogen.
(1) Demgemäß hat auch der Beschluss des Bundestages nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG, die Kreditobergrenzen zu überschreiten, für ein konkretes Rechnungsjahr zu ergehen. Schon die Berechnung der jeweiligen für den Regelfall geltenden regulären Verschuldungsgrenze bezieht sich auf das einzelne Haushaltsjahr. Sollten eine Notsituation oder ihre Wirkungen über den Zeitraum eines Jahres anhalten und fortdauernden Kreditbedarf veranlassen, so haben Beschlüsse nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG nach Jahren getrennt zu ergehen. Es entspricht im Übrigen der Staatspraxis, dass sich Beschlüsse nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG auf Haushalts- oder Rechnungsjahre beziehen; sie ergehen unter Hinweis auf ein entsprechendes Haushaltsgesetz oder Nachtragshaushaltsgesetz (vgl. den Beschluss des Deutschen Bundestages gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und 7 GG vom 25. März 2020, BTDrucks 19/18108, 19/18131; den Beschluss des Deutschen Bundestages gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und 7 GG vom 23. April 2021, BTDrucks 19/28464, 19/28740; den Beschluss des Deutschen Bundestages gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und 7 GG vom 3. Juni 2022, BTDrucks 20/2036). Auf diese Weise wird dem – äußerlichen – Prinzip der Jährlichkeit im Rahmen der Ausnahmeregelung nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG Rechnung getragen.
(2) Das – stärker vollzugsgerichtete – Prinzip der Jährigkeit fordert im Zusammenspiel mit dem Grundsatz der kassenwirksamen Fälligkeit weiter, dass die auf ein bestimmtes Rechnungsjahr bezogenen notlagenbedingten Kreditermächtigungen, soll von ihnen Gebrauch gemacht werden, unmittelbar in dem betreffenden Jahr tatsächlich kassenwirksam werden müssen. Die Kredite sind deshalb in dem der Ermächtigung zugrundeliegenden Jahr tatsächlich aufzunehmen, weil sie in diesem Jahr zur Bewältigung der Notlage gebraucht werden. Nach dem Ablauf des Rechnungsjahres verfallen die entsprechenden Kreditermächtigungen, denn im Unterschied zu „gewöhnlichen“ Kreditermächtigungen (Art. 110 Abs. 4 Satz 2 GG i.V.m. § 18 Abs. 3 BHO) existiert für notlagenbedingte Kreditermächtigungen keine normierte Ausnahme von den Grundsätzen der Jährigkeit und Jährlichkeit. Anderenfalls würden die durch den Beschluss des Bundestages festgestellte Notsituation und die tatsächliche Kreditaufnahme in unzulässiger Weise voneinander getrennt, obwohl sie inhaltlich aufeinander bezogen sind.
cc) Die Prinzipien der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit können nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass der Gesetzgeber eine Gestaltungsform wählt, bei der Kredit-ermächtigungen für ein juristisch unselbständiges Sondervermögen (Nebenhaushalte) nutzbar gemacht werden. Auch juristisch unselbständige Nebenhaushalte werden von dem Verbot der Neuverschuldung nach Art. 109 Abs. 3 Satz 1, Art. 115 Abs. 2 GG umfasst (1), weshalb die allgemeinen Anforderungen aus dem Zeitbezug der Schuldenbremse bei dem Einsatz eines Sondervermögens im Grundsatz anwendbar bleiben (2).
(1) Das Verbot struktureller Neuverschuldung nach Art. 109 Abs. 3 Satz 1, Art. 115 Abs. 2 GG umfasst auch juristisch unselbständige Nebenhaushalte (vgl. Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 109 Rn. 117 <Mai 2011>; vgl. zu Art. 109 Abs. 3 GG i.V.m. der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz: VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1. April 2022 – VerfGH N 7/21-, juris, Rn. 51).
(a) Dies legt bereits der Wortlaut von Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG nahe, wonach die Haushalte von Bund und Ländern umfassend dem Staatsschuldenrecht des Art. 109 Abs. 3 GG unterworfen sind.
(b) Auch aus teleologischer Sicht ist es angezeigt, zum Zwecke einer effektiven Begrenzung der Nettoneuverschuldung unselbständige Nebenhaushalte von der Schuldenbremse zu erfassen, da anderenfalls erhebliches Umgehungspotential bestünde (vgl. – in Auseinandersetzung mit der alten Verfassungsrechtslage bis 2009 nach Art. 115 Abs. 2 GG a.F. – Kube, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 115 Rn. 51 <Okt. 2009>).
(c) Dieses Ergebnis wird gestützt durch eine Auslegung der Art. 109 Abs. 3 Satz 1, Art. 115 Abs. 2 GG unter Berücksichtigung der bis zur Reform des Staatsschuldenrechts im Jahr 2009 geltenden Verfassungsrechtslage sowie des Vorgehens des verfassungsändernden Gesetzgebers des Jahres 2009: Während Art. 115 Abs. 2 GG a.F. noch ausdrücklich vorsah, dass für Sondervermögen des Bundes durch Bundesgesetz Ausnahmen von den Grenzen für die Kreditaufnahme des Bundes aus Art. 115 Abs. 1 GG a.F. zugelassen werden können, fehlt eine solche Klausel im 2009 neu geschaffenen Staatsschuldenrecht. Hieraus lässt sich schließen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber bewusst davon absehen wollte, (weiterhin) Ausnahmen für Sondervermögen zu ermöglichen. Zugleich verdeutlicht die alte Verfassungsrechtslage, dass unselbständige Sondervermögen des Bundes grundsätzlich den Vorgaben zur Kreditaufnahmebegrenzung unterfielen, da anderenfalls die frühere ausdrückliche Ausnahmeermächtigung ins Leere gelaufen wäre.
(d) Für dieses Verständnis spricht schließlich auch der Wortlaut von Art. 143d Abs. 1 Satz 2 GG. Nach dieser Regelung ist eine Neuverschuldung über die (zum damaligen Zeitpunkt bestehenden) Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen hinaus seit dem 1. Januar 2011 nicht mehr möglich.
(2) (a) Dem Umstand, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Reform des Staatsschuldenrechts im Jahr 2009 darauf verzichtet hat, eine Art. 115 Abs. 2 GG a.F. entsprechende Ausnahmeermächtigung für Sondervermögen beizubehalten, lässt sich entnehmen, dass er beabsichtigte, die Durchsetzung der neu geschaffenen Schuldenbremse gerade auch gegenüber finanzrechtlichen Gestaltungsformen sicherzustellen, die mit der Einrichtung und Beschickung von Sondervermögen arbeiten (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 7; ferner Lenz/Burgbacher, NJW 2009, S. 2561 <2565>). Folglich müssen auch bei solchen Gestaltungsformen die besonderen zeitbezogenen Restriktionen der (notlagenbedingten) Kreditaufnahme des Bundes nach den Prinzipien der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit gelten, welche die Wirksamkeit der Schuldenbremse erst garantieren.
(b) Demgemäß führt die unter Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung für Notsituationen kreditfinanzierte Zuführung an ein Sondervermögen nach dem Grundsatz der Jährlichkeit verfassungsrechtlich dazu, dass die dem Sondervermögen zugeführten Mittel grundsätzlich nur in demjenigen Rechnungsjahr, für welches sie durch den Beschluss nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG bereitgestellt sind, eingesetzt werden können.
Im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse und der Berechnung der zulässigen Neuverschuldung sind der Kernhaushalt und unselbständige Sondervermögen als Einheit zu betrachten. Eine kreditfinanzierte Zuführung an ein Sondervermögen kann deshalb – unbeschadet der buchungstechnischen Vorgehensweise – nicht von den Begrenzungen der staatlichen Kreditaufnahme für das jeweils betroffene Haushaltsjahr entbinden.
Anderenfalls könnte der Bund in Haushaltsjahren, in denen aus ganz bestimmten, zeit- und umstandsbezogenen Gründen Kreditaufnahmespielräume bestehen, diese Spielräume weit über den Bedarf hinaus wahrnehmen und notlagenbedingte Kreditermächtigungen für Zuführungen an Sondervermögen nutzen, um sie gleichsam „anzusparen“. In späteren Jahren, für die die grundgesetzliche Schuldenbremse wiederum neue sach- und zeitgerechte eigenständige Vorgaben macht, könnte der Bund die so für die Zukunft nutzbar gemachten (ursprünglich) notlagenbedingten Kreditermächtigungen nach freiem Belieben einsetzen, ohne dass diese auf die Schuldenbremse angerechnet würden. Dem stehen Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG entgegen, die es nicht zulassen, dass die notlagenbedingten Kreditermächtigungen und das Haushaltsjahr, in welchem die Notlage festgestellt wurde, staatsschuldenrechtlich durch buchhalterische Maßnahmen voneinander entkoppelt werden.
dd) Die zeitbezogenen Anforderungen in Gestalt der Prinzipien der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit an die Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse für den Fall von Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG, die auch im Fall des Einsatzes von Sondervermögen gelten, unterliegen einer strikten verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Dies entspricht dem Anliegen des verfassungsändernden Gesetzgebers, durch die Reform des Jahres 2009 die Effektivität des Staatsschuldenrechts zu verwirklichen. Angesichts der eindeutigen Schutzrichtung der neugeschaffenen Vorgaben in Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG sowie der Klarheit der zeitbezogenen Begrenzungen für Kreditermächtigungen ist ein diesbezüglicher Einschätzungs-, Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht gegeben.
2. Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 muss sich an Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG messen lassen (a), mit deren geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen es in Einklang steht (b). Der Gesetzgeber hat jedoch den notwendigen Veranlassungszusammenhang zwischen den notlagenbedingten Kreditermächtigungen und den ergriffenen Maßnahmen zur Krisenbewältigung jedenfalls nicht ausreichend dargelegt (c). Zudem entspricht die im Rahmen des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 vorgenommene Zuführung an den KTF nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben an die notlagenbedingte Kreditaufnahme des Bundes im Hinblick auf die Prinzipien der Jährlichkeit und Jährigkeit (d).
a) Zentraler Regelungsbestandteil des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 ist die rückwirkende Erhöhung des Volumens des Sondervermögens EKF (heute KTF) von 42.694.600.000 auf 102.694.600.000 Euro. Der hierfür erforderliche Haushaltsspielraum wurde durch den Ansatz einer globalen Mehreinnahme in Höhe von 25 Milliarden Euro und einer globalen Minderausgabe in Höhe von 35 Milliarden Euro geschaffen. Unverändert geblieben sind dabei die auf der Basis des (Ersten) Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 erteilten Ermächtigungen zur Nettokreditaufnahme in Höhe von 240.175.714.000 Euro. Diese aufgrund des Beschlusses des Deutschen Bundestages gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom 23. April 2021 zur Bewältigung der Corona-Pandemie bereits durch das (Erste) Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ausgebrachten Kreditermächtigungen, die nicht in vollem Umfang zur Bekämpfung der Pandemiefolgen entsprechend der im Nachtragshaushaltsgesetz 2021 erteilten Ermächtigung verwandt worden waren, sind die Grundlage der Zuführung von weiteren 60 Milliarden Euro an den KTF. Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 unterliegt demzufolge ebenfalls den Maßstäben der Art. 109 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG sowie Art. 115 Abs. 2 Satz 1, 2 und 6 GG.
b) Die geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 bis Satz 8 GG sind erfüllt.
aa) Die Corona-Pandemie stellte mit ihren vielfältigen Folgen in gesundheitlicher und wirtschaftlicher Hinsicht eine Notsituation im Sinne von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG dar (vgl. Henneke, DVBl. 2020, S. 725 <728>).
bb) Diese entzog sich der Kontrolle des Staates. Die Schwierigkeiten einer weltweit grassierenden Pandemie mit ihren vielschichtigen Auswirkungen haben das staatliche Gemeinwesen von Beginn der Pandemie an vor Herausforderungen gestellt, die sich insbesondere aus ihrer immanenten Unberechenbarkeit ergaben. Dabei war die Corona-Pandemie in ihrer Entwicklung weder absehbar, noch ist sie von der öffentlichen Hand verursacht worden.
cc) Die Bekämpfung der Corona-Pandemie war von Beginn der Krise an mit einem außerordentlichen Bedarf an Haushaltsmitteln verknüpft und beeinträchtigte die staatliche Finanzlage demnach erheblich. Schon vor Ergreifen der ersten Maßnahmen im Jahr 2020 musste der Gesetzgeber davon ausgehen, dass eine weltweit ausgebrochene Pandemie spürbare Folgen für den Gesamthaushalt haben werde. An der Dimension der Herausforderungen, die mit der staatlichen Pandemiebekämpfung verbunden waren und sind, hatte sich zum Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses und der abermaligen Feststellung der Notlage durch den Deutschen Bundestag im April 2021 nichts geändert. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Krise und einer erheblichen Beeinträchtigung des Bundeshaushalts bestand fort.
dd) Mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 23. April 2021 gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und 7 GG erfolgte die zur Aufnahme von notlagenbedingten Krediten erforderliche Feststellung einer Notlage für das Haushaltsjahr 2021 (vgl. BTDrucks 19/28464 i.V.m. BTDrucks 19/28740). Eine erneute Feststellung für das Haushaltsjahr 2021 ist nicht erfolgt und war verfassungsrechtlich auch nicht geboten.
ee) Mit dem Beschluss war ein entsprechender Tilgungsplan im Sinne des Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG verbunden (vgl. BTDrucks 19/28464 i.V.m. BTDrucks 19/28740).
(1) Der Wirksamkeit dieses Tilgungsplans steht schon mit Blick auf den Wortlaut des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG nicht entgegen, dass er in der Form eines einfachen Parlamentsbeschlusses gefasst und nicht als Gesetz erlassen wurde (vgl. Rn. 113).
(2) Schließlich ist nicht ersichtlich, dass sich der Gesetzgeber im Hinblick auf die Angemessenheit des vorgesehenen Rückführungszeitraums außerhalb des ihm zustehenden Einschätzungs- und Beurteilungsspielraums bewegte (vgl. Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 115 Rn. 56; G. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 101; Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 115 Rn. 48).
c) Den Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den durch die notlagenbedingte Kreditaufnahme finanzierten Maßnahmen zur Krisenbewältigung hat der Gesetzgeber dagegen nicht ausreichend dargelegt.
aa) Im Ausgangspunkt nachvollziehbar ist die Krisendiagnose des Gesetzgebers: So wird in der Gesetzesbegründung eine Bestandsaufnahme der volkswirtschaftlichen Lage in Folge der Corona-Pandemie zum Ende des Jahres 2021 vorgenommen (vgl. BTDrucks 20/300, S. 4). Gemäß der Herbstprojektion der Bundesregierung zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung falle das Wachstum im Jahr 2021 aufgrund der pandemiebedingt bestehenden Lieferengpässe geringer aus als noch im Frühjahr erwartet. Die erneut steigende Infektionsdynamik und die Unsicherheiten wegen einer neu aufgetretenen Virusvariante stellten zudem ein hohes Risiko für die weitere Entwicklung dar. Es bedürfe demnach zur Abmilderung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und angesichts des massiven wirtschaftlichen Einbruchs im Jahr 2020 weiterhin umfangreicher angebots- und nachfrageseitiger Maßnahmen, um die deutsche Volkswirtschaft wieder auf einen langfristig nachhaltigen Wachstumspfad führen zu können. Ein wesentliches Element zur Bewältigung der Folgen der Pandemie seien konjunkturunterstützende erhöhte staatliche Investitionen sowie die Förderung privatwirtschaftlicher Investitionen. Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen stünden demgegenüber dem notwendigen Kurs einer nachhaltigen Stabilisierung massiv entgegen.
bb) Hingegen hat der Gesetzgeber die Notwendigkeit der konkret ergriffenen Maßnahmen nicht dargelegt.
(1) Die Bundesregierung verweist hierzu auf ihre Absicht, die Förderung der pandemiebedingt geschwächten wirtschaft mit einem weiteren politischen Anliegen – der Förderung von Klimaschutz, Transformation und Digitalisierung – zu verbinden: Eine verlässliche staatliche Finanzierung und eine Förderung privatwirtschaftlicher Ausgaben für bedeutende Zukunfts- und Transformationsaufgaben in den Bereichen Klimaschutz und Digitalisierung seien unter den besonderen Bedingungen der Pandemiebewältigung wesentliche Voraussetzungen, um die Folgen der Krise schnell zu überwinden, die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft zu sichern und damit das wirtschaftliche Wachstum anzuregen und nachhaltig zu stärken. Viele diesbezügliche Investitionen seien unter dem Einfluss der Pandemie nicht erfolgt. Deshalb bedürfe es einer weiteren Steigerung öffentlicher Investitionen, um gezielt private Investitionen in Zukunftsbereichen zu aktivieren und einen entsprechenden Nachholprozess anzustoßen. Dem Klimaschutz und dem Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energiequellen komme zur nachhaltigen Stärkung der Volkswirtschaft auf ihrem Weg aus der Pandemie eine besondere Qualität zu (vgl. zu den hierzu in den „Verbindlichen Erläuterungen“ genannten Einzelmaßnahmen BTDrucks 20/400, S. 3).
(2) Diese Begründung erweist sich als nicht ausreichend tragfähig. Zum Zeitpunkt der Gesetzesberatungen dauerte die Corona-Pandemie bereits fast zwei Jahre an. Je länger das auslösende Krisenereignis in der Vergangenheit liegt, je mehr Zeit dem Gesetzgeber deshalb zur Entscheidungsfindung gegeben ist und je mittelbarer die Folgen der ursprünglichen Krisensituation sind, desto stärker wird der Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Haushaltsgesetzgebers eingeengt (vgl. Rn. 138). Hiermit geht eine Steigerung der Anforderungen an die Darlegungslast des Gesetzgebers einher (vgl. Rn. 149 ff.). Dies gilt umso mehr, wenn der Gesetzgeber – wie hier – wiederholt innerhalb eines Haushaltsjahres oder innerhalb aufeinander folgender Haushaltsjahre von der Möglichkeit der Aufnahme notlagenbedingter Kreditmittel Gebrauch macht.
(3) Je länger die von ihm diagnostizierte Krise anhält und je umfangreicher der Gesetzgeber notlagenbedingte Kredite in Anspruch genommen hat, desto detaillierter hat er die Gründe für das Fortbestehen der Krise und die aus seiner Sicht fortdauernde Geeignetheit der von ihm geplanten Maßnahmen zur Krisenbewältigung aufzuführen. Er muss insbesondere darlegen, ob die von ihm in der Vergangenheit zur Überwindung der Notlage ergriffenen Maßnahmen tragfähig waren und ob er hieraus Schlüsse für die Geeignetheit künftiger Maßnahmen gezogen hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn notlagenbedingte Kreditmittel entgegen der ursprünglichen Haushaltsplanung und dem konstitutiven Beschluss nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG nicht oder nicht in voller Höhe benötigt worden sind.
(a) Eine solche Evaluation und Einordnung der bisherigen Krisenbewältigungsmaßnahmen findet sich in der Gesetzesbegründung allenfalls im Ansatz. Hierzu heißt es, es werde an die bereits im Jahr 2020 im Zusammenhang mit dem Konjunktur- und Zukunftspaket erfolgten und „zur Pandemiebewältigung bewährten“ Zuweisungen an den EKF „angeknüpft“ (vgl. BTDrucks 20/300, S. 4 f.). Die hiesigen Mittel ergänzten damit die bereits im Jahr 2020 zur Pandemiebewältigung dem EKF zugeführten Mittel und dienten damit weiterhin der Pandemiebewältigung. Die Entwicklung zeige, dass die bislang zur Überwindung der außergewöhnlichen Notsituation ergriffenen staatlichen Maßnahmen wirkten. Sie seien geeignet, erforderlich und angemessen, um die akuten wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie abzufedern und somit Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Nach dem wirtschaftlichen Einbruch im Jahr 2020 steige das deutsche Bruttoinlandsprodukt im laufenden und in den kommenden Jahren wieder an. Deutschland komme bisher vergleichsweise gut durch die Krise. Ohne die ergriffenen umfangreichen Stabilisierungs- und Unterstützungsmaßnahmen oder mit einem geringeren Mitteleinsatz wären der wirtschaftliche Einbruch und damit die sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie weitaus tiefgreifender.
(b) Welche konkreten Maßnahmen der EKF schon aufgrund der ersten Zuweisung ergriffen und welche (messbaren) Folgen diese Maßnahmen hatten, bleibt jedoch unerörtert. Es ist deshalb schon unklar, ob durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 letztlich die gleichen Maßnahmen finanziert werden sollen wie mit der ursprünglichen notlagenbedingten Kreditermächtigung im Jahr 2020. Nicht weiter ausgeführt wird auch die Annahme, wonach das Bruttoinlandsprodukt wegen der ergriffenen Maßnahmen wieder ansteige.
(c) Eine Begründung, weshalb die noch im (Ersten) Nachtragshaushaltsgesetz 2021 für erforderlich erachteten Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro zum Ende des Haushaltsjahres 2021 entgegen der ursprünglichen Planung nicht zur Krisenbewältigung verwendet worden sind, gibt der Gesetzgeber – obwohl die Gesetzesbegründung selbst auf die Erforderlichkeit der bisherigen Mittelhöhe abstellt – nicht. Eine solche Begründung war hier umso mehr angezeigt, als zwischen der Feststellung einer Notlage für das Haushaltsjahr 2021 gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und 7 GG durch Beschluss vom 23. April 2021 (vgl. BTDrucks 19/28464 i.V.m. BTDrucks 19/28740) und dem Zeitpunkt der Beschlussfassung über das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 fast ein Jahr vergangen war.
(d) Anlass zu einer vertieften argumentativen Auseinandersetzung bestand auch mit Blick auf den Umstand, dass der EKF bereits sehr viel früher errichtet worden und die Zielsetzung der durch ihn finanzierten Programme bereits zum damaligen Zeitpunkt festgelegt worden war, ohne dass die bereits laufenden Programme den Eintritt der Krisenfolgen verhindert oder ihre Folgen begrenzt hätten (vgl. Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ <EKFG> vom 8. Dezember 2010 <BGBl I S. 1807>). Daher ist die Geeignetheit der vom Sondervermögen finanzierten Programme zur Krisenbewältigung nicht indiziert.
(e) Schließlich lässt die Gesetzesbegründung die notwendige Abgrenzung einer notlagenbedingten Kreditaufnahme aus Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom Anwendungsbereich der erweiterten Kreditaufnahmemöglichkeiten aus Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG wegen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung, bei welcher die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen sind, nicht deutlich werden. Die Notwendigkeit dieser Abgrenzung folgt schon daraus, dass auch für den Rückgriff auf die Konjunkturkomponente aus Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG die Wirkungen der geplanten konjunkturpolitischen Maßnahmen durch den Bundestag hinreichend ermittelt und dargelegt werden müssen (vgl. G. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 109 Rn. 96). Zyklische Konjunkturverläufe im Sinne von Auf- und Abschwung sind demgegenüber gerade keine außergewöhnlichen Ereignisse im Sinne von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 11).
d) Die Zuführung an den KTF durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 widerspricht zudem den sich aus Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG ergebenden Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit:
aa) Die nach der Gesamtkonzeption des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 vorgesehene faktische Vorhaltung von Kreditermächtigungen in periodenübergreifenden Rücklagen verstößt gegen die Maßgaben aus Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG als jahresbezogene Anforderungen. Der vom Deutschen Bundestag gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG zu fassende Beschluss im Hinblick auf die Feststellung einer Notlage bezieht sich auf ein konkretes Haushaltsjahr (vgl. Art. 115 Abs. 1 GG: „Rechnungsjahr“) und ist deshalb für jedes Haushaltsjahr gesondert zu treffen. Eine Entkoppelung der notlagenbedingten Kreditermächtigungen von der tatsächlichen Verwendung der Kreditmittel ist mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen in Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG nicht vereinbar, wonach Kreditermächtigungen, die in einem bestimmten Haushaltsjahr ausgebracht werden, sich auf die Deckung von Ausgaben beschränken müssen, die für Maßnahmen zur Notlagenbekämpfung in eben diesem Haushaltsjahr anfallen. Der in Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vorausgesetzte „Fall“ ist jährlich festzustellen und zu verantworten. Die Mittel sind entsprechend in dem betreffenden Jahr zu verwenden.
bb) Mit dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 werden dem KTF als unselbständigem Sondervermögen des Bundes kreditfinanzierte Mittel in Höhe von 60 Milliarden Euro zugeführt, die sich auf die Berechnung der zulässigen Kreditaufnahme für das Jahr 2021 auswirken, während die vom Gesetzgeber zur Krisenbewältigung ins Auge gefassten Maßnahmen, deren Finanzierung die Kreditermächtigungen dienen sollen, für kommende Haushaltsjahre geplant sind. Tatsächlich wirksame Verschuldung entsteht für den Bund nach dieser Konzeption vor allem in den kommenden Jahren und voraussichtlich über die dann für das jeweilige Haushaltsjahr geltende verfassungsrechtliche Verschuldungsgrenze hinaus. Dabei werden die jetzt geschaffenen Kreditermächtigungen ohne Anrechnung auf die Verschuldungsgrenze des dann aktuellen Haushaltsjahres nutzbar gemacht, weil die Anrechnung bereits mit der Ermächtigung im Ausnahmejahr 2021, nicht aber mit der späteren Kreditaufnahme selbst erfolgen soll. Dies ist mit dem Grundsatz der Jährigkeit in Verbindung mit dem Grundsatz der Fälligkeit bei Anwendung der Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren.
cc) Eine Rechtfertigung des Verstoßes gegen die Maßgaben der Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG ergibt sich – entgegen der Ansicht der Bundesregierung – weder aus den Besonderheiten der Corona-Pandemie als solcher noch daraus, dass die Bundesregierung „bereits gegenwärtig notwendige und in der Zukunft zu Auszahlungen führende Verpflichtungen gegenüber Dritten nur mit einer entsprechenden finanziellen Unterlegung“ eingehen könnte.
(1) Der Bundesregierung ist zwar zuzugestehen, dass die Corona-Pandemie aufgrund ihrer weltweiten Tragweite und ihres ungewissen zeitlichen Verlaufs Besonderheiten aufweist. Daraus lassen sich jedoch keine Ausnahmen von den zeitlichen Maßgaben der Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG ableiten, die eine länger wirkende Kreditfinanzierungsoption zu ihrer Krisenüberwindung erlaubten.
(2) Wenn und soweit auch in den Folgejahren die Tatbestandsvoraussetzungen einer notlagenbedingten Kreditaufnahme (erneut) erfüllt sein sollten, wäre eine solche Kreditaufnahme in der zum jeweiligen Zeitpunkt tatsächlich gebotenen Höhe zulässig. Es besteht daher mit Blick auf das verfassungsgemäße Ziel der gegenwärtigen und künftigen Pandemiebewältigung weder hinsichtlich des „Ob“ noch hinsichtlich des „Wieviel“ ein sachlicher Grund dafür, auf Kreditermächtigungen aus dem Jahr 2021 zurückzugreifen.
(3) Dies gilt auch mit Blick auf das von der Bundesregierung vorgebrachte Argument, verbindliche finanzielle Verpflichtungen durch die Inanspruchnahme von Verpflichtungsermächtigungen durch die Bundesregierung seien in der hiesigen spezifischen Notlagensituation notwendig, um die erwünschten privaten Investitionen anzustoßen und für sie Planungssicherheit zu gewährleisten. Insoweit ist nicht ersichtlich, wieso der langfristig angenommenen Krisensituation nicht mit jährlich wiederholten Feststellungen im Sinne der Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG ausreichend begegnet werden könnte.
II.
Schließlich entspricht das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 nicht den Anforderungen an den Zeitpunkt des Erlasses eines Nachtragshaushaltsgesetzes aus Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG.
1. Der Haushaltsplan ist aufgrund des Gebots der Vorherigkeit gemäß Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich vor Beginn des Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festzustellen.
a) Das Gebot der Vorherigkeit gemäß Art. 110 Abs. 2 GG dient der wirksamen Ausgestaltung des parlamentarischen Budgetrechts. Dieser Grundsatz zielt auf die Sicherung der Budgethoheit des Parlaments in zeitlicher Hinsicht und will insbesondere die Leitungsfunktion des Haushalts für das gesamte Haushaltsjahr gewährleisten (vgl. BVerfGE 119, 96 <120>). Wenngleich sich der Vorherigkeitsgrundsatz nach seinem Wortlaut in erster Linie an den Gesetzgeber richtet, ist Verpflichtungsadressat dieses Grundsatzes nicht nur das Parlament. Alle am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane sind gehalten, an der Erfüllung des Vorherigkeitsgebots mitzuwirken (vgl. BVerfGE 45, 1 <33>; 66, 26 <38>). Dies gilt auch für die Bundesregierung, der das alleinige Initiativrecht zur Einbringung eines (Nachtrags-)Haushaltsgesetzes zusteht (vgl. BVerfGE 45, 1 <46>). Von dieser ausschließlichen haushaltsgesetzlichen Initiativkompetenz sind das Recht und die Pflicht zur rechtzeitigen Einbringung und damit auch zum rechtzeitigen Abschluss der Vorbereitungsarbeiten zu den Entwürfen der Einzelpläne und des Gesamthaushaltsplans umfasst (vgl. BVerfGE 119, 96 <120 f.>).
b) Das Gebot der Vorherigkeit gilt grundsätzlich auch bei der Aufstellung von Nachtragshaushalten (noch offenlassend BVerfGE 119, 96 <122 f.>). Zwar bezieht sich Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG nach seinem Wortlaut nicht unmittelbar auf Nachtragshaushalte, die wesensgemäß erst während des laufenden Haushaltsjahres eingebracht werden können. Im Hinblick auf den Schutzzweck des Vorherigkeitsgebots, das im Zusammenspiel mit den Grundsätzen der Vollständigkeit und Wahrheit des Haushalts auf die Gewährleistung der Lenkungs- und Kontrollfunktionen des Haushaltsgesetzes und damit auf die Wirksamkeit der Budgethoheit des Parlaments zielt, ist jedoch eine entsprechende Anwendung auf die Einbringung eines Nachtragshaushalts geboten. Das Vorherigkeitsgebot wird dann zu einem Verfassungsgebot rechtzeitiger, nicht willkürlich verzögerter Korrektur oder Anpassung ursprünglich oder nachträglich realitätsfremder Haushaltsansätze (vgl. BVerfGE 119, 96 <122>).
c) Der Senat hat die Frage, ob dem Vorherigkeitsgebot im Zusammenhang mit dem Erlass eines Nachtragshaushalts Verfassungsrang zukommt und welche Folge ein Verstoß gegen das Vorherigkeitsgebot beim Erlass eines Nachtragshaushalts nach sich zieht, bislang offengelassen (vgl. BVerfGE 119, 96 <123 f.>). Ausgangspunkt der damaligen Entscheidung war eine Konstellation, bei der „erst Mitte Oktober 2004 statt zu einem bereits wesentlich früheren Zeitpunkt“ ein Nachtragshaushaltsgesetz für das Haushaltsjahr 2004 eingebracht worden war. Verfassungsrechtlicher Maßstab für diese Konstellation sei die (Verfas- sungs-)Organtreue, das heißt die Verpflichtung zu gegenseitiger Rücksichtnahme, und die Beachtung von Sorgfaltspflichten bei der Kompetenzwahrnehmung der beteiligten Organe (vgl. BVerfGE 119, 96 <124 f.>). Im Zentrum des Verfahrens stand deshalb die Problematik, ob organschaftliche Pflichtverletzungen im Wege einer Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) geltend gemacht werden können, das heißt, ob die betreffenden Pflichten als verfassungsrechtliche Anforderungen zu qualifizieren sind und deshalb auf das Haushaltsgesetz als solches durchschlagen oder ob hierfür nicht allein das Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) berufen ist (vgl. BVerfGE 119, 96 <122 f.>). Eine entsprechende Pflichtverletzung der Bundesregierung vermochte der Senat nicht festzustellen, weshalb er die Frage dahinstehen lassen konnte.
d) Im vorliegenden Fall geht es dagegen nicht um eine organschaftliche Pflichtverletzung, weil ein Nachtragshaushalt nicht im laufenden Haushaltsjahr „verspätet“ verabschiedet wurde, sondern darum, dass ein Nachtragshaushaltsgesetz für das Jahr 2021 überhaupt erst nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 beschlossen wurde.
aa) Einfachrechtlich folgt aus § 33 Satz 2 BHO, dass ein Nachtragsentwurf bis zum Ende des Haushaltsjahres einzubringen ist. In der Literatur besteht jedoch die einhellige Meinung, diese Vorschrift verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass ein Nachtragsentwurf bis zum Jahresende parlamentarisch zu beschließen ist, weil er anderenfalls nichtig wäre (vgl. v. Lewinski/Burbat, Bundeshaushaltsordnung, 1. Aufl. 2013, § 33 Rn. 7; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG Rn. 77 <Mai 2020> und § 33 BHO Rn. 1 <Juli 2012>; Mayer, in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 33 BHO, Rn. 31-35 <Dez. 2019>; Tappe, in: Gröpl, BHO/LHO, 2. Aufl. 2019, § 33 BHO Rn. 31-33; Tappe, Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz, 2008, S. 205; Dittrich, in: Bundeshaushaltsordnung, § 33 BHO Rn. 5 <Juli 2020>; Reimer, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 110 Rn. 18 <Aug. 2023>).
bb) Für diese Auffassung spricht, dass ein Nachtragshaushalt die ursprüngliche Planung den neuen oder geänderten Bedürfnissen anpassen soll und aus diesem Grunde selbst – wie § 33 Satz 1 BHO und § 45 Abs. 1 BHO zeigen – planenden Charakter für den Rest des laufenden Haushaltsjahres haben muss (vgl. Tappe, Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz, 2008, S. 205). Dieser Planungscharakter entfällt bei der Verabschiedung eines Nachtragshaushalts erst nach Ablauf des Haushaltsjahres. Der Haushaltsvollzug ist dann abgeschlossen und kann nicht mehr beeinflusst werden (vgl. Tappe, Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz, 2008, S. 206). Die parlamentarische Beschlussfassung über einen Nachtragsentwurf nach Abschluss eines Haushaltsjahres widerspricht damit der Funktion eines Haushaltsplans als Planungsinstrument. Ein nach Ablauf seiner Geltungsdauer im Folgejahr beschlossener Nachtragshaushalt ist deshalb kein zulässiges und zielführendes Instrument, um den abgeschlossenen Haushaltsvollzug im Nachhinein zu verändern (vgl. Stellungnahme des Bundesrechnungshofs zum zweiten Nachtragshaushaltsentwurf 2021, S. 7). Haushaltsgesetze und die dazugehörigen Haushaltspläne sollen die staatliche Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft für das jeweilige Haushaltsjahr steuern. Nach dessen Ablauf ist eine Steuerung grundsätzlich aber nicht mehr möglich, denn „Ausgaben können rückwirkend nicht mehr getätigt und Verpflichtungen rückwirkend nicht mehr eingegangen werden“ (vgl. Gröpl, ZG 2022, S. 141 <150>). Es besteht demnach kein Grund, solche Maßnahmen rückwirkend durch Kreditermächtigungen zu decken oder durch aufgenommene Kredite zu finanzieren.
cc) Während Verstöße gegen das Vorherigkeitsgebot beim Erlass des Stammhaushalts mit Blick auf die Systematik von Art. 111 GG sanktionslos bleiben, kann dies nicht auf einen verspäteten Nachtragshaushalt übertragen werden. Art. 111 GG erlaubt der Bundesregierung für eine etatlose Zeit eine vorläufige Haushalts- und Wirtschaftsführung über die Einräumung gewisser Nothaushaltskompetenzen. Für den Fall eines verspäteten Nachtragshaushaltes gibt es jedoch keine dem Art. 111 GG entsprechende Vorschrift (vgl. Tappe, Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz, 2008, S. 214 f.).
2. An diesen Maßstäben gemessen ist das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar.
a) Die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes für das Jahr 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 – das Gesetz wurde vom Deutschen Bundestag am 27. Januar 2022 beschlossen und am 25. Februar 2022 im Bundesgesetzblatt verkündet – widerspricht damit dem verfassungsrechtlich in Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG wurzelnden Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit. Bei diesem Grundsatz handelt es sich nicht nur um einen Ausdruck organschaftlicher Pflichten, sondern um eine verfassungsrechtlich justiziable Maßgabe an ein Nachtragshaushaltsgesetz.
b) Dass die rückwirkende Änderung des Haushaltsgesetzes 2021 durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz die Funktion eines Haushaltsgesetzes als Planungsinstrument verfehlt, ergibt sich im Übrigen aus der Gesetzesbegründung selbst. Dort weist die Bundesregierung darauf hin, dass staatliche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung für das Haushaltsjahr 2021 nicht mehr umsetzbar seien (vgl. BTDrucks 20/300, S. 5).
c) Unabhängig von der Frage, ob eine Rechtfertigung dieses Verstoßes überhaupt in Betracht kommt, sind Gründe hierfür weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
aa) Dem Gesetzentwurf sind keine Ausführungen hierzu zu entnehmen. Dabei bestand für den Erlass eines Nachtragshaushaltsgesetzes kein zwingendes sachliches Erfordernis, denn notwendige nachträgliche Korrekturen nach Abschluss eines Haushaltsjahres gehören nicht in einen Nachtragshaushalt, sondern sind im Haushaltsplan des Folgejahres zu berücksichtigen (vgl. Mayer, in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 33 BHO, Rn. 35 <Dez. 2019>). Dies kann entweder durch die Aktualisierung des noch in der parlamentarischen Beratung befindlichen Entwurfs für das Haushaltsgesetz des Folgejahres oder durch Einbringung eines Nachtragshaushaltsgesetzes für das bereits beschlossene Haushaltsgesetz des Folgejahres geschehen.
bb) Etwas anderes folgt – entgegen der Ansicht der Bundesregierung – nicht daraus, dass in Anbetracht der hiesigen Verfahrensabläufe eine Beeinträchtigung des parlamentarischen Budgetrechts des Deutschen Bundestages fernliegen würde. Das Vorherigkeitsgebot zielt im Zusammenspiel mit den Grundsätzen der Vollständigkeit und Wahrheit des Haushalts auf die Gewährleistung der Lenkungs- und Kontrollfunktionen des Haushaltsgesetzes und damit auf die Wirksamkeit der Budgethoheit des Parlaments ab. Im Falle eines Nachtragshaushaltsgesetzes wird der Vorherigkeitsgrundsatz zu einem Verfassungsgebot rechtzeitiger, nicht willkürlich verzögerter Korrektur oder Anpassung ursprünglich oder nachträglich realitätsfremder Haushaltsansätze (vgl. BVerfGE 119, 96 <122>). Der Verabschiedung eines Nachtragshaushalts nach Ablauf des Haushaltsjahres kann gedanklich schon keine Lenkungs- und Kontrollfunktion mehr zukommen.
cc) Die von der Bundesregierung angeführte Planungssicherheit für private Investoren hätte sich – wenn auch mit einer gewissen Verzögerung – mit einer Aufnahme in den ohnehin bereits in der Planung befindlichen Jahreshaushalt 2022 realisieren lassen.
III.
Ob in Anbetracht des weitreichenden Gebrauchs sogenannter globaler Ansätze zugleich ein Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltsklarheit und -wahrheit gemäß Art. 110 Abs. 1 Satz 1 GG gegeben ist, brauchte der Senat nicht mehr zu entscheiden.
D.
Die Unvereinbarkeit von Art. 1 und Art. 2 des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes mit Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG führt zur Nichtigkeit des Gesetzes.
Für eine von der grundsätzlichen Regelung in § 95 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 78 Satz 1 BVerfGG abweichende Unvereinbarkeitserklärung besteht mangels Vorliegens der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hierfür erforderlichen Voraussetzungen (vgl. BVerfGE 105, 73 <133>) kein Anlass.
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